Konzernchef Christian Kullmann im Interview "Evonik war zu brav"

Essen · Der Chemiekonzern Evonik plant weitere Übernahmen. Welche Unternehmen infrage kommen, erklärt Evonik-Chef Christian Kullmann im Interview mit unserer Redaktion. Außerdem erklärt der 48-Jährige, warum bisher ein Aufzug für den Vorstand reserviert war – und er das geändert hat.

Christian Kullmann, CEO von Evonik.

Christian Kullmann, CEO von Evonik.

Foto: Bretz

Der Chemiekonzern Evonik plant weitere Übernahmen. Welche Unternehmen infrage kommen, erklärt Evonik-Chef Christian Kullmann im Interview mit unserer Redaktion. Außerdem erklärt der 48-Jährige, warum bisher ein Aufzug für den Vorstand reserviert war — und er das geändert hat.

2003 begannen Sie als Sprecher des Evonik-Vorgängers RAG. Nun sind Sie Chef des zweitgrößten deutschen Chemiekonzerns. Kann das gut gehen?

Kullmann Die Arbeit war die beste Voraussetzung, weil man als Sprecher die Dinge nur gut erklären kann, wenn man sie selbst verstanden hat. Und beim Sprecher wie beim Vorstandsvorsitzenden geht es vor allem um zwei Dinge: Kommunikation und Strategie.

Wie waren Sie als Schüler in Chemie?

Kullmann Für befriedigend hat es gereicht. Doch für die Chemie gibt es hier im Konzern viele kluge Menschen. Im Vorstand etwa sorgt Harald Schwager für den chemischen Sachverstand.

Was wollen Sie anders machen als Ihr Vorgänger Klaus Engel?

Kullmann Evonik schreibt gute Zahlen und ist in einer starken Position. Nun will ich zusammen mit meinem Team das Unternehmen noch besser machen. Evonik soll der beste Spezialchemie-Konzern der Welt werden.

Gemessen woran? Wen wollen Sie vom Thron stoßen?

Kullmann In der Spezialchemie tummeln sich viele Anbieter, große und kleine. Es gibt nicht den einen großen Konkurrenten, sondern jeweils Unternehmen, die in einzelnen Bereichen spitze sind. Also messen wir uns in solchen Geschäften, in denen wir noch nicht an der Spitze stehen, jeweils mit dem Besten.

Was muss konkret anders werden bei Evonik?

Kullmann Wir wollen unsere Ziele nicht nur klar definieren, sondern sie dann auch konsequent umsetzen und durchsetzen. Evonik war bislang zu brav.

Zu brav bei Zukäufen?

Kullmann Zum Beispiel. Auf der Suche nach Zukäufen haben wir die Vor- und Nachteile manchmal so lange analysiert, bis die Gelegenheit verstrichen war. Oder wir haben den Sack nicht zu gemacht, weil niemand das Risiko tragen wollte. Zugleich hatten wir eine hohe Erwartung am Kapitalmarkt geweckt, die wir nicht sofort erfüllen konnten. Umso erfreulicher war es dann, dass uns 2016 gleich zwei größere Zukäufe in den USA gelungen sind. Mit der Additiv-Sparte von Air Products und dem Silica-Geschäft von JM Huber ist Evonik in diesen Geschäften nun in der Weltspitze.

Das war nötig. So wie Lanxess einseitig am Kautschuk hängt, so hängt Evonik einseitig an Methionin, das in der Tiermast verwendet wird. Methionin ist Ihr Kautschuk.

Kullmann Nein, das ist falsch! Mit den jüngsten Übernahmen haben wir unsere Abhängigkeit vom Methionin deutlich gesenkt. Das gesamte Methionin-Geschäft macht weniger als 15 Prozent vom Evonik-Umsatz aus. Zudem ist der Methionin-Markt ist ein attraktiver Wachstumsmarkt. Mit dem wachsenden Wohlstand der Schwellenländer wächst auch dauerhaft die Nachfrage nach Fleisch. Unser Methioningeschäft ist und bleibt profitabel.

