Interview mit Ford-Deutschland-Chef Gunnar Herrmann „Ich wollte immer Fahrzeuge entwickeln“

Interview | Köln · Der scheidende Deutschland-Chef von Ford spricht über seinen Abschied zum Monatsende, die Folgen des Chip-Mangels für die Produktion in Köln – und erklärt, warum Autos ein bisschen wie eigene Kinder sind.

 Der scheidende Ford-Deutschland-Chef Gunnar Herrmann steht 2017 vor dem Werk in Köln.

Der scheidende Ford-Deutschland-Chef Gunnar Herrmann steht 2017 vor dem Werk in Köln.

Foto: Endermann, Andreas (end)

Das Büro von Gunnar Herrmann ist schon teilweise ausgeräumt. An der Wand hängen gerahmte Trikots des 1. FC Köln mit Unterschriften der jeweiligen Mannschaft, neben dem Schreibtisch steht eine Skulptur des Geißbocks Hennes, dem Maskottchen des Fußballvereins. Bis zum 30. November leitet der 61-jährige Herrmann noch das Deutschland-Geschäft des US-Autoherstellers Ford. Dann wechselt er in den Aufsichtsrat.

Sie waren 37 Jahre im Unternehmen, die letzten fünf davon an der Spitze. Eine große Abschiedsfeier mit Reden wird es wohl nicht geben angesichts der Pandemie, oder?

Herrmann Nein, es wird wahrscheinlich ein recht ruhiger Abschied. Wir haben heute ein Video gedreht, mit dem ich mich verabschieden werde und mit einem ganz kleinen Kreis an Mitarbeitern werde ich noch einen Kaffee trinken. Ich habe in den vergangenen Jahren auf jeder Betriebsversammlung persönlich mit den Mitarbeitern gesprochen, das war mir immer wichtig. Die Pandemie macht das etwas schwierig, aber den Kontakt habe und halte ich natürlich trotzdem.

Ford hat Ihren Abschied erst vor einer Woche bekanntgegeben. Warum wechseln Sie so plötzlich?

Herrmann Das ist gar nicht plötzlich. Die ursprüngliche Planung hatte vorgesehen, dass ich schon im Dezember 2020 aufhöre. Ich habe dann noch ein Jahr drangehangen, weil wir mitten in der Transformation stecken. Aber jetzt ist der perfekte Zeitpunkt für den Wechsel.

Viele waren dennoch überrascht, weil ja noch nicht einmal ein Nachfolger bereitsteht. So eine Situation versucht man als Unternehmen ja eigentlich zu vermeiden. Suchen Sie jetzt als Aufsichtsrat Ihren Nachfolger?

Herrmann Nein, wir haben da bereits einen sehr guten Plan. Es ist natürlich nicht ideal, dass nun eine Lücke entsteht, aber es gibt noch ein paar Stolpersteine aus dem Weg zu räumen. Für Kontinuität ist aber gesorgt, weil unser Arbeitsdirektor Rainer Ludwig kommissarisch die Leitung der Geschäftsführung übernimmt. Mit ihm habe ich schon in den vergangenen drei Jahren eng zusammengearbeitet.

Als Sie 2017 Ihr Amt angetreten haben, musste sich die Branche mit Abgasskandalen beschäftigen, nun bedrohen eine Pandemie und ein Chipmangel das Geschäft- langweilig war es nie, oder?

Herrmann Stimmt, die fünf Jahre waren spannend. Der liebe Gott hat sichergestellt, dass jedes Jahr eine weitere Herausforderung dazukam. Erst die Folgen des Diesel-Skandals mit viel politischer Aufmerksamkeit inklusive Terminen im Kanzleramt, dann der Brexit – und aktuell die Corona-Pandemie und die Lieferengpässe bei Halbleitern. Das waren und sind alles Herausforderungen, die auch mal ungewöhnliche Schritte erfordert haben. Das kräftigt eine Organisation aber auch, weil es weniger Routinen gibt.

In Ihre Amtszeit fiel auch ein massives Sparprogramm, dem allein in Deutschland rund 5400 Arbeitsplätze zum Opfer gefallen sind. Wie geht man damit um, wenn man Leuten sagen muss, dass es ihre Jobs bald nicht mehr gibt?

Herrmann Es gab Betriebsversammlungen mit 3000 Mitarbeitern, Pfiffen und Buh-Rufen , da war ich im Vorfeld natürlich auch aufgeregt. Das waren Stressmomente. Aber am Ende haben immer alle zugehört. Ich habe in dieser Zeit noch mehr gelernt, dass man seine Worte wohlüberlegt wählen muss. Ich neige zu einem manchmal laxen Umgangston, aber das kann in solchen Situationen auch völlig falsch ankommen. Und im zweiten Schritt war es wichtig, dass wir sehr transparent kommuniziert haben und gemeinsam mit dem Betriebsrat Lösungen gesucht haben. Das ist uns auch gut gelungen aus meiner Sicht.

