Klagewelle in den USA Der Druck auf Bayer-Chef Baumann wächst

Leverkusen · Die Bayer-Aktie fällt weiter, die Übernahmegefahr wächst. Investoren werden nervös: Im Kurs ist eingepreist, dass Bayer wegen der Glyphosat-Klagen 20 bis 25 Milliarden Euro Schadenersatz zahlen könnte, sagen Experten.

Bayer-Vorstand Werner Baumann (Archivfoto).

Foto: dpa/Oliver Berg

In der Bayer-Belegschaft rumort es. 12.000 Stellen werden abgebaut. Auch die Altersvorsorge schmilzt dahin, sofern sie in Bayer-Aktien angelegt ist: Ein Prozent des Konzerns gehört den Mitarbeitern, der Wert ihrer Aktien ist binnen eines Jahres um über 250 Millionen Euro geschrumpft. Seit Monaten ist ist die Aktie auf Talfahrt. 2018 verlor sie 40 Prozent, am Dienstag fiel sie zeitweise um 3,4 Prozent auf 55 Euro. Der Leverkusener Konzern ist mittlerweile an der Börse weniger wert, als die 59 Milliarden Euro, die er für Monsanto bezahlt hat.

Klagen gegen den Unkrautvernichter Glyphosat machen die Anleger nervös, nun gerät auch Bayer-Chef Werner Baumann unter Druck. „Monsanto ist natürlich mehr als Glyphosat. Der Name Baumann steht dennoch schlussendlich für die Monsanto-Akquisition und die Glyphosat-Klagen“, sagt Stefan Röhle, Analyst bei Independent Research. Mit dem operativen Geschäft habe Bayer zwar überzeugt, gerade Monsanto habe zuletzt gute Ergebnisse abgeliefert. „Doch derzeit überlagert das Thema Glyphosat alles.“ Aktionär Christian Strenger, der vom „größten Wertvernichter der Dax-Geschichte“ spricht, beantragt, den Vorstand auf der Hauptversammlung am 26. April in Bonn nicht zu entlasten.

Baumann hatte einst als Strategiechef den Monsanto-Deal eingefädelt. 23 Tage, nachdem der Krefelder 2016 das Steuer übernommen hatte, machte er die Übernahmepläne öffentlich. Akribisch ließ er den Deal vorbereiten und alle Risiken durchrechnen. „Ich würde Monsanto wieder kaufen“, sagt er immer wieder. Auch nachdem Bayer Hausherr in St. Louis geworden war, fand er keine „smoking gun“ – keinen Hinweis auf das nahende Glyphosat-Drama. „Wir haben dieses hohe Prozessrisiko nicht gekannt. Bei den ersten Gesprächen mit Monsanto lagen 21 Klagen vor“, sagte er im Dezember. Aktuell gibt es 11.200 Kläger.

Ob Monsanto ein Fehler war, lässt sich für Markus Manns, Portfolio-Manager bei Union Investment, erst am Ende der Klagen sagen. „Kommt Bayer mit Zahlungen bis zu fünf Milliarden Dollar davon, hat der Bayer-Vorstand alles richtig gemacht“, sagt Manns unserer Redaktion. „Zumal der Monsanto-Deal grundsätzlich richtig war.“ Bayer sei mit Pflanzenschutz allein zu klein in der Agrochemie gewesen. Er betont aber: „Muss Bayer am Ende mehr als zehn Milliarden Dollar zahlen, hat der Vorstand die Risiken von Monsanto klar unterschätzt.“ Die Zahlen ergäben sich aus vergleichbaren Klagen wie Vioxx von Merck oder Xarelto von Bayer. Bayer hat sich im Streit um den Gerinnungshemmer gerade auf einen Vergleich von 775 Millionen Dollar geeinigt, das sind im Schnitt 30.000 Dollar pro Kläger - und das, obwohl Bayer die ersten Verfahren gewonnen hatte.

Anders bei Glyphosat: Im ersten Fall sprach eine Jury dem Platzwart Dewayne Johnson 78 Millionen Dollar zu. Im zweiten Fall, Ed Hardeman, sieht eine andere Jury einen  Zusammenhang zwischen Glyphosat und Krebs. Das trifft Bayer hart, weil der Konzern erstmals selbst die Verteidigung steuerte und der Fall Hardeman repräsentativ für über 760 weitere vor dem Distriktgericht San Francisco gebündelte Klagen ist. Manns sagt, entscheidender als die Jury-Verfahren seien die Berufungsverfahren, in denen  Richter ohne Jury entscheiden. Doch er sagt auch: „Aktuell fürchtet der Markt, dass der Schadenersatz hoch ausfällt: In Bayer-Kursen um 60 Euro sind nach Markteinschätzung Schadenersatzzahlungen von 20 bis 25 Milliarden Euro eingepreist.“

Union Investment ist nicht irgendwer, die Fondsgesellschaft der Volksbanken hält ein Prozent der Bayer-Aktien. Sie sieht auch, dass Bayer langfristig ein Übernahmekandidat werden könnte. Manns sagt zwar: „So schnell geht das nicht, zumal Bayer mit zwei gleichstarken Beinen kein perfekter Übernahmekandidat ist.“ Er betont aber auch: „Sollte der Kurs auf Dauer, bis ins Jahr 2020 hinein so niedrig bleiben, wächst die Gefahr einer Übernahme.“ Independent Research hat die Bayer-Aktie unlängst auf „Verkaufen“ bei einem Kursziel von 56 Euro gesetzt.

Manns betont weiter: „Dauerhaft niedrige Kurse locken aktivistische Investoren an, die gerne die Auswechslung des Vorstands und eine Zerschlagung verlangen, wie sich in anderen Branchen zeigt.“ Es gibt seit Monaten Spekulationen, dass der Hedgefonds Elliott bei Bayer eingestiegen ist, der schon Konzerne wie Thyssenkrupp, Uniper und Gea aufgemischt hat. Ab einer Beteiligung von drei Prozent müsste Elliott sich erklären, bisher gibt es keine Meldung.

Baumanns Vertrag läuft bis April 2021. Im nächsten Jahr müsste der Aufsichtsrat über die Zukunft des 56-jährigen entscheiden. „Die Perspektive für Werner Baumann hängt auch davon ab, ob er die operativen Baustellen in den Griff bekommt“, so Manns. Bayer hat Probleme im Geschäft mit rezeptfreien Arzneien von Merck und arbeitet seit einem Jahr daran, Mängel im Leverkusener Pharmawerk abzustellen.

Aus Sicht von Analysten hängt Baumanns Schicksal nicht nur an Glyphosat, sondern auch an Aufsichtsrats-Chef Werner Wenning. Wenning war nicht nur viele Jahre der Förderer von Baumann, er hat auch gemeinsam mit ihm den Monsanto-Deal durchgekämpft. „Beide sitzen in einem Boot. Es ist undenkbar, dass Baumann geht und Wenning bleibt“, sagt ein Finanzmarkt-Experte.