Interview mit RWE-Chef Peter Terium "Für mich geht ein Traum in Erfüllung"

Düsseldorf · Beim Energiekonzern RWE wird mit dem neuen Chef ein etwas anderer Wind wehen. Peter Terium setzt mehr als sein Vorgänger auf erneuerbare Energien und dreht der Kernenergie den Rücken zu. Wir haben mit dem designierten RWE-Chef gesprochen.

Am 1. Juli werden Sie RWE-Chef. Ist das ein begehrenswerter Job, RWE hat keinen besonders guten Ruf?

Terium: Für mich geht damit ein Traum in Erfüllung. Mit der Erfahrung von zehn Jahren bei RWE kann ich sagen: Der Konzern ist besser, als er oft dargestellt wird.

Was unterscheidet Sie von Ihrem Vorgänger Jürgen Großmann?

Terium: Ein paar Kilogramm und eine andere Sozialisation. Jürgen Großmann ist als Vollblut-Unternehmer zu RWE gekommen, ich bin in einem Konzern groß geworden und arbeite stärker teambezogen.

Jürgen Großmann war für viele der "Dinosaurier der Energiewirtschaft". Was wird unter Ihnen anders?

Terium: Jürgen Großmann hat sich genauso entschieden wie für die Kernenergie auf für die Erneuerbaren eingesetzt. Was er macht, macht er konsequent. Der Ausstieg aus der Kernenergie ist abgehakt. RWE wird, auch im Ausland, keine Kernkraftwerke mehr bauen. Wir werden die Energiewende europaweit weiterhin aktiv mit gestalten.

Trotzdem klagen Sie vor dem Verfassungsgericht auf Schadenersatz. Rechnen Sie sich wirklich Chancen aus?

Terium: Wir wollen grundsätzlich klären lassen, ob der Gesetzgeber bei dem beschleunigten Kernenergieausstieg verfassungsgemäß und rechtsstaatlich gehandelt hat. Viele Experten sehen gute Erfolgschancen. In einem Rechtsstaat muss es doch möglich sein, ein staatliches Handeln vor Gericht überprüfen zu lassen. Dann dürfen wir doch auch im Interesse unserer Aktionäre nicht tatenlos zusehen — zumal es in Deutschland einen derartigen Eingriff in Eigentumsrechte von Unternehmen noch nie gegeben hat.

Wann rechnen Sie mit einem Urteil?

Terium: Das kann unter Umständen lange dauern, wie uns die Geschichte zeigt. 1986 hatte ein Verbraucher gegen den Kohlepfennig geklagt, 1994 entschied das Verfassungsgericht dann, dass dieser tatsächlich verfassungswidrig war.

Die Energiewende ist schwieriger als erwartet. Können Sie sich vorstellen, dass einige Kernkraftwerke länger laufen als geplant, weil der Ökostrom nicht schnell genug ausgebaut wird?

Terium: Das ist schwer vorstellbar. Der Atomausstieg ist per Gesetz geregelt. Dahinter steht eine breite gesellschaftliche Mehrheit. Die wird nicht mehr kippen.

Nordsee-Windparks können nicht angeschlossen werden, weil der dortige Netzbetreiber Tennet nicht allein für den Netzausbau zahlen will. Soll Tennet Subventionen bekommen?

Terium: Der Anschluss der Offshore-Windparks ist eine Aufgabe des dortigen Netzbetreibers, der für die anstehenden und bereits zugesagten Investitionen in die neuen Netze auch eine von der Bundesnetzagentur festgelegte Vergütung bekommen. Das ist keine Subvention, sondern eine staatlich festgelegte Rendite in einem regulierten Geschäft. Uns geht darum, dass die Investitionszusagen möglichst zügig umgesetzt werden.

Die Energie-Agentur Dena schätzt, dass die Strompreise bis zum Jahr 2020 um 25 Prozent steigen. Kommen wir damit aus?

