Interview mit IG BCE-Chef Michael Vassiliadis "Vorzeitiges Braunkohle-Aus ist nicht zu verkraften"
Düsseldorf · Der Chef der Gewerkschaft IG BCE warnt vor den Klimaschutzplänen von Ministerin Hendricks. Und er verteidigt die Steag als Käufer für Vattenfalls ostdeutsche Braunkohle.
Die IG Metall hat die Tarifsaison mit einer Forderungsempfehlung zwischen 4,5 und 5,0 Prozent eröffnet. Eine realistische Größenordnung auch für die chemische Industrie?
Vassiliadis Insgesamt ist die Chemie trotz einiger Unsicherheiten im Ausland in einer sehr guten Verfassung. Das werden die Bilanzen der Unternehmen in den kommenden Wochen unterstreichen. Und daran orientieren wir auch unsere Erwartungen in der Tarifpolitik. Die konkrete Forderung beschließen die zuständigen Gremien zeitnah. Aber es zeichnet sich bereits ab, dass wir die gute Einkommensentwicklung der vergangenen Jahre fortschreiben wollen.
Mit der Inflation von 0,3 Prozent lässt sich aber nur schwerlich argumentieren.
Vassiliadis Entscheidend ist der wirtschaftliche Erfolg. Daran wollen die Beschäftigten teilhaben, auf deren Arbeit schließlich die Erfolge der Unternehmen beruhen. Im Übrigen ist auch die Produktivitätsentwicklung positiv. Das werden wir natürlich ebenso berücksichtigen. Die zunehmende Digitalisierung als Treiber der Produktivität muss sich auch für die Beschäftigten auszahlen.
Die deutschen Lohnstückkosten sind zuletzt viel stärker gestiegen als in den anderen Euroländern. Eine zu hohe Forderung könnte zu einer Verlagerung ins Ausland führen.
Vassiliadis So einfach geht das nicht und das schreckt uns auch nicht. Wir sind bekannt für unsere Tarifpolitik mit Augenmaß. Kein Unternehmer muss seinen Standort wegen der IG BCE verlagern.
Werden Sie neben den Lohnforderungen auch qualitative Verbesserungen verlangen?
Vassiliadis Derzeit sieht es nicht danach aus.
Wie steht es um die Konfliktfähigkeit? Können Sie überhaupt noch Streik? Der letzte fand 1971 statt.
Vassiliadis Wir haben alle Ressourcen, die für einen Arbeitskampf notwendig wären. Aber wir streiken ganz sicher nicht um des Streiks willen. Warum sollten wir in einen Arbeitskampf ziehen, wenn die Arbeitgeber ordentlich mit sich reden lassen? Ich gehe davon aus, dass wir uns auf beiden Seiten nicht unnötig an den Haaren ziehen wollen.
Einen Teil der qualitativen Themen übernimmt zudem die Bundesregierung. Andrea Nahles will den Einsatz von Leiharbeit und Werkverträgen deutlich erschweren. Wie zufrieden sind Sie mit dem Gesetzentwurf?
Vassiliadis Wir lehnen solche flexiblen Beschäftigungsinstrumente nicht grundsätzlich ab. Aber wir sind gegen deren Missbrauch. Leiharbeit und Werkverträge sind nicht dazu da, um tarifliche und soziale Standards zu unterlaufen. Wer das versucht, muss in die Schranken gewiesen werden. Und dieser Aufgabe stellt sich Andrea Nahles.
Reicht nicht die konsequente Anwendung geltender Gesetze?
Vassiliadis Dann hätten wir ja heute schon kein Problem. Die betriebliche Wirklichkeit zeigt allerdings den Handlungsbedarf auf. Sicherlich ist manches, was wir fordern und der Entwurf aufgreift, ist dank entsprechender Urteile zumindest Richterrecht. Es ist nur konsequent, das auch in den Gesetzestext zu gießen. Es geht schließlich darum, den wenigen Firmen mit krimineller Energie deutlich entgegen zu wirken.
Was fehlt im Entwurf?
Vassiliadis Er ist zwar schon ein echter Fortschritt, aber wir brauchen auch Informations- und Mitbestimmungsrechte der Betriebsräte. Heute beschafft der Einkauf die Leute per Werkvertrag. Die tauchen in keinem Personalbuch auf, und so entzieht man das der Mitsprache von Betriebsräten. Ein Unding.
Die Arbeitgeber werden nicht Beifall klatschen, wenn Sie sich vor dem Leiharbeiter- oder Werkvertragseinsatz immer von Ihren Leuten grünes Licht holen müssen.
Vassiliadis Wir wollen nicht in unternehmerische Entscheidungen reinreden. Aber die Informationspflichten des Managements gehen uns nicht weit genug. Es ist immer besser, wenn der Betriebsrat weiß, wer sich auf dem Gelände befindet und ob der Einsatz überhaupt nötig ist. Wenn es zum Beispiel Alternativlösungen zum Fremdeinsatz aus dem Unternehmen heraus gibt, könnte der Betriebsrat darauf hinweisen.
Jüngst erklärte ein Energie-Experte von Verdi, für eine Milliarde Euro plus x könne man schon früher sozialverträglich aus der Braunkohle aussteigen. Hat Sie das geärgert?
Vassiliadis Verdi hat viele Mitglieder, und manche bedauerliche Einzelmeinung ist durch wenig Sachkunde charakterisiert. Viel wichtiger ist aber, dass wir gemeinsam im DGB an einem energiepolitischen Strang ziehen. Und da gilt, was wir gemeinsam beschlossen haben: Wenn die Energiewende bis 2050 erfolgreich umgesetzt ist, dann bedeutet das konsequenterweise, dass die Braunkohle ausläuft.