Wie kommt es eigentlich, dass Sie Ford immer treu geblieben sind? 37 Jahre in einem Unternehmen sind ja schon eine wahnsinnig lange Zeit.

Herrmann Das stimmt. Ich habe direkt nach dem Abitur eine Lehre angefangen und bin dann später nach dem Studium in Hamburg zurückgekommen. Für mich war damals sehr klar, warum ich zu Ford wollte. Das Unternehmen war sehr international, ich habe mit Japanern, Chinesen und Amerikanern zusammengearbeitet. Das war in den 1980er Jahren bei den deutschen Herstellern noch nicht so ausgeprägt. Andere Hersteller waren mir damals zu deutsch. Bei uns war ja sogar die Sprache Englisch. Ich habe nie die Notwendigkeit gesehen, zu wechseln – ich durfte dann ja sogar eine komplette Fahrzeuglinie entwickeln.

Dazu gehörte unter anderem der Ford Focus, richtig?

Herrmann Genau, der Focus, der C-Max oder auch der Kuga. Das war schon toll, es war ja immer mein Traum, Fahrzeuge zu entwickeln. Allein beim Focus gab es sechs Varianten, bevor wir uns für die endgültige Optik entschieden haben. Ich erinnere mich auch noch an das erste Teil, das ich konstruieren durfte - einen Handschuhfachdeckel für einen Ford Scorpio. Da war ich irre stolz drauf, Tja, und irgendwann macht man dann das erste Auto. Da war ich auch stolz und habe mich auch über die eine oder andere Kritik von Auto-Journalisten geärgert. Es gibt immer etwas, das nicht perfekt ist. Aber wie bei den eigenen Kindern hört man das eben nicht gerne.

Über den früheren VW-Chef Martin Winterkorn hieß es immer, er habe mit dem Lineal die Spaltmaße geprüft. Haben Sie sowas auch gemacht?

Herrmann Man guckt schon sehr genau hin, klar. Aber ganz so extrem war ich vermutlich nicht. Aber ich habe auch Türen oder andere Teile von Fahrzeugen angeschaut und Dinge bemängelt, die für andere vielleicht gar nicht sichtbar waren. Beim Thema Qualität geht es oft auch einfach nur um Wahrnehmung und natürlich auch um Kosten. Es geht bei jeder Produktentscheidung ja oft um Cent-Beträge.

Wirklich?

Herrmann Was meinen Sie, wie schwer es ist, zehn oder 20 Cent aus Fahrzeugkomponenten rauszuentwickeln? Aber wenn man solche Beträge eben multipliziert mit Stückzahlen in Millionenhöhe, werden die Dimensionen bei den Einsparungen schnell extrem.

Umgekehrt entstehen auch schnell wahnsinnige Kosten, wenn Dinge nicht funktionieren. Aktuell belastet der Mangel an Halbleitern das Geschäft in der Automobilindustrie. Auch Sie mussten zeitweise die Produktion des Fiesta in Köln stoppen. Wie ist die Lage jetzt?

Herrmann Die Produktion läuft wieder. Vorerst fahren wir im Ein-Schicht-Betrieb, weil wir die Produktion parallel auf das neue Modell umstellen. Wir haben dadurch natürlich immer noch Einschränkungen beim Volumen. Das wird auch erstmal so bleiben. Ich fürchte, der Chip-Mangel wird uns noch einige Zeit beschäftigen. Immerhin haben wir nun ein besseres Verständnis dafür, welche Gründe es für den Mangel jeweils gibt, sodass wir Dinge anpassen können. Wir versuchen zum Beispiel, auf andere Halbleiter auszuweichen, wo der Mangel nicht so groß ist. Das ist aber alles sehr anspruchsvoll für unsere Teams.

Wie geht es für Sie jetzt eigentlich weiter? Der Aufsichtsratsposten allein dürfte ja nicht tagfüllend sein. Ihr Vorgänger Bernhard Matthes hat nach seinem Ausscheiden das Amt des VDA-Präsidenten übernommen. Wäre die Position des Chef-Autolobbyisten auch was für Sie?

Herrmann (lacht) Erstmal möchte ich meine neu gewonnene Freizeit genießen. Ich habe neben dem Posten im Aufsichtsrat noch einige Mitgliedschaften in Beiräten und Kuratorien, die ich weiterführe. Nächstes Jahr steht beim Verband Arbeitgeber Köln auch eine Neuwahl an. Da habe ich schon meine Bereitschaft erklärt, nochmal als Vorsitzender zu kandidieren. Ein bisschen Kopfarbeit muss weiterhin sein. Aber ich möchte es auch nicht übertreiben.

Und was wird aus der Hennes-Skulptur aus Ihrem Büro?

Herrmann Hennes geht natürlich mit. Ich weiß nur noch nicht genau, wo ich ihn hinstelle – vielleicht in den Garten. Und die Rahmen mit den Trikots würde ich gerne unter den Mitarbeitern für einen guten Zweck versteigern. Da sind wir gerade in Gesprächen mit dem 1. FC Köln.

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