Pressestimmen zum Bahn-Streik "Weselsky hat seine Gewerkschaft endgültig auf dem Abstellgleis geparkt"

Die Lokführergewerkschaft GDL sorgt mit ihrem neuerlichen Streik für Unmut an allen Fronten. Auch die Kommentatoren der Zeitungen haben sich mit dem Bahn-Streik beschäftigt. Wir haben uns im deutschen Blätterwald umgesehen.

Stuttgarter Nachrichten: "Die Gewerkschaft behauptet nicht einmal, dass es ihr noch um Lohnprozente gehe – ihr erklärtes Ziel ist es vielmehr, ihr Revier zu vergrößern und auch für andere Beschäftigtengruppen Tarifverträge abzuschließen. Damit will sie der Konkurrenzgewerkschaft EVG Mitglieder abspenstig machen. Kommt es so, wird das heutige Chaos zur Dauereinrichtung, denn dann werden die Gewerkschaften einander mit ihren Forderungen auf dem Rücken der Bahnfahrer überbieten. Nach jahrelangem Zögern von Bundeskanzlerin Angela Merkel arbeitet die Bundesregierung nun mit Hochdruck an einem Gesetz zur Tarifeinheit, das Weselskys Alleingang stoppt. Möglicherweise will er nun noch schnell Fakten schaffen und die Bahn in die Knie zwingen. Man kann nur wünschen, dass die Politik ihr Tempo beibehält und den verantwortungslosen Gewerkschaftschef zügig in seine Schranken verweist."

Augsburger Allgemeine: "An einem Kompromiss scheint Weselsky gar nicht interessiert zu sein. Es geht ihm offensichtlich allein darum, sein Geltungsbedürfnis zu befriedigen und als alleiniger Sieger aus dem Rennen zu gehen. Mit dieser Taktik aber fährt der GDL-Chef letztlich aufs Abstellgleis. Denn er verspielt nicht nur das Verständnis der Bahnkunden. Er schadet vor allem den Lokführern."

Berliner Morgenpost: "Es sollte ein Wochenende werden, an dem die Welt noch einmal nach Berlin schaut – und eine Weltstadt sieht, die an den friedlichen Fall der Mauer vor 25 Jahren erinnert. Zwei Millionen Gäste aus aller Welt werden in Berlin erwartet. Eigentlich ein Tag der Freude. Aber es gibt offenbar einige wenige, die den Anlass nutzen, um größtmöglichen Schaden anzurichten: die Gewerkschaft der Lokführer (GDL). Der Streik ist in dieser Art und Weise – man muss es so sagen – eine Frechheit."

Eisenacher Presse: "109 Stunden Streik sind wahrlich rekordverdächtig. Dass die GDL tatsächlich den Schneid hat, ihren Arbeitgeber Bahn derartig zu erpressen, macht sprachlos. Ein derartiger Streik dürfte der Bahn nachhaltig schaden, wenn er tatsächlich umgesetzt wird. Er könnte aber auch ein Mittel sein, um dem Konzern in letzter Minute Zugeständnisse – etwa das Verhandlungsmandat für die Zugbegleiter – abzupressen. Die Streikandrohung könnte also ein Mittel sein, um den Streik zu einem hohen Preis für die Bahn zu verhindern. Das ist nicht erfreulich, aber eine konsequente Fortsetzung der Strategie der GDL, die offenbar nur mit einem Sieg auf ganzer Linie leben könnte und jeglichen Kompromiss ablehnt, der nicht allein zu ihren Gunsten ausfällt."

Kieler Nachrichten: "Nicht die Bahn ist Weselskys eigentlicher Gegner, sondern die Konkurrenzgewerkschaft EVG. Mit dem Versuch, den Konzern zu einem Abschluss nicht nur für die Lokführer, sondern für das gesamte Zugpersonal zu zwingen, missbraucht die GDL ein Grundrecht. Das Ziel: Machtmaximierung. Wer so überdreht, verdient die klare Rückmeldung von Politik und Bahnkunden gleichermaßen: Schluss jetzt!"

Der Tagesspiegel: "Mit seinem Crashkurs ohne Rücksicht auf Verluste richtet Claus Weselsky immer größeren Schaden an. Die GDL will Stärke beweisen und so den Zugbegleitern und anderen Bahn-Beschäftigten zeigen, dass sie bei der Lokführergewerkschaft besser aufgehoben wären als bei der Konkurrenztruppe EVG. Die Tarifforderungen nach mehr Geld, die auch noch im Raum stehen, laufen verglichen mit dem Kampf um Macht und Einfluss unter ferner liefen, sie bieten der Gewerkschaft nur das rechtliche Alibi für den Streik. Doch das ist riskant. Denn das Streikrecht ist ein hohes Gut. Es ist verfassungsrechtlich geschützt und soll Waffengleichheit zwischen Arbeitnehmer- und Arbeitgebervertretern garantieren. Es setzt aber auch Augenmaß voraus. Streiks, damit sich kleine Gewerkschaften endlich mal groß fühlen, gehören nicht dazu."