Diejenigen, die einen früheren Ausstieg begrüßen, bekommen mit Umweltministerin Barbara Hendricks sehr prominente Rückendeckung.
Vassiliadis Frau Hendricks ist Umweltministerin, aber nicht zuständig für Energiepolitik. Es gibt sicherlich eine Szene, die nach dem Pariser Gipfel zum Klimaschutz versucht die Braunkohle zu politisieren. Dazu gehört auch das Gutachten des grünen Think-Tanks Agora Energiewende, das jüngst einen früheren Ausstieg propagierte. Dabei folgt für uns nichts aus den Gipfel-Beschlüssen. Denn wir haben hierzulande schon die härtesten Ziele zum Klimaschutz.
Hendricks will bis zum Sommer einen Klimaschutzplan vorlegen. Was muss da aus Ihrer Sicht drinstehen?
Vassiliadis Aus meiner Sicht ist der Stellenwert dieses Vorhaben noch zu vage, als dass man dazu viel sagen könnte. Wir orientieren uns am Koalitionsvertrag. Was da drin, wäre ok. Generell wollen wir eine Energiewende, die sozial und wirtschaftlich vernünftig ist. Gegen Unsinn werden wir uns immer wehren.
Was schlagen Sie vor?
Vassiliadis Wir müssen raus aus den ideologischen Schützengräben. Fakt ist: Deutschland steigt als einziges Land bis 2022 aus der Atomkraft aus. Das heißt, bis dahin gehen noch 16 Prozent der heutigen Stromerzeugung vom Netz. Es wäre nicht zu verkraften, zugleich und vorzeitig auch noch die Braunkohle abzuschalten. Das wären noch einmal 25 Prozent der Stromerzeugung. Statt Versorgungssicherheit zu bezahlbaren und wettbewerbsfähigen Preisen zu riskieren, sollten wir die offenen Fragen der Energiewende lösen. Also Netze und Speicher bauen, damit der Strom aus Erneuerbaren auch dort ankommt, wo und wann er gebraucht wird.
Woher soll das Geld dafür stammen?
Vassiliadis Es kann nicht sein, dass wir nach wie vor zusätzliche Wind- und Solaranlagen mit horrend hohen Subventionen fördern. Das war mal als Anschubfinanzierung gedacht. Inzwischen subventioniert der Staat aber prächtige Renditen von Investoren, die sich Solaranlagen aus China aufs Dach setzen. Dieses Geld wäre für einige Jahre besser in der Forschung für Energie-Speicher angelegt.
Das wäre Aufgabe des Energieministers. Der bekommt es dann ja offenbar nicht hin.
Vassiliadis Diejenigen, die für ihren Solarstrom 20 Jahre lang acht Prozent Rendite kassieren — noch dazu in einer Nullzinsphase —, die machen ordentlich Lobbydruck in Berlin. Der Minister ist sich dessen bewusst und er ist ja bereits dabei, die überzogene Subvention der Erneuerbaren zu verringern. Da geht aber sicher noch mehr. Eine rasche Umschichtung der Förderung wäre jetzt sinnvoll. Netze und Speicher entscheiden über die Zukunft der Energiewende, nicht aber willkürliche Ausstiegsdiskussionen.
Wie hoch müssten die Strukturmittel realistisch sein, damit die Braunkohleregionen nach dem Auslaufen des Tagebaus überleben können?
Vassiliadis Wer meint, man pumpt mal ein bisschen Geld in die Lausitz und ins Rheinland und dann siedeln sich schon neue Unternehmen an, der ist naiv. Mit drei Baumärkten und ein wenig Tourismus bekommen Sie keine Region gerettet. Deshalb muss man jetzt schon anfangen, die Regionen stärker zu fördern. An Zahlenspielerei beteilige ich mich nicht. Ich halte nichts davon, mögliche Investoren mit immer neuen Ausstiegsszenarien verunsichern.
Wie sehen sie ein mögliches Angebot der Steag für die Vattenfall-Braunkohle in der Lausitz? Städte und Land haben ablehnend reagiert.
Vassiliadis Wenn das Geschäftskonzept der Steag Sinn macht, dann sollte man das ernsthaft erwägen. Die Steag ist auf jeden Fall ein deutsches Unternehmen mit viel Know-how. Und dass man bei Steag verantwortlich mit fossiler Energie umgeht und auch das politische Geschäft kennt, das ist hierzulande schon bewiesen. Kein schlechter Kandidat also.
Die Steag wäre also der bessere Partner als die Tschechen?
Vassiliadis Ich kenne deren Geschäftsmodelle nicht. Daher werde ich mich dazu auch nicht äußern. Nicht einverstanden bin ich allerdings, wenn die Politik ein ökonomisch sinnvolles Modell ohne ausreichende Prüfung und nur aus ideologischen Gründen ablehnen sollte.
Wie weit sind Sie bei den Gesprächen mit RWE über die Beschäftigungswirkung der Konzernaufspaltung?
Vassiliadis Die Aufspaltung wird wohl ohne Entlassung vonstattengehen. Aber ich befürchte, damit wird die Zeit der Unsicherheiten nicht vorbei sein. Dafür ist noch zu viel ungeklärt in der Energiepolitik, und das trifft eben auch großen Unternehmen wie RWE. Die brauchen Planungssicherheit, und das ist jetzt das Wichtigste.