Gasförderung in Deutschland Fracking löst neuen Energie-Streit aus

Düsseldorf · Eine neue Technik der Gasförderung löst einen Boom aus. Mit riesigem Druck wird hier ein Chemie-Cocktail unter Tage gepresst, um den wertvollen Rohstoff zu lösen. Deutschland zögert noch, weil die Methode Gefahren birgt.

Das politische Patt in Berlin spiegelt die Gemütslage der Nation: Im Bundestag ist die Opposition in der vergangenen Woche mit ihrer Forderung nach einem Fracking-Verbot gescheitert. Aber im Bundesrat erreichten die Fracking-Gegner nur einen Tag später erstmals einen bundesweiten Erfolg.

Wer künftig mit der umstrittenen Methode Erdgas aus den Tiefen der Erde freisprengen will, muss nach dem Willen der Länderkammer vorher beweisen, dass davon keine Gefahr ausgeht. Da der Nachweis kaum möglich ist, bewerten Fachleute die Bundesratsinitiative von NRW-Umweltminister Johannes Remmel (Grüne) als Vorbereitung für ein "Fracking-Verbot durch die Hintertür".

Chemie-Cocktail wird unter Tage gepresst

Auf den ersten Blick ist die Scheu vor der Methode verständlich: Beim Fracking wird unter hohem Druck ein Chemie-Cocktail unter Tage gepresst. So lässt sich Erdgas aus Gesteinsschichten lösen und fördern, das noch vor wenigen Jahren unerreichbar zu sein schien. Die Gefahr lauert in dem Chemiecocktail. Er enthält so viel Gift, dass ihm das Umweltbundesamt ein "hohes Gefährdungspotenzial" bescheinigt. Zumal der Cocktail über undichte Rohre ins Grundwasser und so in die Nahrungskette gelangen kann.

Entsprechend groß ist die Angst: "Gegen Gasbohren" heißt ein Zusammenschluss von über 30 Bürgerinitiativen vom niedersächsischen Völkersen bis ins westfälische Drensteinfurt. Fast im Wochentakt kommen neue Gruppen hinzu. Die Anti-Fracking-Bewegung hat inzwischen eine ähnliche Dynamik wie die frühe Anti-Atomkraft-Bewegung der 1970er Jahre. Trotzdem setzen Politiker wie Michael Paul sich für das Fracking ein. Der Kölner CDU-Bundestagsabgeordnete sagt: "Politische Zielrichtung ist es, die Fracking-Technik nicht grundsätzlich zu verwerfen." Was treibt ihn an?

400.000 Fracking-Stellen in den USA

Ein gewichtiges "Andererseits", das man gerade in den USA beobachten kann: Dort wird inzwischen in über 400.000 Bohrlöchern gefrackt. Der neue Gasrausch hat die USA zum größten Erdgasproduzenten der Welt gemacht. Ergebnis: billiges Gas. Inzwischen ist Erdgas in Europa viermal so teuer wie in den USA. Selbst der US-Präsident wirbt offen für Fracking: "Wir haben 600 000 neue Jobs und Energie für mehrere Hundert Jahre direkt unter unseren Füßen", sagte Barack Obama im Oktober.

Obamas Euphorie steckt an. Die britische Regierung hat ihr Fracking-Verbot in der vergangenen Woche wieder kassiert. Nach einem Erlass vom Donnerstag können die Arbeiten sofort wieder aufgenommen werden. In Polen hat die Regierung allein in den letzten zwei Jahren 70 Konzessionen für Probebohrungen vergeben. Fünf US-Konzerne und 18 weitere Unternehmen aus England, Irland, Polen und Kanada dürfen in Polen inzwischen nach Fracking-Bonanzas suchen. In Kanada hat der chinesische Konzern PetroChina soeben 5,4 Milliarden Dollar in ein Fracking-Projekt investiert. In Australien, Indien, Indonesien und Lateinamerika sind die Gas-Scouts ebenfalls auf hoffnungsvolle Funde gestoßen.

Unternehmen halten noch still

Im November 2010 legte die NRW-Landesregierung einen Bericht vor, der bis heute für Aufregung sorgt: Bis zu 2100 Milliarden Kubikmeter Erdgas schlummern demnach unter Deutschlands größtem Bundesland. Das wäre ungefähr ein Viktoriasee voll Gas, aus dem Deutschland mehr als zwei Jahrzehnte lang versorgt werden könnte. Seither herrscht auch hier Gasgräberstimmung: Energiemultis wie Exxon, die deutsche BASF-Tochter Wintershall, aber auch lokale Stadtwerke haben NRW bereits in 20 Claims unterteilt, wie die Abbaugebiete im Fachjargon heißen. Aber angesichts des politischen Gegenwindes in NRW halten die Unternehmen noch still.

Anders als in Niedersachsen, wo schon seit 1977 gefrackt wird, gibt es laut NRW-Umweltministerium in NRW bislang nur einen einzigen Antrag: Exxon will im westfälischen Nordwalde eine Probebohrung durchführen. "Die Unternehmen warten ab, wie sich die Rechtslage weiter entwickelt", so ein Sprecher des NRW-Umweltministeriums.

Die wiederum hängt von zwei Faktoren ab. Erstens vom Fortschritt der Industrie bei der Entwicklung eines weniger giftigen Fracking-Cocktails, der Insidern zufolge in etwa anderthalb Jahren verfügbar sein soll. Und zweitens von der öffentlichen Stimmung: Vielleicht ist die Angst vor den Energiepreisen ja irgendwann größer als die Angst vor dem Fracking. Schließlich haben sich die Preise für leichtes Heizöl in den vergangenen zehn Jahren mehr als verdoppelt. Erdgas ist über 50 Prozent teurer geworden und der Strom kostet heute rund 70 Prozent mehr als vor zehn Jahren.

(RP/csi/csr/pst)