Rheinische Post: "Spätestens jetzt darf man Claus Weselsky, dem umstrittenen Chef der Lokführer-Gewerkschaft GDL, getrost Realitätsverlust attestieren. Anders als Weselsky glaubt, hat er die öffentliche Meinung längst nicht mehr hinter sich. Ihm weht der Wind frontal ins Gesicht. Außer beim Beamtenbund, der Dach-Organisation der GDL, hat jetzt niemand mehr Verständnis für die Lokführer. Am wenigsten die Bahn-Kunden, die ihre Pläne und Termin-Verpflichtungen umstellen müssen. Für die Ewigkeit von 4,5 Tagen liegt auch der Güterschienenverkehr bundesweit lahm – das wird der Wirtschaft schaden, vor allem aber der Bahn. Weil sie die Arbeitgeberin der Lokführer ist, schadet die Gewerkschaft gerade auch ihnen und damit sich selbst."

Berliner Zeitung: "Es geht nicht allein um ein paar Tausend Lokführer und einen machthungrigen Gewerkschaftschef. Machte die GDL-Taktik Schule, würde innerhalb der Gewerkschaften ein Wettbewerb um die härteste Gangart und militanteste Wortwahl, um unerschütterliche Verhandlungspositionen und die vermeintlich besten Ergebnisse ausbrechen. Die Verlässlichkeit der deutschen Gewerkschaften wären dahin, mit am Ende bösen Folgen für die Arbeitnehmer. Insgesamt geriete so das erfolgreiche deutsche Modell der Sozialpartnerschaft und Flächentarifverträge in Gefahr. Konfrontation träte an die Stelle des Kompromisses."

Neue Westfälische (Bielefeld): "Nun eskaliert der Tarifstreit bei der Bahn vollends. Bis zum kommenden Montag legt die Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) den Schienenverkehr still. Diese rekordverdächtige Blockade der Züge wird schmerzliche Folgen zeitigen. Womöglich geht einigen Fabriken auch das Material aus. Mit diesem Ausstand nimmt die GDL einen volkswirtschaftlichen Schaden in Kauf, nicht nur den der Arbeitgeber in diesem Konflikt. Bedenklich ist die Kompromisslosigkeit, mit der GDL-Chef Claus Weselsky vorgeht. Er ist bislang keinen Millimeter von seiner Maximalforderung abgerückt. Und das wird wohl auch so bleiben. Dieses Verhalten entspricht nicht den Gepflogenheiten der deutschen Tarifpolitik. Diese ist von einer erheblichen Kompromissfähigkeit geprägt. Dazu gehört eben auch die Preisgabe mancher Ziele zum Nutzen des Ganzen."

Süddeutsche Zeitung: "Selbstverständlich hat die GDL das Recht, für alle ihre Mitglieder Tarifgespräche zu führen. Anders als Weselsky es darstellt, spricht die Bahn ihr das auch gar nicht ab. Alles, was sie fordert, ist ein bisschen guter Wille zur Kooperation – von der GDL genauso wie von der EVG. Wem wäre auch damit gedient, wenn im Betrieb Zwietracht herrscht, weil die einen Kollegen längere Schichten haben als andere, die anderen dafür aber kürzere Wochenenden? Ein gutes Ziel, um dafür tagelang zu streiken, ist das jedenfalls nicht."

Neue Osnabrücker Zeitung: "Wer stoppt die Lokführer? Unter der Führung ihres Gewerkschaftsvorsitzenden Claus Weselsky haben sie jedes Maß verloren. 98 Stunden lang wollen sie den Personenverkehr bei der Bahn lahmlegen, 109 Stunden lang den Güterverkehr. Das wird bittere Folgen haben. Leidtragende sind nicht nur Zehntausende von Reisenden und zahllose Unternehmen, die für ihre Produktion auf pünktliche Transporte angewiesen sind. Darüber hinaus droht der bewährten Sozialpartnerschaft Schaden. Deutschland, das war bisher das Land verlässlicher und verantwortungsvoller Gewerkschaften, die den Arbeitgebern harte, aber faire Partner waren. Doch was macht die GDL? Aus reiner Geltungssucht treibt sie einen Tarifstreit auf die Spitze, der längst hätte beendet werden können."

Badische Zeitung: "Das Land wird vier Streiktage überstehen. Aber wie geht es dann weiter? Dauert der nächste Streik zwei Wochen und gefährdet die Industrieproduktion massiv? Es gibt nur zwei realistische Szenarien. Entweder knickt die Bahn ein und schließt konkurrierende Tarifverträge mit beiden Bahngewerkschaften ab oder es wird ein Kompromiss erzielt, bei dem die beiden Gewerkschaften ein Prozedere für gemeinsame Verhandlungen vereinbaren. Das wäre vernünftig. Mit der aktuellen GDL-Führung wird das indes nicht möglich sein. Sie siegt auf ganzer Linie oder wird aufs Abstellgleis geschoben. Wenn sie sich nicht bewegt, gehört sie dort auch hin."