Terium: Die Preisentwicklung hängt ja von vielen Faktoren ab, darum möchte ich die konkrete Zahl gar nicht kommentieren. Aber die Tendenz ist steigend. Der größte Preistreiber ist die Umlage für erneuerbare Energien. Schon jetzt zahlen Verbraucher im Jahr 14 Milliarden Euro an Subventionen für erneuerbare Energien, davon entfallen sieben Milliarden Euro auf die Solarenergie. Dazu kommen die Kosten für den Netzausbau.

Von dem Förderkuchen will RWE nun auch etwas haben und in die Photovoltaik einsteigen. Jürgen Großmann fand noch, dass Sonnenstrom aus Deutschland so sinnvoll sei wie Ananas züchten in Alaska ...

Terium: Als Steuerzahler muss man Subventionen kritisch sehen. Als Chef eines Energieunternehmens muss ich sehen, wie wir auf diese energiewirtschaftlichen Veränderungen mit neuen Konzepten reagieren. Zudem gehört RWE zu einem Viertel kommunalen Eigentümern, viele wollen mit uns beispielsweise Solarparks bauen.

Ihre Amtsvorgänger haben versucht, den Einfluss der Kommunen zu schwächen. Wollen Sie das auch?

Terium: Ich habe solche Versuche in den vergangenen Jahren nicht beobachten können. Die Kommunen sind für uns wertvolle Anker-Aktionäre. In der mehr als 110jährigen Geschichte haben die kommunalen Anteilseigner uns in allen unternehmerischen Entscheidungen immer unterstützt. Ein solcher Partner in der Region ist mir lieber als einer in Übersee. Ich fahre genauso gern zu Investorengesprächen mit dem Zug nach Dortmund wie ich nach London oder New York fliege.

Wie real ist die Gefahr einer Übernahme?

Terium: Ich sehe aktuell in unserem Sektor keine größere Konsolidierungswelle. Dennoch zählen wir nicht mehr zu den fünf wertvollsten Unternehmen Deutschlands. Unser Börsenwert hat sich in den vergangenen fünf Jahren mehr als halbiert. Damit sind wir heute rein theoretisch eine leichtere Beute als früher. Darum müssen wir alles dafür tun, den Kurs der RWE-Aktie auch wieder zu steigern.

Um RWE wertvoller zu machen, haben Sie bereits harte Entscheidungen angekündigt. Was kommt auf die Mitarbeiter zu?

Terium: Langfristig wird RWE mit weniger Mitarbeitern auskommen müssen und können. Durch den Ausstieg aus der Kernkraft entfallen fast 3000 Arbeitsplätze, durch die Modernisierung von Kraftwerken können wir vieles mit weniger Mitarbeitern erledigen.

RWE baut im Rahmen laufender Programme 8000 von 70.000 Stellen ab. Wie viele kommen noch hinzu?

Terium: Ich kann und will jetzt keine Zahlen nennen. Wir schauen uns gerade verschiedene Projekte zur weiteren Effizienzsteigerung an. Zur Halbjahres-Bilanz am 14. August werden wir mehr sagen

Können Sie Kündigungen ausschließen?

Terium: Ich will Kündigungen vermeiden, ausschließen kann ich sie aber ehrlicherweise in diesem schwierigen Marktumfeld nicht. Je flexibler die Mitarbeiter sind, desto unwahrscheinlich sind Kündigungen.

Was heißt Flexibilität?

Terium: Mitarbeiter müssen geografisch und funktional flexibler werden. Wer seinen Arbeitsplatz in Biblis verliert, könnte doch zum Beispiel auch in Niederaußem anfangen. Und wir müssen uns von Privilegien trennen.

Was für Privilegien zum Beispiel?

Terium: Ein Problem ist das Tarifgefüge im Konzern. Dadurch sind wir in einigen Bereichen teuer als wir es uns heute noch leisten können.

Manchmal ist von Energie-Beamten die Rede.

