Rund 100 Flüge gestrichen 200 Piloten von Air Berlin melden sich gleichzeitig krank

Berlin · Air Berlin sieht ihre Rettung durch die gleichzeitige Krankmeldung vieler Piloten in Gefahr. Denn mitten im Verkaufsprozess musste die insolvente Fluggesellschaft am Dienstag rund 100 Flüge streichen und dürfte damit weiteres Vertrauen bei ihren Kunden verloren haben.

 Passagiere warten an einem Serviceschalter von Air Berlin auf dem Flughafen Tegel in Berlin.

Passagiere warten an einem Serviceschalter von Air Berlin auf dem Flughafen Tegel in Berlin.

Foto: dpa, paz fux

"Heute ist ein Tag, der die Existenz der Air Berlin bedroht", schrieb Flottenchef Oliver Iffert in einem Brief an die Belegschaft, der der Nachrichtenagentur Reuters vorlag. Tausende von Passagieren würden vergeblich auf ihren Abflug warten. Viele Kunden machten ihrem Ärger in den Sozialen Netzwerken Luft. "In einem schlechteren Licht kann ein Unternehmen gar nicht dastehen als die Air Berlin am heutigen Tage", schrieb Iffert.

Reaktion auf angeblich abgebrochene Gespräche über Zukunft der Piloten

Am Freitag läuft die Frist für Angebote für die insolvente Fluglinie aus. Der Grund für die Flugstreichungen sei eindeutig, erklärte Air Berlin: "Es gibt heute rund 200 Krankmeldungen im Cockpit, vor allem von Kapitänen." Die "Bild"-Zeitung berichtete, Hintergrund sei, dass am Montag Verhandlungen zum Übergang von 1200 der 1500 Air-Berlin-Piloten auf den potenziellen neuen Käufer von der Geschäftsführung abgebrochen worden seien. Ein Air-Berlin-Sprecher dementierte dies allerdings. Vielmehr gebe es am Dienstag Gespräche mit der Pilotengewerkschaft Vereinigung Cockpit (VC).

Die Gewerkschaft erklärte, sie habe Piloten nicht dazu aufgerufen, sich krankzumelden. Sozialplanverhandlungen über einen geregelten Übergang des Personals seien der einzige Weg, um viele Jobs zu erhalten.

Air Berlin strich am Dienstag eine Reihe von Flugverbindungen. Betroffen waren auch die Flughäfen Köln und Düsseldorf. Hier wurden allein mehr als 47 ankommende und abgehende Air-Berlin-Flüge annulliert. Hier finden Sie eine Übersicht aller an den Flughäfen Köln und Düsseldorf gestrichenen Air-Berlin-Flüge.

Ein legales Arbeitskampfmittel sind solch kollektive Krankmeldungen nicht, wie der Bonner Arbeitsrechtsprofessor Gregor Thüsing sagt. Das Problem ist jedoch, dass ein Unternehmen eine "Go Sick"-Aktion in der Praxis nicht nachweisen kann.

Die kollektive Krankmeldung als Ausdruck von Angst und Wut sei zwar "offensichtlich rechtlich unzulässig", sagt der Berliner Arbeitsrechtler Robert von Steinau-Steinrück, der zu dem Thema einen Aufsatz in der Neuen Juristischen Wochenzeitschrift veröffentlicht hat. Wer sich krankmeldet, ohne es zu sein, begeht Vertragsbruch und kann außerordentlich gekündigt werden.

Der Arbeitgeber jedoch hat wenig Möglichkeiten zur Überprüfung: Er muss im Einzelfall für jeden Arbeitnehmer nachweisen, dass eine Krankmeldung nur fingiert war, wie Arbeitsrechtler Thüsing betont. Von Steinau-Steinrück verweist darauf, dass Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen, die ein Arbeitnehmer meist nach drei Kalendertagen vorlegen muss, eine "fast unerschütterliche Beweiskraft" zugesprochen werde - auch hier habe der Arbeitgeber kaum eine Chance, diese zu widerlegen.

Eine Gewerkschaft haftbar zu machen, ist "ebenfalls schwer", sagt von Steinau-Steinrück. Wäre eine kurzfristige kollektive Krankmeldung gesteuert, dann wäre sie ein wilder Streik, wer dazu aufruft, hat Schadenersatzpflicht. Deshalb wohl erklärte die Pilotengewerkschaft Vereinigung Cockpit am Dienstagmorgen umgehend, sie habe bei Air Berlin "zu keinem Zeitpunkt dazu aufgerufen, sich krankzumelden".

