Gasstreit Juschtschenko will weiter verhandeln

Kiew (rpo). Im Streit um die russischen Gaslieferungen an die Ukraine hat deren Präsident Viktor Juschtschenko Moskau zur Rückkehr an den Verhandlungstisch aufgerufen. Der russische Gaskonzern Gasprom hat seine Gaslieferung an die Ukraine am Sonntagmorgen gestoppt.

Er werde den russischen Präsidenten Wladimir Putin bitten, den Konzern Gasprom zu weiteren Gesprächen über die Gaslieferungen aufzufordern, kündigte Juschtschenko am Sonntag vor Journalisten in Kiew an. Die ukrainische Seite habe den Verhandlungstisch niemals verlassen. Der ukrainische Regierungschef Juri Echanurow sagte im Anschluss, Juschtschenko werde Putin am Sonntagabend anrufen.

Gasprom-Sprecher Sergej Kuprijanow erklärte am Sonntagabend, ihm lägen Informationen vor, wonach die Ukraine "damit begonnen hat, russisches Gas abzuschöpfen, das für europäische Kunden bestimmt ist". Der ukrainische Ministerpräsident Juri Jechanurow dementierte dies. "Wir nutzen heute nicht einen einzigen Kubikmeter russischen Gases", sagte der Regierungschef. Der ukrainische Versorger Naftogas hatte zuvor erneut betont, die Versorgung für die kommenden Monate sei gesichert. "Für die Menschen und die Stadtverwaltungen wird es genug Gas geben", sagte Naftogas-Sprecher Eduard Sanjuk.

Im Preisstreit mit der Ukraine hat Russland am Sonntag seine Erdgaslieferungen an das Nachbarland vollständig gestoppt. Der staatlich kontrollierte russische Gasprom-Konzern versicherte zugleich, dass die Versorgung westeuropäischer Länder über ukrainisches Gebiet nicht betroffen sei. Deutschland und mehrere EU-Staaten riefen die ukrainische Regierung auf, die Gaslieferungen in den Westen nicht zu behindern. Das sagte der ukrainische Präsident Juschtschenko zu. Der größte deutsche Gasimporteur Eon Ruhrgas sah selbst bei einer weiteren Zuspitzung des Konflikts zunächst keinen Anlass zur Sorge für heimische Verbraucher.

Nach Angaben eines Gasprom-Sprechers ordnete die Leitung des Unternehmens um 10.00 Uhr Moskauer Zeit (08.00 Uhr MEZ) an, die Gaslieferungen an die Ukraine einzustellen. Wenige Stunden nach der Gasprom-Ankündigung bestätigte der ukrainische Energiekonzern Naftogas den Abfall des Drucks in seinen Pipelines.

Russland hatte seit Wochen damit gedroht, der Ukraine zum Jahreswechsel den Gashahn zuzudrehen. Hintergrund ist die Weigerung Kiews, statt dem bisher gezahlten Vorzugspreis von 50 Dollar (rund 42,20 Euro) pro 1000 Kubikmeter Erdgas ab dem 1. Januar mehr als viermal so viel zu bezahlen, nämlich 220 bis 230 Dollar.

Die Ukraine sieht sich ungerecht behandelt, weil etwa Weißrussland weiter zu Vorzugsbedingungen beliefert werden soll. Naftogas erklärte, die Einstellung der Gaslieferungen sei "unzulässig" und bedrohe zudem die Versorgung Europas mit Erdgas. Das Unternehmen habe am Samstag kurz vor Mitternacht dem vom russischen Präsidenten Wladimir Putin in letzter Minute unterbreiteten Kompromissvorschlag zugestimmt, das Erdgas bis einschließlich März 2006 das Gas zu den Niedrigpreisen beziehen zu können und dann höhere Preise zu bezahlen.

Gasprom-Sprecher Sergej Kuprijanow bestritt diese Darstellung und verwies auf ein Fax, in dem die ukrainische Seite entsprechende Vorschläge zurückgewiesen habe. Der ukrainische Präsident Juschtschenko appellierte an Moskau, an den Verhandlungstisch zurückzukehren.

In einem gemeinsamen Schreiben appellierten Bundeswirtschaftsminister Michael Glos (CSU) und seine Kollegen aus Österreich, Frankreich und Italien an Russland und die Ukraine, die Versorgung Westeuropas mit Gas ungeachtet ihres Streits sicherzustellen. Unabhängig vom Ausgang der Probleme zwischen Russland und der Ukraine müssten die Gas-Lieferungen an die vier Länder "in vollem Umfang aufrecht erhalten werden", hieß es in dem Brief laut einer Mitteilung des österreichischen Wirtschaftsministeriums vom Samstag.

Juschtschenko versicherte am Sonntag, der Streit mit Russland werde die Gasversorgung europäischer Länder nicht beeinträchtigen. Die Ukraine garantiere die Durchleitung des Erdgases "ohne Hindernisse". Über die Ukraine werden rund 80 Prozent der für Westeuropa bestimmten russischen Erdgasmengen transportiert. Die restlichen Mengen fließen über Weißrussland und Polen.

Versorgungsengpässe drohen den deutschen Haushalten nach Auskunft des größten deutschen Gasimporteurs E.ON Ruhrgas nicht, für Großkunden könnten unter Umständen allerdings "auf Sicht begrenzte Einschränkungen nicht ausgeschlossen werden". Aktuell seien sie aber nicht betroffen. Der Bundesverband der deutschen Industrie sieht jedoch die Gefahr, dass die Ukraine mittelfristig die Durchleitungsgebühren durch das eigene Gebiet erhöhen könnte, was sich dann auch in den deutschen Gaspreisen niederschlagen könnte.

E.ON-Ruhrgas-Vorstandsvorsitzender Burckhard Bergmann räumte am Sonntag ein: "Wenn sich die Lieferkürzungen als sehr groß herausstellen sollten, lang anhalten und der Winter besonders kalt wird, stoßen auch unsere Ausgleichsmöglichkeiten an ihre Grenzen". In einer Erklärung wies das Unternehmen aber darauf hin, dass es Erdgas aus mehreren Quellen beziehe. Neben Russland, dessen Lieferanteil rund 30 Prozent betrage, beziehe Eon Ruhrgas Erdgas insbesondere aus Norwegen, den Niederlanden und deutschen Quellen. Darüber hinaus verfüge das Unternehmen über große Erdgasuntertagespeicher und ein leistungsfähiges Transportnetz.

Die EU-Kommission äußerte sich besorgt über den Streit zwischen Moskau und Kiew. Kommissionssprecherin Mireille Thorn sagte der Nachrichtenagentur AFP, die Kommission werde die weitere Entwicklung genau verfolgen.

(afp)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort