Spuren führen nach China Massive Industriespionage bei Lanxess

Köln · Es könnte das Drehbuch zu einem Wirtschaftskrimi sein: Jahrelang soll ein leitender technischer Angestellter von Lanxess Geschäftsgeheimnisse des Kölner Konzerns nach China verraten haben.

Lanxess: Industriespionage bei Chemiekonzern aus Köln
Foto: dpa/Oliver Berg

Dabei ging es um das Herstellungsverfahren eines neuen, vielversprechenden Produkts. Die Staatsanwaltschaft Köln erhob im Juni Anklage gegen den ehemaligen Mitarbeiter, wie die Nachrichtenagentur Reuters von der Behörde erfuhr. Hintergrund ist eine Anzeige von Lanxess vom Sommer 2016. Das Landgericht Köln muss nun entscheiden, ob ein Hauptverfahren eröffnet wird.

Dem Angeschuldigten, ein 48-jähriger Deutscher chinesischer Herkunft, drohen bis zu vier Jahre Gefängnis. Dem Mann wird vorgeworfen, relevante Betriebsgeheimnisse über das Herstellungsverfahren des Lanxess-Produkts entwendet, per E-Mail verschickt und in China verwertet zu haben. Neben dem ehemaligen Lanxess-Mitarbeiter, dem das Unternehmen fristlos gekündigt hat, gibt es einen zweiten Angeschuldigten, der die deutsche Staatsbürgerschaft hat und ebenfalls chinesischer Herkunft ist. Der 40-Jährige hat laut Anklage die Betriebsgeheimnisse entgegengenommen und war an der Verwertung in China beteiligt. Auch ihm droht eine Freiheitsstrafe von bis zu vier Jahren.

Lanxess bestätigte gegenüber Reuters, dass eine Gruppe von Personen chinesischer Herkunft vertrauliche Informationen über ein "innovatives, noch nicht umsatzstarkes Produkt" entwendet und eine kommerzielle Verwertung versucht hat. Der Haupttäter sei ein ehemaliger Mitarbeiter gewesen, der seinen Zugang zu Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen missbraucht habe. "Lanxess konnte die Täter überführen und zieht sie gerichtlich zur Verantwortung", erklärte ein Unternehmenssprecher. "Es ist Lanxess damit gelungen, Schaden für das Geschäft abzuwehren." Zu weiteren Einzelheiten wollte sich der Konzern nicht äußern.

Das Landesarbeitsgericht Düsseldorf verurteilte den ehemaligen Lanxess-Mitarbeiter bereits zu einer Schadensersatzzahlung von rund 166.677 Euro. Er muss zudem gegebenenfalls weiteren Schaden ersetzen. Die Vorwürfe hatte er vor Gericht zurückgewiesen. Allerdings: Wie aus einer Mitteilung des Landesarbeitsgerichts hervorgeht, verschickte der Mann, der seit Anfang 2010 in leitender Position war, zwischen September 2011 und März 2013 auf Chinesisch verfasste E-Mails an einen "Herrn U in China". Diese enthielten neben dem Herstellungsprozess des Lanxess-Produkts auch eine Anlageninventar- und Materialstückliste zur Herstellung.

"Herr U" wiederum soll im Mai 2013 einen Projektvorschlag für eine Produktionsanlage übersandt haben - woraufhin der damalige Lanxess-Mitarbeiter Anfang 2016 zusammen mit einem anderen Mann eine Gesellschaft zum Vertrieb des Produkts gegründet und im Internet für diese geworben habe. Er sei außerdem Gesellschafter einer GmbH gewesen, die sich mit Import und Export befasste und unter anderem mit dem kopierten Produkt aus China handelte. Den Unterlagen zufolge wirft Lanxess ihm zudem vor, dass "Herr U" in China eine Produktionsanlage errichte, die jährlich 400 Tonnen des kopierten Produkts herstellen solle. Ob der Bau abgeschlossen wurde oder die Anlage in Betrieb ist, ist nicht bekannt. Die Staatsanwaltschaft geht davon aus, dass die beiden Männer versuchten, Kunden von Lanxess abzuwerben. So sollen sie sich etwa bei Messeveranstaltungen als Konkurrenzanbieter ins Gespräch gebracht haben.

Laut Staatsanwaltschaft ist der Fall nicht nur wegen seiner grenzüberschreitenden Dimension von besonderem Interesse. Er sei vom Arbeitgeber auch in einem ungewöhnlichen Ausmaß dokumentiert worden, um die Aufklärung voranzutreiben. Zusätzlich zu den Beweisen, die Lanxess vorgelegt hatte, durchsuchte die Polizei auch Privaträume. Nach Angaben der Staatsanwaltschaft Köln gibt es neben den zwei Angeschuldigten noch einen dritten Verdächtigen, ebenfalls chinesischer Herkunft. Dieser sei aber nicht greifbar.

