Ex-RWE-Chef Großmanns-Sucht

Düsseldorf · Wie Ex-RWE-Chef Jürgen Großmann versuchte, große Teile des Stahlgeschäfts von Thyssenkrupp zu übernehmen.

Jürgen Großmann beim Staatsbankett für die Queen im Berliner Schloss Bellevue im Juni 2015.

Jürgen Großmann beim Staatsbankett für die Queen im Berliner Schloss Bellevue im Juni 2015.

Foto: imago stock&people

Jürgen Großmann ist schlecht gelaunt. Die Kellner sind nicht schnell genug, der Wein ist nicht richtig temperiert, und auch sonst kann es ihm an diesem Tag im Juni 2014 keiner recht machen. Seine Bass-Stimme donnert durch den Raum, als ginge es um mehr als nur ein gutes Essen für Gäste. Dabei könnte es der 63-Jährige jetzt endlich ruhiger angehen lassen, könnte entspannen und die neue Freiheit genießen, seit er nicht mehr an der Spitze von RWE steht. Doch davon scheint er weit entfernt.

Zu diesem Zeitpunkt ahnt kaum jemand, dass Großmann gerade zu einem Coup ansetzt, der sein größter werden könnte. Ein Coup, der die deutsche Industrielandschaft für immer verändern würde. Nach Informationen unserer Redaktion sondierte der Stahlmanager im Sommer 2014 die Übernahme großer Teile des Stahlgeschäfts von Thyssenkrupp, wie erst jetzt bekannt wurde. Ein Mega-Deal wäre das, ein Geschäft, das Großmann trotz seines beträchtlichen Privatvermögens kaum allein stemmen könnte: Mehr als zehn Milliarden Euro ist das gesamte Stahlgeschäft wert, schätzen sie in der Stahlindustrie. Hinzu kämen weitere Milliarden an Pensionsverpflichtungen.

Es wäre Großmanns Meisterstück, der krönende Abschluss einer Managerlaufbahn, die zuletzt viel von ihrem Glanz verloren hat. Mehr noch: Großmann könnte sich als Retter der deutschen Stahlindustrie feiern lassen. Er würde in derselben Liga spielen wie einst Gerhard Cromme, der mit Krupps Angriff auf Hoesch und später auf Thyssen gleich zweimal vorgemacht hat, wie sogar einer mit leerem Geldbeutel den deutlich größeren Rivalen schlucken kann. Und nebenbei würde Großmann mit der Übernahme wohl auch die Zukunft seiner eigenen Georgsmarienhütte-Gruppe (GMH) sichern.

Auf der Suche nach Verbündeten soll er bei seinen GMH-Aufsichtsräten und bei Vertrauten in Klöckner-Kreisen angeklopft haben. Noch immer hält Großmann zu früheren Kollegen Kontakt. Ein festes Ritual etwa ist das alljährliche Tontaubenschießen in der Nähe von Castrop Rauxel. Die Bewunderung früherer Gefolgsleute ist ihm dort gewiss. Sie haben nicht vergessen, wie er vor 23 Jahren das marode Stahlwerk Georgsmarienhütte zum symbolischen Preis von zwei D-Mark von Klöckner übernahm. Er hatte erkannt, dass die Hütte nur eine Chance hat, wenn sie Stahl aus Schrott herstellt. Entgegen allen Prognosen hatte Großmann Erfolg: Das Stahlwerk schreibt - anders als zwischenzeitlich die Unternehmensgruppe - schwarze Zahlen.

Deutschlandweit feierten sie Großmann für diesen Erfolg. Er, der Flegel und Rebell unter den Stahlbaronen, hatte es ihnen gezeigt. Jetzt zahlte es sich aus, dass er ihre Konventionen von seinem ersten Arbeitstag an in Frage gestellt hatte. "Innere Arroganz", nennt diese Haltung einer, der ihn gut kennt.

Wer Jürgen Großmann in seinen ersten Tagen als Vorstandsassistent bei Klöckner erlebt hat, kann sich gut an dessen Auftreten erinnern. Am Konferenztisch habe er sich gefläzt, nicht weit davon entfernt, sein Bein über die Stuhllehne zu hängen. Jackett und Hose saßen nicht, und die Krawatte war so locker gebunden, dass sie ihm fast wie eine lose Schlinge um den Hals gehangen habe. Und das in der Stahlindustrie, wo genau vorgeschrieben war, dass die Hemdsärmel nur genau zwei Zentimeter unter den Anzugjacken hervorschauen durften. Seine Chefs verziehen es ihm, weil er oft auch die besseren Argumente hatte.

