Arbeitsmarkt Massive Kritik an DGB-Plänen zur Teilrente ab 60 Jahren

Berlin · Die Übergänge von der Arbeit in die Rente sollen flexibler werden. Die Koalition meint damit den Verbleib im Beruf über das 65. Lebensjahr hinaus. Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) nutzt das Stichwort Flexibilität kurz vor dem Start von Koalitionsberatungen über die Zukunft der "Flexi-Rente", um eine Teilrente ab 60 anzupeilen.

In einem unserer Redaktion vorliegenden DGB-Papier unter dem Titel "Flexible Übergänge in den Ruhestand" wird die "Teilrente ab 60 als eigene Rentenart" definiert. Damit sei ein verbesserter Rechtsanspruch auf sozialversicherungspflichtige Teilzeitarbeit im Alter zu verbinden, außerdem höhere und flexiblere Hinzuverdienstgrenzen bei Teilrenten und auch bessere Möglichkeiten für Aufstockungsbeiträge in der Gesetzlichen Rentenversicherung. Damit der Arbeitnehmer, der die Teilzeitarbeit ab 60 in Anspruch nehme, seine Rentenverluste individuell ausgleichen könne, müsse der Gesetzgeber auch die "Rahmenbedingungen für tarifpolitische Lösungen verbessern".

Die Gewerkschaften wollen mit diesem Vorstoß auf eine "Sicherungslücke" reagieren, in die alle hineinrutschten, die zu jung für die Altersrente, zu krank für die Vollzeitarbeit und zu gesund für die Erwerbsminderungsrente seien. Anders als die Koalition sieht das für Renten zuständige DGB-Vorstandsmitglied Annelie Buntenbach den größten Handlungsbedarf nicht nach dem Erreichen der gesetzlichen Altersgrenze, sondern "in der Zeit davor". Mit dieser Stoßrichtung hätten Verbesserungen beim Übergang von der Arbeit in die Rente "absolute Priorität" sagte Buntenbach.

NRW-Arbeitsminister Guntram Schneider (SPD) distanzierte sich von solchen Plänen. "Ich halte es für abwegig, das Renteneintrittsalter generell nach unten korrigieren zu wollen", sagte der Minister unserer Redaktion. Das wäre aus seiner Sicht unsachgemäß und entspäche auch nicht den ökonomischen Erfordernissen. Es gebe viele, die in der Lage seien, auch länger zu arbeiten. "Denen sollte man die Möglichkeit geben, das zu tun – mit entsprechenden finanziellen Anreizen", betonte Schneider. Gleichzeitig müsse es möglich sein, dass besonders physisch oder psychisch belastete Arbeitnehmer schon vor dem 60. Lebensjahr finanziell abgesichert ausscheiden könnten. "Aber das hat nichts mit einer generellen Absenkung des Renteneintrittsalters zu tun", bekräftigte der Minister.

Am Donnerstag tagt die von der Koalition bei der Verabschiedung des Rentenpaketes beschlossene Arbeitsgruppe "Flexible Übergänge in den Ruhestand" zum ersten Mal. Sie soll bereits im Herbst Vorschläge vorlegen. Die "Flexi"-Rente war die Bedingung für viele Unionspolitiker, den übrigen Teilen der Rentenreform zuzustimmen. Vor allem Carsten Linnemann, der Chef der Mittelstandsvereinigung, hatte sich mit dieser Forderung durchgesetzt. "Die Kernfrage ist, wie wir das Arbeiten im Alter erleichtern können", erläuterte Linnemann im Gespräch mit unserer Redaktion. "Wir brauchen in Deutschland einen grundlegenden Mentalitätswechsel", so Linnemann. Es dürfe nicht länger nur den abrupten Wechsel von hundert auf null geben.

Zu den Hürden zählt Linnemann auch die Rentenversicherung, die die Menschen faktisch in die Rente dränge. Sie sollte nach Überzeugung der Unions-Mittelständler nicht mehr länger an rentennahe Jahrgänge nur die Aufforderung verschicken, jetzt Rente zu beantragen, sondern auch die weiteren Möglichkeiten aufzeigen. "Dazu gehört zum Beispiel der Hinweis, dass sich die Rente um etwa 25 Prozent erhöht, wenn man drei Jahre weiterarbeitet", schilderte Linnemann. Zu den Details über die sich die Arbeitsgruppe verständigen müsse, gehöre auch die Frage, warum Arbeitgeber für arbeitende Rentner Arbeitslosenbeiträge zu entrichten haben, obwohl diese gar nicht mehr arbeitslos werden können.

Nach den Erfahrungen Linnemanns werde die jetzt schon mögliche Teilrente ab 63 kaum genutzt, weil das Verfahren zu komplex sei. "Wenn der DGB die Debatte um die Teilrente zur Durchsetzung neuer Frühverrentungsprogramme nutzen will, ist das nicht im Interesse Deutschlands, das einen zunehmenden Fachkräftemangel bewältigen muss", hob Linnemann hervor. Deshalb stehe die "Rente mit 60" aus gutem Grund nicht im Koalitionsvertrag.

Zuletzt hatte sich auch die FDP auf eine "Rente ab 60" als politisches Ziel verständigt. "Der Renteneintritt zu einer starren Altersgrenze hat sich überholt", meinte FDP-NRW-Generalsekretär und Arbeitsmarktexperte Johannes Vogel. Wenn der DGB sich für mehr Flexibilität einsetzen wolle, klinge das zunächst gut. Es dürfe aber nicht vergessen werden, dass der DGB gerade erst die abschlagsfreie Rente mit 63 durchgesetzt habe. "Mehr Flexibilität beim Renteneintritt darf nicht ein falsches Etikett sein, hinter dem sich in Wahrheit mehr abschlagsfreie Frühverrentungen verbergen", meinte Vogel. Im Gegensatz dazu schaffe das FDP-Rentenmodell echte Wahlfreiheit beim Zeitpunkt des Renteneintritts und laufe auf einen Wegfall der Zuverdienstgrenzen im Rentenalter hinaus.

(may-)
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