EU senkt Fang-Quoten nur leicht Kabeljau "am Rande der kommerziellen Ausrottung"

Brüssel (RP). Welcher Fisch darf Weihnachten auf den Tisch? Wenn es nach Umweltschützern geht, gelten Hering, Makrele, Zucht-Forelle und Karpfen als Festtaggenuss ohne Reue. Rotbarsch, Scholle, Seezunge und Thunfisch sollten auf dem Teller hingegen tabu sein. Und selbst beim Fischsstäbchen wird's kritisch. Denn der darin enthaltene Alaska-Seelachs kommt meist aus russischen Beständen, die so überfischt sind, dass Seelöwen dort Hunger leiden.

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Foto: AP

Aus Kabeljau wird die beliebte Tiefkühl-Kost übrigens kaum noch hergestellt. Kein Wunder. Seine Bestands-Lage stufen Experten als besonders bedrohlich ein.

Daran werden die jüngsten Beschlüsse der EU-Landwirtschaftsminister zu den Fangquoten nichts ändern. Im kommenden Jahr dürfen Europas Fischer rund 20.000 Tonnen Kabeljau aus dem Meer ziehen. Experten des Internationalen Fischerei-Rats (ICES) in Kopenhagen hatten ein komplettes Fangverbot gefordert, damit sich die Bestände erholen können. Zwar einigten sich die Fischereiminister auf eine Senkung der Nordsee-Fangquoten um 14 Prozent, an der schottischen Westküste und in der keltischen See gar um 20 Prozent. Die EU-Kommission wollte die Fänge jedoch um generell 25 Prozent zurückfahren. Bei Scholle und Seezunge senkten die EU-Minister die Fangquoten um 12,5 und 15 Prozent.

Mit diesem "Kniefall vor der Fischerei-Lobby" stehe der Kabeljau endgültig vor dem "Kollaps" und am "Rande der kommerziellen Ausrottung", meint Karoline Schacht, Expertin des World Wildlife Fund. Der Fischerei-Verband sieht durch die "schmerzhaften Beschränkungen" hingegen schwere Zeiten auf die Kabeljau- und Schollenfischer in der Nordsee zukommen. Der Grund: Nicht nur die Quoten wurden gesenkt. Die Fischer verlieren auch zwischen 7 und 10 Prozent ihrer Fangtage.

Der alljährliche Quoten-Streit teilt nicht nur die Lobbys, sondern auch die EU in "Freunde der Fische" und "Freunde der Fischer". So setzten Frankreich und Spanien gegen die Bedenken anderer EU-Staaten durch, dass sie zwischen Mitte April und Mitte Juni im Golf von Biscaya mit einem Zehntel ihrer Flotte zum "Experimentalfischen" ausrücken dürfen. Brüssel wollte eigentlich für Sardellen ein Fangverbot für das erste Halbjahr 2007 durchsetzen.

"Eigentlich sind die wahren Freunde der Fischer diejenigen, die es gut mit dem Fisch meinen. Doch das will in Brüssel niemand verstehen. Die Quoten sind viel zu hoch", moniert Karoline Schacht. Ihre Logik: Sind die Meere leergefischt, werden mehr Fischer arbeitslos als durch geringere Fangmengen. Wissenschaftler prophezeiten jüngst im Magazin "Science", dass die Fischbestände der Weltmeere bis 2048 komplett zusammenbrechen könnten, wenn nichts geschieht.

1992 passierte dies bereits beim Kabeljau vor der Küste Kanadas. Der Grund: Trotz aller Experten-Warnungen waren keine Rettungsmaßnahmen beschlossen worden. Zehntausende Fischer verloren damals ihren Job ? bis heute hat sich der Bestand nicht erholt. "Das Szenario droht auch für die Nordsee", sagt Schacht. Verbrauchern rät sie daher, nur Fisch mit dem Gütesiegel des unabhängigen Marine Stewardship Council (MSC) für nachhaltigen Fang zu kaufen. Die WWF-Expertin meint: "Fisch wird ein sehr kostbares und teures Gut werden."

In diesem Jahr kletterten die Preise um rund zwei bis sechs Prozent. Die Nachfrage trübte das nicht. Im Gegenteil: Die Industrie meldet beim Pro-Kopf-Verbrauch ein Rekordhoch. Er stieg von 14,7 auf 15,6 Kilo - den Löwenanteil machen Fischstäbchen und Co. aus. Direkte Preisanstiege durch die Brüsseler Beschlüsse fürchtet die Branche nicht. Aber: "Fisch wird sicher nicht billiger", meint Matthias Keller, Geschäftsführer des Hamburger Fischinformationszentrums.

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