München Joe Kaeser will Siemens digitaler machen

München · Der Vorstandsvorsitzende hat gestern seine Vorstellungen vom Siemens-Konzern der Zukunft präsentiert. Die Börse hat dies mit einem Kursplus von zwei Prozent honoriert. Von den Arbeitnehmern kommen dagegen skeptische Töne.

Joe Kaesers Vision reicht bis 2020. Bis dahin hat der Siemens-Chef den Umbau des Konzerns geplant - und damit gestern schon einmal Skepsis bei den Arbeitnehmern hervorgerufen. "Die Neuorganisation darf auf keinen Fall als Deckmantel für ein Programm zur Kostensenkung oder zum Stellenabbau missbraucht werden", erklärte Jürgen Wechsler, Bezirksleiter der IG Metall Bayern. Doch genau das hat Kaeser im Sinn: Die Kosten sollen um eine Milliarde Euro gesenkt werden, eine ganze Hierarchieebene soll wegfallen. Die vier Sektoren Energie, Industrie, Gesundheit und Infrastruktur werden aufgelöst, die 16 Divisionen darunter zu insgesamt neun zusammengelegt.

"Wir können in der neuen Struktur gewaltige Synergien nutzen", sagte Kaeser gestern nach der Präsentation in Berlin. "Wenn wir zum Teil drei Divisionen zusammenlegen, dann brauchen wir dort auch nicht mehr drei Strategieabteilungen." Für Betroffene sollen neue Jobs in den Bereichen Vertrieb, Entwicklung und Produktion gefunden werden. Dafür werde man sich Zeit nehmen. Die Einsparungen sollen erst 2016 voll erreicht werden. "Das ginge auch schneller", räumte Kaeser ein.

Der Konzernchef will als Macher gelten, der weit über das Tagesgeschäft hinaus blickt. Der Bieterwettstreit um den französischen Alstom-Konzern ist ein Beispiel dafür. "Alstom war nicht Bestandteil von Vision 2020 und ist es jetzt auch nicht", sagte Kaeser, "aber es ist die Pflicht eines Managers, geeignet zu agieren und Handlungsfähigkeit zu beweisen." Deshalb habe er kurzfristig mit dem Management-Team entschieden, sich Zeit zu verschaffen, um selbst aktiv zu handeln. Vier Wochen hat Siemens Zeit, sich Alstom intensiv anzusehen. Wie ein möglicher Deal aussehen könnte, ließ Kaeser offen. Dass die Franzosen das Zuggeschäft und Siemens das Energiegeschäft des jeweils anderen übernehmen könnten, um zwei europäische Champions zu formen, bezeichnete Kaeser nur als Hypothese. Allerdings sagte er auch, Züge gehörten zum Kern von Siemens, den er selbst mit den drei Schlagwörtern Elektrifizierung, Automatisierung und Digitalisierung benannte. Was aus der Gesundheitstechnik wird, bleibt offen. Sie soll als eigenständige Unternehmenseinheit geführt werden. Aber: Der Markt entwickele sich weg von der Apparatemedizin hin zu Molekulardiagnostik und Biowissenschaften, sagte Kaeser. Eine Ausgliederung oder gar einen Börsengang der Sparte wollte der Manager längerfristig nicht ausschließen. Wenn sich eine größere Akquisition in diesem Bereich ergebe, könne es durchaus sein, dass Siemens das Geld lieber ins Elektrogeschäft investiere. Dann wäre ein Börsengang eine Möglichkeit zur Finanzierung.

Digitalisierung ist eines der großen Zukunftsfelder. In seiner Vision 2020 nannte Kaeser explizit ein Unternehmen: "Wir haben keine Angst vor Google, sondern großen Respekt", sagte Kaeser in Anspielung auf eine Aussage von Springer-Chef Döpfner. "Digitalsierung bedeutet und ermöglicht: Daten sammeln, Inhalte analysieren und die richtigen Schlussfolgerungen ziehen." Die Wachstumsdynamik rund um Software und Datenanalytik liege zwei- bis dreimal so hoch wie im traditionellen Hardwaregeschäft.

Größere Veränderungen können sich noch im Geschäft mit Energietechnik ergeben. Nicht nur der mögliche Alstom-Deal kann für Verschiebungen sorgen, auch der Umzug von Erlangen nach Orlando (Florida). Von dort aus soll der stark gewachsene Bereich der unkonventionellen Öl- und Gasförderung, des Frackings, vom Pumpen von Chemikalien übers Verdichten von Gas bis zum Transport als starker Markt für Siemens bearbeitet werden. Der bisher zuständige Vorstand Michael Süß wollte nicht in die USA wechseln, deshalb werde die bisherige Shell-Managerin, die Amerikanerin Lisa Davis. die Verantwortung für dieses Ressort übernehmen.

Im zweiten Quartal des Geschäftsjahres 2013/14 (bis 30.9.) hat Siemens beim Umsatz zwei Prozent auf 17,4 Milliarden Euro verloren. Der Gewinn vor Steuern stieg um zwölf Prozent auf 1,2 Milliarden Euro.

(RP)
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