Interview mit RWE-Chef Jürgen Großmann "Ich hatte mich gerade an Guttenberg gewöhnt"

Düsseldorf (RP). Im Interview mit unserer Redaktion spricht der RWE-Chef über den schwarz-gelben Koalitionsvertrag, die Entwicklung der Strompreise, den Neubau-Verbot für Atomkraftwerke sowie das neue Gesicht im Wirtschaftsministerium.

 Jürgen Großmann ist Vorstandschef des Essener Energiekonzerns RWE.

Jürgen Großmann ist Vorstandschef des Essener Energiekonzerns RWE.

Foto: ddp

Wie zufrieden sind Sie mit dem Koalitionsvertrag von Schwarz-Gelb?

Großmann Er ist geprägt von gesundem Menschenverstand und bewusst ideologiefrei gehalten. Das gefällt mir. Und bei den wenigen problematischen Passagen habe ich die Hoffnung, dass sich die Regierung nicht daran klammert, sondern sich auch von weiteren Sachargumenten überzeugen lässt.

So will Schwarz-Gelb zur Ankurbelung des Wettbewerbs im Notfall auch Konzerne entflechten.

Großmann Der Notfall ist aber nicht der Normalfall. Der Wettbewerb bei Strom funktioniert wesentlich besser, als oft behauptet wird. Jeder Kunde kann zwischen mindestens fünf Anbietern wählen. Hinzu kommt: Die deutsche Politik fordert auf der einen Seite nationale Champions etwa bei Banken, in der Chemieindustrie oder im Autobau. Auf der anderen Seite spricht sie von Zerschlagung bei Energieunternehmen. Das passt nicht zusammen. Auch EU-Kommissar Piebalgs hat sich gegen eine Zerschlagung ausgesprochen. RWE will den Wettbewerb, wir fördern ihn. Letzteres hat uns die EU erst jüngst bestätigt, indem sie alle wegen des Verdachts auf Marktmissbrauch eingeleiteten Ermittlungen eingestellt hat.

Gibt es einen Energiegipfel in Berlin?

Großmann Bereits vor zwei Jahren habe ich einen Energiepakt zwischen Unternehmen, Großverbrauchern und Politik vorgeschlagen. Das Angebot steht weiter. Wir brauchen sachorientierte Debatten und keine Gipfel, die zur Befriedigung des Medieninteresses auf möglichst viele Teilnehmer setzen.

Was halten Sie vom Wechsel im Wirtschaftsministerium?

Großmann Guttenberg war ein guter Wirtschaftsminister. Wir hatten uns gerade aneinander gewöhnt. Er ist seinen Weg gegangen, ohne populistisch zu sein. Aber auch Brüderle ist marktwirtschaftlich verankert und wird seinen Job sicher ähnlich gut machen wie sein Vorgänger.

Schwarz-Gelb will die Laufzeit von Atomkraftwerken verlängern. Was bringt das RWE?

Großmann Ich spreche lieber von Kernkraftwerken. Die Regierung will mit den Betreibern schnell eine Verständigung über Laufzeitfragen erreichen. Dies begrüßen wir und werden den Gesprächen nicht vorgreifen. Wie der Staat etwaige Mehrerlöse abschöpft und verwendet, ist allein seine Sache. Ich persönlich fände es gut, wenn wir mehr für Bildung tun würden.

Die Union spricht von der Atomkraft als Brückentechnologie, bis erneuerbare Energien weiter sind . . .

Großmann Es sollte aber eine lange Brücke sein. Baugleiche Reaktoren laufen in den Niederlanden, Frankreich oder Belgien 60 Jahre und mehr. In den USA sind sogar 80 Jahre im Gespräch. Dies ist kein Präjudiz für die deutsche Diskussion, aber es ordnet die derzeitige Laufzeitbegrenzung von 32 Jahren ein. Wir bleiben da unter unseren volkswirtschaftlichen Möglichkeiten.

Die Koalition bekräftigt das Neubau-Verbot von Atomkraftwerken. Schade?

Großmann Nein. Es würde die deutsche Gesellschaft überfordern, neben einer Laufzeitverlängerung auch noch über neue Kernkraftwerke zu diskutieren.

Senkt RWE 2010 den Strompreis, nachdem die Rohölpreise 2008/09 gesunken sind?

Großmann Das hängt von der weiteren Entwicklung des Marktes ab. Die Preise können steigen, fallen oder gleich bleiben.

Aber Sie haben die Strommengen für 2010 doch längst eingekauft ...

Großmann Stimmt, aber dies geschieht über einen längeren Zeitraum. Zum Teil haben wir zu Preisen eingekauft, die oberhalb des heutigen Börsenpreises liegen. Außerdem mischt der Staat auch kräftig mit. 43 Prozent des Strompreises hat er zu verantworten, und die Abgaben für erneuerbare Energien steigen 2010 um drei Milliarden Euro. Auch die staatlich regulierten Netzentgelte werden erhöht.

Sie haben RWE seit 2007 kräftig umgebaut. Ist das Ende der Fahnenstange erreicht?

Großmann (lacht) Wir haben doch gerade erst angefangen. RWE soll da stärker werden, wo die Zukunft liegt. Stichworte sind der massive Ausbau erneuerbarer Energien, das ganze Spektrum der Energieeffizienz einschließlich Elektroauto sowie neue, kundenfreundliche und klimaschonende Produkte wie die Wärmepumpe. Tradition allein ist kein Grund, an einer Organisation festzuhalten. Für die Arbeitsplätze trägt diese Strategie schon Früchte. RWE beschäftigt heute mehr Mitarbeiter als zu meinem Amtsantritt, auch in Deutschland. Außerdem sichern unsere Investitionen zehntausende Stellen bei Zulieferern.

Sie haben den Vertrag gekündigt, der Mitarbeitern ein Strom-Deputat gewährt. Das sorgt für Unruhe.

Großmann Dies gilt nur für Neueinstellungen. Wenn wir ein moderner Konzern sein wollen, müssen wir Regelungen überprüfen können, die uns auf Jahrzehnte hohe Kosten aufbürden. Wir haben 70 000 Stromdeputat-Berechtigte, davon sind 40 000 Pensionäre. Und es gibt 20 verschiedene Regeln. Das bedeutet viel Bürokratie. Lieber entwickele ich mit Mitarbeitern ein einfacheres und kostengünstigeres Modell.

Das Gespräch mit Jürgen Großmann führten Sven Gösmann und Antje Höning

(RP)
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