Experten rechnen mit weiteren Kürzungen Kritik an Betriebsrenten-Coup der Commerzbank wächst

Berlin/Frankfurt (rpo). Bei den Beschäftigten in Deutschland wachsen die Ängste um ihre Altersvorsorge. Grund ist die von der Commerzbank und dem Gerling-Konzern angekündigte Kürzung der Betriebsrenten. Experten rechnen mit weiteren Kürzungen, erwarten jedoch nicht, dass eine "Lawine" losgetreten wurde.

FDP-Chef Guido Westerwelle kritisierte am Mittwoch in Berlin den radikalen Schritt der Bank als "völlig falsches und fatales Signal". Bei einer AP-Umfrage zeigten sich allerdings zahlreiche Unternehmen entschlossen, an den Betriebsrenten festzuhalten.

Heftige Kritik an der Commerzbank kam von Westerwelle: "Die großen Unternehmen in Deutschland müssen sich ihrer Verantwortung für eine angemessene Altersvorsorge ihrer Mitarbeiter stellen, statt diese Verantwortung von sich abzuwälzen." Der durch das Vorgehen der Commerzbank eingetretene Vertrauensschaden bei den Beschäftigten sei enorm.

Westerwelle forderte die Bundesregierung auf, mit günstigen Rahmenbedingungen mehr Dynamik bei der betrieblichen Altersversorgung zu entfachen. Bisher trügen in Deutschland Betriebsrenten nur 5 Prozent zum Alterseinkommen bei, in Großbritannien und den Niederlanden seien es bis zu 40 Prozent.

Der Professor für Bank- und Börsenwesen an der Universität Erlangen/Nürnberg, Wolfgang Gerke, warnte, dass das Vorgehen der Commerzbank zahlreiche Nachahmer finden könne. "Viele Unternehmen werden die Chance nutzen, hier Kosten zu sparen. Und sie werden dies auch deshalb tun können, weil der Arbeitsmarkt für die Arbeitnehmer ausgesprochen ungünstig ist. Man hat eben nicht die Alternative, mit dem Weggang zu drohen", sagte Gerke im Westdeutschen Rundfunk.

Gesamtmetall rechnet nicht mit "Lawine"

Auch der Rentenexperte der Verbraucherzentrale Baden-Württemberg sagte gegenüber AP: "Ich gehe davon aus, dass dies nur der Anfang ist." Durch den Fall Commerzbank sei sichtbar geworden, dass nicht nur die gesetzliche Rentenversicherung, sondern auch die betriebliche Rente unsicherer sei, als lange Zeit gehofft. Umso wichtiger sei es, bei der privaten Altersversorgung nicht zu sparen.

Der Hauptgeschäftsführer des Arbeitgeberverbandes Gesamtmetall, Hans Werner Busch, rechnet mit einem Trend weg von der durch den Arbeitgeber finanzierten Betriebsrente hin zu einer beitragsfinanzierten Rente. Es werde die vom Arbeitgeber allein gestützte Betriebsrente zwar noch geben, aber sie werde "nicht mehr weiter wachsen", prognostizierte Busch im ZDF-Morgenmagazin. Er sehe aber "keine Lawine" auf uns zukommen.

Tatsächlich zeigte eine AP-Umfrage bei einer Reihe großer Unternehmen noch keine Anzeichen für eine Kettenreaktion: So betonten die Autokonzerne Volkswagen und BMW, der Hamburger Kosmetikkonzern Beiersdorf und die Stuttgarter Bosch-Gruppe übereinstimmend, eine Kürzung der Betriebsrenten sei nicht geplant. Auch Deutschlands zweitgrößte Versicherungsgruppe Ergo betont: "Bei uns gibt es keinerlei Pläne da dranzugehen." Ähnlich äußerten sich schon am Vortag Deutsche und Dresdner Bank.

Der Gerling-Konzern kündigte allerdings an, 5.000 deutschen Mitarbeitern die vom Unternehmen finanzierten Betriebsrenten mit Wirkung zum 1. Januar 2004 drastisch zu kürzen. Die mit dem Betriebsrat vereinbarte Kürzung der Versorgungsversprechen liege zwischen 30 und 50 Prozent, sagte Sprecher Christoph Groffy. Betroffen seien alle Beschäftigten, die vor 1998 in das Unternehmen eingetreten seien.

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