Eine Haftung käme wohl auch ziemlich teuer: Laut von Steinau-Steinrück kann sich eine Fluggesellschaft bei der Krankmeldung zahlreicher Piloten nicht auf außergewöhnliche Umstände berufen - muss also im Ernstfall Entschädigungen für die Passagiere und ihre eventuelle Ersatzbeförderung zahlen.

Der Berliner Arbeitsrechtler nennt die kollektive Krankmeldung zusammenfassend ein "extrem schlaues Mittel". Zuletzt zu beobachten war es im vergangenen Herbst, als Piloten und Kabinenpersonal des Ferienfliegers Tuifly mehrere Tage lang für Verspätungen und Ausfälle sorgten. Im November 2015 kämpfte die Lufthansa kurz vor einem regulären Streik der Flugbegleiter mit dem Problem - wenn auch in deutlich geringerem Ausmaß.

"Go-Sick"-Aktion kostet Air Berlin mehrere Millionen Euro

Air Berlin hatte Mitte August Insolvenz angemeldet, weil der Großaktionär Etihad den Geldhahn zudrehte. Nun lotet der Sachwalter Lucas Flöther zusammen mit dem Management Lösungen für eine Sanierung aus. Interessenten können ihre Angebote bis zum 15. September abgeben. Eine Entscheidung über den Verkauf der Airline als Ganzes oder Teile davon könnte kurz danach fallen. "Unser Ziel ist, dass wir bereits im Gläubigerausschuss am 21. September zu konkreten Entscheidungen kommen", schrieb Chief Operations Officer (COO) Iffert. Deshalb seien die "heutigen Ereignisse pures Gift."

Der Generalbevollmächtigte des Unternehmens, Frank Kebekus, ergänzte: "Wenn sich die Situation nicht kurzfristig ändert, werden wir den Betrieb und damit jegliche Sanierungsbemühungen einstellen müssen." Die Flugausfälle könnte zu einem Verlust zwischen vier und fünf Millionen Euro führen, sagte ein Brancheninsider. Darüber hatten auch die B.Z. und "Bild"-Zeitung berichtet. Konzernchef Thomas Winkelmann sagte nur: "Der heutige Tag kostet uns mehrere Millionen Euro." Die Airline müsse nun schnellstmöglich wieder zu stabilen Betriebsabläufen zurückfinden, mahnte Flottenchef Iffert. "Das ist die zwingende Voraussetzung dafür, die laufenden Verhandlungen mit den Investoren zu einem positiven Abschluss zu bringen." Alles andere gefährde das Ziel, möglichst viele Arbeitsplätze zu erhalten.

Verdi zeigte derweil Verständnis für die Krankmeldungen. Sie seien "in dieser Situation keinesfalls verwunderlich". Es sei nicht auszuschließen, dass es auch bei anderen Beschäftigten dazu kommen könne. Die Gewerkschaft rief die Beschäftigten zugleich auf, den Flugbetrieb weiter aufrecht zu erhalten, um ihre Arbeitsplätze nicht zu gefährden. In den Gesprächen der Investoren dürfe es nicht nur um wirtschaftliche Interessen gehen, sondern auch um die Arbeitsplätze von mehr als 8000 Beschäftigten. "Angst und Wut der Air Berliner eskalieren, weil es hier um Existenzen ganzer Familien geht", warnte Verdi-Bundesvorstand Christine Behle.

Zuletzt musste Air Berlin schon zahlreiche Langstreckenflüge streichen, um Kosten zu sparen. Denn mangels Vertrauen der Kunden brachen die Buchungen ein und hätten somit zu einem Verlustgeschäft geführt. Erst am Montag hatte Air Berlin angekündigt, ab 25. September sein Karibik-Flugprogramm zu beenden und die Streichung von USA-Flügen vorzuziehen. Grund dafür war laut Iffert, dass ein Leasingunternehmen zehn Langstreckenmaschinen zurückhaben wollte.

Die Lufthansa hat offiziell ihr Interesse an Air Berlin erklärt. Als möglicher Käufer gilt auch die Billigairline Easyjet, während die Thomas-Cook-Tochter Condor, einem Firmeninsider zufolge ein Angebot vorbereitet. Der Unternehmer Hans Rudolf Wöhrl hat bereits eine variable Offerte abgegeben, die jedoch bei Branchenexperten auf Skepsis stieß. Er erwäge unter bestimmten Umständen rechtliche Schritte, falls er nicht zum Zuge komme, sagte Wöhrl dem Tagesspiegel.

(felt)
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