Lohnerhöhung Gesamtmetall befürchtet Tarifflucht

Böblingen/Düsseldorf · Die Arbeitgeber akzeptieren in Deutschlands wichtigstem Industriesektor einen hohen Lohnabschluss. Dafür nimmt die IG Metall Abstriche bei der Bildungsteilzeit in Kauf.

 Nach massiven Warnstreiks hat die IG Metall am Dienstagmorgen mit den Arbeitgebern einen Abschluss erzielt.

Nach massiven Warnstreiks hat die IG Metall am Dienstagmorgen mit den Arbeitgebern einen Abschluss erzielt.

Foto: cityvis

Tarifverhandlungen sind komplexe Räderwerke mit zahlreichen Stellschrauben. Bei den diesjährigen Gesprächen in der Metall- und Elektroindustrie waren die drei großen Schrauben die Lohnforderung von 5,5 Prozent bei einer Laufzeit von zwölf Monaten, die Forderung nach einer weitgehend mitbestimmten Bildungsteilzeit und neuen Regelungen für die Altersteilzeit.

Besonders die letzten beiden Themen gestalteten sich als extrem kompliziert. Die Verhandlungen dazu dauerten nach Angaben von Teilnehmern elf Stunden, erst dann wurde über Geld gesprochen. Um 5 Uhr früh setzten die Verhandlungsteilnehmer im Kongresszentrum von Böblingen ihre Unterschriften unter das Ergebnis.

Dabei akzeptierten die Arbeitgeber mit 3,4 Prozent mehr Lohn ab April und einer Einmalzahlung in Höhe von 150 Euro für die ersten drei Monate des Jahres eine vergleichsweise großzügige Erhöhung. Über die Laufzeit von 15 Monaten gerechnet ergibt sich so ein Plus von 3,3 Prozent. Bei einem Durchschnittslohn von 4180 Euro sind das rund 140 Euro mehr im Monat. Die IG Metall in NRW kündigte am Abend an, den Abschluss der Kollegen aus dem Südwesten zu übernehmen — die Tarifkommission muss dem allerdings noch zustimmen. Für die Metall-Betriebe in NRW bedeutet dies eine deutlich stärkere finanzielle Belastung. Nach Angaben des Arbeitgeberverbandes Metall NRW führt der Abschluss bei den hiesigen Unternehmen zu einer Milliarde Euro mehr im Jahr.

Knut Giesler, IG-Metall-Bezirkschef von NRW, begrüßte die Höhe des Abschlusses: "Die höheren Entgelte tragen zu einer verstärkten Binnennachfrage bei und führen zu einem spürbaren Reallohnanstieg." Dagegen sagte Gesamtmetall-Chef Rainer Dulger, die Arbeitgeber seien "bis an die Grenze des Möglichen gegangen". Die Löhne in der Branche seien in den vergangenen vier Jahren um nahezu 14 Prozent gestiegen. Er warnte davor, dass einige Unternehmen den Arbeitgeberverband Tarifflucht betrieben könnten. "Die Lohnzahlung ist zu hoch", sagte auch Metall-NRW-Präsident Arndt Kirchhoff unserer Redaktion. Firmen, die überfordert seien, hätten aber die Möglichkeit aufgrund der geltenden Abweichungstarifverträge mit ihren Betriebsräten Ausnahmen vereinbaren zu können.

Dass sich die Arbeitgeber auf die insgesamt 3,3 Prozent einließen, lag an der Stellschraube Bildungsteilzeit. Die IG Metall hatte weitgehende Vorstellungen darüber, wie Beschäftigte künftig für selbst gewählte Bildungsgänge freigestellt werden könnten. "Wir wollten keinen individuellen Anspruch, keinen Fonds und keine neuen Mitbestimmungsregeln bei der Bildung", sagte Dulger. All dies sei erreicht worden.

Sein Verband scheiterte aber mit dem Versuch, die Altersteilzeitquote von vier Prozent der Belegschaft zu halbieren. Dies wehrte die IG Metall ab und setzte durch, dass die Bezieher geringer Einkommen künftig rund 90 Prozent ihres bisherigen Nettolohns während der Altersteilzeit erhalten. Nach Angaben eines Gesamtmetall-Sprechers geschehe dies aber ohne zusätzliche Kosten für die Unternehmen.

Aus Arbeitgebersicht wurde der Lohnabschluss zudem durch die Abwendung eines mehrfach angedrohten unbefristeten Streiks gerechtfertigt. Die Metall-Arbeitgeber benötigen nach der massiven Warnstreikwelle Ruhe — nicht nur fürs Geschäft, sondern für anstehende Verhandlungen. Denn sie führen mit der IG Metall Gespräche über neue Arbeitszeitmodelle.

Es sei nicht mehr zeitgemäß, in einer globalisierten Welt, in der Kunden aus den USA erst wegen der Zeitverschiebung am Abend erreicht werden können, noch Zuschläge zu zahlen, so Dulger. Als Beispiel nannte er auch den Beschäftigten, der sein Kind nachmittags von der Kita abhole und sich erst dann für die Home-Office-Arbeit an den Rechner setze. Genau für solche Fälle müssten sich beide Seiten auf neue Modelle einigen. Der nächste Konflikt scheint damit bereits programmiert.

(maxi)
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