Deutschland Frauen sind die Gewinner der Einheit
Düsseldorf · In der Bonner Republik galten Frauen, die Kind und Familie wollten, oft als Rabenmütter. In der DDR mussten sie sich nicht rechtfertigen, sagt Evonik-Vorstand Ute Wolf. Sie ist eine der ostdeutschen Frauen, die heute Spitzenjobs haben.
Manuela Schwesig hat es geschafft. Kathrin Menges, Hauke Stars, Heike Drechsler und Ute Wolf auch. Angela Merkel sowieso. Alle sechs sind in der früheren DDR groß geworden und haben eine beeindruckende Karriere im vereinigten Deutschland gemacht. Die CDU-Frau als Kanzlerin, die SPD-Frau als Bundesfamilienministerin. Die anderen erklommen die Spitzenetagen deutscher Konzerne oder prägten den Sport: Kathrin Menges ist Personalvorstand beim Düsseldorfer Waschmittel-Konzern Henkel und damit für 50.000 Mitarbeiter verantwortlich. Hauke Stars ist bei der Deutschen Börse als Vorstand für die Informationstechnik verantwortlich und damit für das Herzstück des Frankfurter Dax-Konzerns. Heike Drechsler ist zweimalige Olympiasiegerin im Weitsprung (1992 sowie 2000). Und Ute Wolf hütet als Finanzvorstand von Evonik die milliardenschwere Kriegskasse des Essener Chemiekonzerns.
Sie alle verklären die DDR nicht, haben teilweise selbst unter Unfreiheit und Mangelwirtschaft im Sozialismus gelitten. Doch in einem dürften sie sich einig sein: "In der DDR mussten Mütter sich nicht rechtfertigen, dass sie arbeiten gehen", sagt Ute Wolf. Ihre Mutter war wie ihr Vater Chemiker. Und es war selbstverständlich, dass beide arbeiten. Entsprechend hoch war die Erwerbstätigkeit: Vor der Vereinigung waren in Ostdeutschland 90 Prozent der erwerbsfähigen Frauen berufstätig (weltweit der höchste Wert überhaupt). In Westdeutschland lag die Erwerbsquote der Frauen nur bei 50 Prozent, wie aus dem Gleichstellungs-Report zu 25 Jahren deutscher Einheit hervorgeht, den die Familienministerin nun herausgegeben hat. Inzwischen haben sich die Werte angenähert. "Das Selbstverständnis von ostdeutschen Frauen, dass es keine Schande ist, Beruf und Familie zu vereinbaren, finde ich gut", sagte Schwesig dem "Spiegel".
Mit diesem Selbstverständnis und Selbstbewusstsein haben ostdeutsche Frauen mittlerweile viele westdeutsche angesteckt. Vielleicht ist das eine der Erfolgsgeschichten 25 Jahre danach: dass Frauen in Deutschland heute die Wahl haben. Wollen sie arbeiten? Wollen sie sich ganz um ihre Kinder kümmern? Oder wollen sie beides? Jede kann entscheiden, was für sie und ihre Familie das Beste ist. Aber Frauen, die Familie und Beruf vereinbaren wollen, müssen sich nicht länger als Rabenmütter schelten lassen, wie es in der alten Bundesrepublik lange üblich war. Entsprechend lautet der zentrale Befund des Frauenreports: Die gleichberechtigte Partnerschaft hat das traditionelle Rollenmodell der Bonner Republik abgelöst. Danach wollen heute nur noch elf Prozent der Westdeutschen eine traditionelle Partnerschaft, in der der Mann allein das Geld verdient und die Frau sich ausschließlich um Haushalt und Kinder kümmert. In Ostdeutschland sind es sogar nur fünf Prozent. Die große Mehrheit wünscht sich indes eine Partnerschaft, in der beide Partner arbeiten und sich Haushalt wie Erziehung teilen. Wobei es noch immer interessante Unterschiede gibt: Eine Partnerschaft, in der Frau und Mann zu gleichen Teilen arbeiten, Kinder erziehen und den Haushalt organisieren, wollen 39 Prozent der Ostdeutschen, aber nur 30 Prozent der Westdeutschen. Im Westen wird indes eine "teiltraditionelle Rollenverteilung" bevorzugt, wie die Autoren des Reports schreiben. In diesem Modell arbeiten zwar beide, aber die Frau ist mehr für die Familie und der Mann mehr für den Job zuständig.
Doch in welcher Mischung auch immer: Familie und Beruf zusammen funktionieren nur, wenn es eine verlässliche Kinderbetreuung gibt. Wer mag und kann schon arbeiten, wenn er seine Kinder nicht gut aufgehoben weiß? Doch bei der Versorgung mit Kita-Plätzen hängen Länder wie Nordrhein-Westfalen den ostdeutschen Ländern weit hinterher. Immer wieder bescheinigen Wirtschaftsforscher wie zuletzt McKinsey, dass NRW unter seinen Möglichkeiten bleibt, weil das Land den Familien zu wenig Kinderbetreuung anbietet.
Das ist gleichwohl kein Grund, die Motive rosarot zu tönen, die hinter der einstigen DDR-Familienpolitik steckten. Ostberlin wollte nicht Frauen fördern, sondern Werktätige rekrutieren. Oder wie Manuela Schwesig sagt: "Generalsekretär Erich Honecker hat nicht an die Gleichstellung gedacht, als er Kitas bauen ließ. Man brauchte die Frau als Arbeitskraft."
Entsprechend wenig fortschrittlich war die DDR auch beim Thema Frauen in Führungspositionen. Vor der Vereinigung lagen auch dort nur fünf Prozent der Top-Jobs in Wirtschaft und Politik in Frauenhand.
Inzwischen hat sich bundesweit einiges getan. Die Frauen, die es (übrigens ganz ohne die leidige Quote) an die Spitze geschafft haben, zeichnen zwei Dinge aus: Sie haben tendenziell eher "harte Fächer" (Mathematik wie Wolf, Physik wie Merkel, Informatik wie Stars) studiert. Und sie sind stringent: "Konzentrier dich auf das Wesentliche", lautet das Motto von Börsenvorstand Hauke Stars. "Wer nicht mitzieht, kann nicht Teil des Teams sein", sagt die 48-Jährige. Sie hat übrigens drei Kinder.