"Eigentlich ist er bis heute so geblieben", heißt es über den Zwei-Meter-Mann in der Branche. So ungebärdig, so laut, mit diesem Hang zur Übertreibung in jeder Hinsicht. Beim Essen, beim Trinken, und auch bei dem, was er sich so zutraut. Das habe ihm nicht immer gut getan - die Episode als Vorstandschef bei RWE etwa hätte er sich besser erspart, heißt es in seinem Umfeld.

Nicht wenige warnten ihn vor dem Wechsel zu RWE: Der Vorstandschef eines Dax-Konzerns, zumal aus der Energieindustrie, steht unter immerwährender öffentlicher Beobachtung. Bei einem wie Großmann, der gern provoziert und polarisiert, kann das leicht schief gehen. Doch RWE zählt zum industriellen Großadel in Deutschland ähnlich wie Thyssen oder einst Krupp. Wer an der Spitze dieser Konzerne steht, hat es geschafft, ist ganz oben angekommen. Dieser Versuchung konnte der Junge aus kleinen Verhältnissen in Mülheim an der Ruhr offenbar nicht widerstehen. Was ihn an dem Job denn gereizt habe? "Gefragt worden zu sein und zur Veränderung der Energie- und Infrastruktur beizutragen", sagt er.

Es ging nicht gut aus: Bei RWE habe Großmann das Glück verlassen, sagen frühere Weggefährten. Als nach Fukushima der Ausstieg aus der Atomkraft verkündet wurde, schien es, als käme Großmann nicht mehr mit. Lange kämpfte er noch für Atomkraftwerke. Unter Großmann verlor RWE Milliarden an der Börse. In Erinnerung blieb sein opulenter Lebensstil: Den Abschied als RWE-Chef etwa feierte er mit 300 Begleitern im Schweizer Luxushotel Arosa, das ihm gehört. Beim Weltwirtschaftsforum in Davos lud er regelmäßig zu Skirennen. Das Ende seiner 1000-tägigen Abstinenz vom Alkohol, die er seiner Frau zuliebe als RWE-Chef angetreten hatte, feierte er mit einer riesigen Gartenparty auf seinem Jagdgut Winnekendonk. Geschäftsfreunde lud er zu Oldtimer-Rennen ein, er selbst besitzt einen großen Fuhrpark.

Seit Großmanns Vertrag bei RWE 2012 auslief, wurde es still um ihn. Anders als in der Deutschland AG üblich sammelte er nicht viele bedeutende Aufsichtsratsmandate - bis auf den RAG-Stiftungsvorsitz und die Deutsche Bahn. Er ließ sich einen Vollbart stehen und erzählte von Törns auf den Ozeanen, von Knöpfen an Segeluniformen, von seinem Drei-Sterne-Restaurant "La Vie" in Osnabrück und natürlich von seiner Georgsmarienhütte-Gruppe. Die war in seiner Zeit bei RWE unübersichtlich geworden mit einigen Töchtern, die Verluste schrieben. Er zog sie trotzdem mit durch - ein Ansatz, der ihm in der SPD Freunde einbrachte. Kaum ein Unternehmer ist so gut in der Partei vernetzt wie Großmann. Bis heute drischt er Skat mit Ex-Kanzler Gerhard Schröder und anderen SPD-Granden.

Am Ende mag Großmann seine guten Kontakte, auch zur Gewerkschaft, überschätzt haben. Er wusste, dass er die NRW-Landesregierung mit ins Boot holen musste, damit ihm die Übernahme von Thyssenkrupp-Steel gelingen konnte. Doch Regierungschefin in Düsseldorf ist heute Hannelore Kraft, und zwischen ihr und Großmann, so berichten es Beobachter, stimme die Chemie nicht. Er beschreibt das Verhältnis rein sachlich: In unregelmäßigen Abständen erörtere er mit der Ministerpräsidentin wirtschaftspolitische Themen. Großmann soll in Düsseldorf vorgefühlt haben, ob eine Landesbürgschaft möglich sei. Was er allerdings bestreitet: "Es ist nie um eine Landesbürgschaft nachgesucht worden." Dass er Thyssenkrupp Steel übernehmen wollte, dementiert er hingegen nicht: Wenn sich eine Branche konsolidiere wie die Stahlindustrie, sei es üblich, dass in jede Richtung Gespräche geführt würden, kommentierte er die Informationen. Einzelheiten würden nicht mitgeteilt. In der Landesregierung äußern sie sich nicht, auch Thyssenkrupp schweigt dazu. Bleibt nachzutragen, dass es am Ende nicht zu dem Coup kommt: "Großmanns Idee war tot, kurz nachdem sie geboren wurde", heißt es.

Den Beach-Boys-Hit "Good Vibrations" nennt Großmann den Soundtrack seines Lebens. Mit diesem Lied habe er sich als Ruhrgebietsjunge einst nach Kalifornien gesehnt. Diese "Good Vibrations" scheinen ihn zuletzt verlassen zu haben.

(RP)
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