Südwest-Presse (Ulm): "Eine kleine Gruppe muss sich den Vorwurf gefallen lassen, sie schikaniere ganz Deutschland. GDL-Chef Claus Weselsky will nicht ernsthaft verhandeln, sondern seine Forderungen zu 100 Prozent durchsetzen: Er will einen Tarifvertrag nicht nur für die Lokführer, sondern für das gesamte Zugpersonal. Da habe die GDL die Mehrheit, behauptet Weselsky einfach. Doch den Nachweis verweigert er. Das ist genauso dreist wie sein gesamtes Vorgehen in dem Kampf mit der Deutschen Bahn. Die Situation ist im wahrsten Sinne des Wortes verfahren."

Darmstädter Echo: "Die Bahn kann dem Erpressungsversuch der GDL nicht nachgeben. Sonst macht sie sich die andere Gewerkschaft zum Feind – mit unabsehbaren Folgen. Eine Lösung des Konflikts muss aus der GDL selbst kommen. Für die Lokführer hat sie in den vergangenen Jahren eine Menge erreicht. Das alles setzt die Spitze aber nun aufs Spiel. Sollte Claus Weselsky nicht selbst zur Vernunft kommen, tun dies hoffentlich die Mitglieder. Oder wollen sie sich für die Alles-oder-Nichts-Strategie ihres Vorsitzenden verheizen lassen?"

Donaukurier (Ingolstadt): "Die eigentlich Leidtragenden sind ohnehin die Fahrgäste. Für Millionen wird der Weg zur Arbeit in den kommenden Tagen zur Qual. Entweder sie stellen sich in den Stau oder sie nehmen gezwungenermaßen frei. Und die Reisenden können sich in Fernbusse quetschen, wenn sie denn einen Sitzplatz erhalten. Eines ist sicher: Auf Verständnis können die Lokführer nicht mehr hoffen."

Kölnische Rundschau: "Bevor sich Weselsky wieder diffamiert fühlt: Ja, natürlich darf seine GDL die Bahn und ihre Kunden schädigen und die Arbeitsplätze ihrer eigenen Mitglieder gefährden. Das erste ist das legitime Ziel, das zweite oft das unerwünschte Ergebnis von Arbeitskämpfen. Und die Streiks werden noch andere unerwünschte Folgen haben, zum Beispiel ein für Spartengewerkschaften nachteiliges Gesetz zur Tarifeinheit, das Arbeitsministerin Nahles im Windschatten des Konflikts vorantreibt. Weselsky hat den Konflikt so unklug eskalieren lassen, dass er bis auf die Knochen blamiert dasteht, wenn Bahn und Konkurrenzgewerkschaft EVG nicht bedingungslos kapitulieren. Er kämpft so rücksichtslos, weil er nichts mehr zu verlieren hat. Denn er hat sich als Spitzenvertreter eines Tarifpartners disqualifiziert."

Offenburger Tageblatt: "Der Vorstand der Deutschen Bahn weiß, dass Weselsky der Fahrtwind der öffentliche Meinung voll ins Gesicht bläst. Deswegen wird er den Forderungen der GDL, auch für das übrige Zugpersonal Tarifverträge aushandeln zu dürfen, niemals nachgeben. Damit hat Claus Weselsky seine Gewerkschaft endgültig auf dem Abstellgleis geparkt. Um aus dieser vertrackten Situation wieder rauszukommen, wird der GDL gar keine andere Wahl bleiben: Sie muss die Position, das Verhandlungsmandat auszuweiten, endgültig aufgeben. Mit Weselsky wird das schwer möglich sein. Deswegen muss es ohne ihn gehen. Die Gewerkschaft braucht dazu einen Lokführer, der sich dem Sachsen in den Weg stellt."

Reutlinger Generalanzeiger: "Die Bundesregierung spielt in dieser Auseinandersetzung keine gute Rolle. Mit ihrem vorgeschlagenen Tarifeinheitsgesetz hat sie einen sehr problematischen Weg beschritten und der Bahn den Rücken gestärkt. Solidarität über den Zugriff auf die Tarifautonomie herzustellen, ist mehr als schwierig. Warum sie nicht im Ansatz eine Lösung über das Arbeitskampfrecht mit den Instrumenten der Friedenspflicht, der Schlichtung und dem Gebot derVerhältnismäßigkeit gesucht hat, bleibt ihr Geheimnis. Wiederum müssen die Arbeitsgerichte entscheiden. Dieses Vorgehen kann man auch feige nennen."

Badische Neueste Nachrichten: "Wer den Tag der Maueröffnung in Berlin feiern will, muss sich nach alternativen Reisemöglichkeiten umtun. Ohne Rücksicht auf Einheits-Gefühle pokert die Lokführer-Gewerkschaft weiter mit der Bahn-Konzernspitze. Selbstverständlich haben Gewerkschaften das Recht zu streiken – nur sollten sie dabei nicht über das Ziel hinausschießen und ihr Anliegen nicht in Misskredit bringen."