Terium: Der Begriff passt auf unsere Mitarbeiter nicht, diese Zeiten sind vorbei. Aber: Einen Strukturwandel, wie wir ihn gerade erleben, haben andere Branchen wie Bahn oder Post schon früher durchgemacht. Was uns einst als traditioneller Energieversorger möglich war, können wir uns als Unternehmen im scharfen Wettbewerb nicht mehr leisten.

Wird das nicht wie bei Eon einen Sturm der Empörung auslösen?

Terium: Vor wenigen Tagen hat der Vorstand sich mit den 300 Führungskräften in Istanbul getroffen. Die wissen, wie kompliziert die Lage ist. RWE hat unter anderem für neue Kraftwerke jahrelang mehr ausgegeben als eingenommen. Unsere Schulden liegen bei 30 Milliarden Euro, das kann so nicht bleiben. Spanische Verhältnisse wollen wir ja schließlich nicht. Aber was wir auch tun, werden wir im Dialog mit der Belegschaft umsetzen.

Sie wollen RWE bunter machen und haben eine Diversity Managerin eingestellt. Was heißt bunter?

Terium: RWE braucht mehr internationale Mitarbeiter, mehr Frauen in Führungspositionen und mehr jüngere Mitarbeiter. Zudem müssen wir sehen, wie wir genug Ingenieure und Techniker an uns binden.

Wird RWE sich eine freiwillige Frauenquote wie die Telekom geben?

Terium: Wir haben uns vorgenommen, den Anteil der Frauen von derzeit elf Prozent auf 22 Prozent im Jahr 2018 zu erhöhen. Das darf auch gerne mehr werden. Von einer starren gesetzlichen Frauenquote halte ich dagegen nichts. Das ist wie in der Mode: Eine Größe für alle passt nie. Dazu sind die Unterschiede der Branchen zu groß.

Kann ein Niederländer einen deutschen Konzern wie RWE führen?

Terium: Ja. Wir sind aber zugegebenermaßen ein Konzern, dessen Geschäft viele Schnittstellen zur Politik hat. Ich habe darum in den vergangenen Monaten viele Gespräche mit Spitzenpolitikern geführt. Für einige war ich bis dahin noch ein unbeschriebenes Blatt. Inzwischen konnte ich zeigen: Wir als gesamtes Vorstandsteam wollen die Energiewende aktiv gestalten.

Heißt ein solcher Neuanfang auch, dass Sie den von Jürgen Großmann eingeführten Slogan "VoRWEggehen" abschaffen?

Terium: Ich werde voRWEg gehen nicht abschaffen. Es ist viel mehr als nur ein Slogan. Aktuelle Studien zeigen, dass er zu einer hohen Identifikation mit RWE führt. Wir prüfen aber, ihn mit neuen Inhalten zu besetzen.

Wie kommen Sie mit der neuen Landesregierung klar?

Terium: Ich schätze Frau Kraft sehr, sie weiß um den Wert der Industrie in Nordrhein-Westfalen. Mit dem Koalitionsvertrag kann ich gut leben, auch wenn noch viele Fragen offen sind.

Die Pläne für den Neubau eines Braunkohle-Blocks im rheinischen Revier haben Sie aber bereits auf Eis gelegt ...

Terium: Sorry, so stimmt das nicht. Wir wollen dort alte Blöcke durch effiziente neue ersetzen, damit würden wir einen Beitrag zum Klimaschutz leisten. Doch so lange die Rahmenbedingungen in Bund und Land unklar sind, können wir keine endgültige Investitionsentscheidung treffen, wir müssen uns aber darauf vorbereiten. Das tun wir im laufenden Planungsverfahren.

Was schätzen Sie an der Kultur Ihrer neuen Heimat Deutschland?

Terium Begriffe wie "Gründlichkeit" und "Pünktlichkeit", für die es in anderen Sprachen gar keine passende Übersetzung gibt, stehen für hohe Verlässlichkeit. Das gefällt mir. Gleichzeitig können die Deutschen von Niederländern lernen, manchmal pragmatischer zu sein.

Antje Höning und Reinhard Kowalewsky fassten das Gespräch zusammen

(csr)
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