Die Kölner Kanzlei Birkenstock, die die beiden Angeschuldigten in dem Strafverfahren vertritt, erklärte, diese wollten sich gegenüber Reuters nicht äußern. Zu den Vorwürfen von Lanxess und der Anklage der Staatsanwaltschaft gab die Kanzlei keine Stellungnahme ab. Rechtsanwalt Martin Bücher wies aber darauf hin, dass es sich um einen hochkomplexen Sachverhalt handele und die Anklage der Staatsanwaltschaft auf "Behauptungen von Lanxess-Mitarbeitern" beruhe. Die Verteidigung zweifele die Objektivität dieser Gutachten an und werde beantragen, dass externe Sachverständige den Sachverhalt bewerten müssen.

Laut der Mitteilung des Landesarbeitsgerichts hat der ehmalige Lanxess-Mitarbeiter in dem Verfahren um Schadenersatz erklärt, bei den von ihm weitergegebenen Informationen habe es sich nicht um Betriebsgeheimnisse gehandelt. Er habe auch keine Konkurrenztätigkeit ausgeübt und keine Fertigungsanlage in China erstellt, noch beabsichtige er dies. Die Kanzlei, die den ehemaligen Lanxess-Mitarbeiter in dem zivilrechtlichen Verfahren vertrat, wollte sich auf Reuters-Anfrage - die das Landesarbeitsgericht weitergeleitet hatte - nicht äußern.

China ist der mit Abstand größte Markt für Chemikalien. Europäische Unternehmen haben sich in den vergangenen zehn Jahren stark auf das boomende Geschäft im Land der Mitte verlassen. Allerdings wuchsen dort zuletzt in immer mehr Marktsegmenten auch starke Konkurrenten heran, etwa bei Agrarchemikalien oder Flüssigkristallen für Flachbildschirme. Der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) mahnt inzwischen zu mehr Vorsicht im Umgang mit China, deutsche Firmen sollten sich nicht zu abhängig vom chinesischen Markt machen, heißt es im Entwurf eines Grundsatzpapiers des BDI, der Reuters vorliegt. Zwar gelte es, die Chancen des wirtschaftlichen Austauschs zu nutzen. "Die Risiken, vor die uns China stellt, dürfen dabei aber nicht ausgeblendet werden." 2017 erzielte Lanxess, dessen Vorstandschef Matthias Zachert Sohn des früheren Präsidenten des Bundeskriminalamts ist, 28 Prozent seines Umsatzes von knapp zehn Milliarden Euro in Asien.

Ausländische Unternehmen werfen China immer wieder Ideenklau und Industriespionage vor. Nach einer im September veröffentlichten Studie des Fraunhofer-Instituts für System- und Innovationsforschung ist die Chemie- und Pharmaindustrie zusammen mit dem Maschinenbau die Branche, die hierzulande am zweitstärksten von Industriespionage betroffen ist. Schlimmer trifft es nur die Elektroindustrie. BDI-Präsident Dieter Kempf warnte unlängst, insbesondere für kleine und mittelständische Unternehmen könne die Existenz auf dem Spiel stehen. Aber auch große Konzerne steckten es nicht so einfach weg, wenn Firmengeheimnisse entwendet, Produkte kopiert oder Produktionsstätten und Lieferketten sabotiert würden.

Nach Angaben des Bundesamts für Verfassungsschutz ist es wegen der engen Verflechtung von Staat und Wirtschaft in China im Einzelfall kaum möglich, zwischen staatlich betriebener Wirtschaftsspionage und Ausspähung durch konkurrierende Unternehmen zu unterscheiden. Chinesische Nachrichtendienste nutzten soziale Netzwerke wie LinkedIn für Anbahnungsoperationen im großen Stil. Angesichts der wirtschaftlichen Ambitionen Chinas dürften die Spionageaktiväten des Landes weiter zunehmen, wie aus dem im Juli veröffentlichten Verfassungsschutzbericht hervorgeht. Eine immer größere Rolle spielten dabei Cyberangriffe.

Das Beispiel Lanxess zeigt jedoch, dass Gefahren auch von den eigenen Mitarbeitern ausgehen können. Hier kam der Angriff von innen. Nach Angaben der Staatsanwaltschaft erhielt der Mitarbeiter dank seines Aufstiegs bei Lanxess weitreichende Zugriffsrechte auf Betriebsdaten - ausgefeilte Technologien zum Hacken der Systeme brauchte er nicht.

(felt/Reuters)
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