Was kommt als nächste Übernahme? Ein ganz großes Ding wie Bayer/Monsanto?

Kullmann Für uns ist Größe an sich nicht entscheidend. Wir interessieren uns für Übernahmen, mit denen wir nachhaltig und profitabel wachsen können.

Für welche Ihrer vier Sparten suchen Sie?

Kullmann Wir schauen gezielt nach Ergänzungen für unsere Wachstumssegmente Nutrion&Care (Nahrung&Pflege) und Resource Efficiency. Wir wollen in den Geschäften wachsen, in denen wir heute schon stark sind.

Was ist mit der Kunststoff-Sparte Performance Materials?

Kullmann Diese Sparte hat zuletzt große Fortschritte gemacht und wir wollen ihre Effizienz weiter verbessern. Performance Materials hatte bisher ein ganz starkes Jahr 2017.

Sie sagen, Evonik war zu brav. Gilt das auch für Kostensenkungen?

Kullmann Es geht doch hier nicht um brav oder wild. Es geht darum, das Unternehmen besser zu machen, mit Augenmaß und Weitblick. Richtig ist: In manchen Bereichen haben wir tatsächlich hohe Kosten. Das gilt auch, aber eben nicht nur für die Verwaltung. Wir analysieren das gerade im Rahmen unsere Budgetplanung für 2018.

Welche Bereiche werden besonders betroffen sein?

Kullmann Alle. Wir planen das Budget ja schließlich für den Gesamtkonzern.

Auch die Zentrale in Essen?

Kullmann Auch die. In manchen Bereichen werden wir besser abschneiden als der Wettbewerb, in anderen schlechter — und dort werden wir etwas tun. Denn nur wenn wir auf Dauer profitabel arbeiten, können wir im globalen Wettbewerb bestehen.

Wie viele der 36.000 Evonik-Arbeitsplätze werden wegfallen?

Kullmann Betriebsbedingte Kündigungen wird es mit mir nicht geben. Evonik ist doch nicht in der Krise. Das Unternehmen ist gut, jetzt machen wir es besser.

Wird die Digitalisierung Arbeitsplätze in der Branche kosten?

Kullmann Die Digitalisierung ist für die chemische Industrie Herausforderung und Chance zugleich. Mit der Digitalisierung können wir schneller, besser und spezifischer werden. Das reicht vom Vertrieb über die Steuerung von chemischen Anlagen bis zu neuen Vertriebsmodellen.

Wie?

Kullmann Die Digitalisierung wird viele Produkte aus der Chemie entzaubern. Was wir anbieten müssen, sind maßgeschneiderte Lösungen für Kunden, Service und Innovation — und das Ganze auch über Plattformen im Internet.

Und was haben Sie dafür schon unternommen?

Kullmann Wir haben eine digitale Einheit gegründet, die außerhalb der Konzernzentrale in einer früheren Sparkassen-Filiale arbeitet. Hier sitzen 20 kluge Männer und Frauen und tüfteln an digitalen Ideen, ähnlich wie ein Startup. Zudem kooperieren wir mit anderen Startups und mit IBM. In unserer Branche ist Evonik bei der Digitalisierung ganz vorn dabei.

An der Börse spielt Evonik nicht gerade vorn: Der Aufstieg in den Dax ist bis heute nicht gelungen.

Kullmann Der Dax ist doch kein Wert an sich! Worauf es uns ankommt, ist nachhaltiges und profitables Wachstum. Dafür ist die Frage nach Dax oder MDax erst einmal irrelevant.

Aber auch Ihr Börsenkurs ist eine Enttäuschung für die Anleger: 2013 kam Evonik zu 33 Euro an die Börse, derzeit notiert die Aktie bei 28 Euro. Wie wollen Sie das ändern?

Kullmann Natürlich bin ich mit dem Kurs nicht zufrieden. Tatsächlich spiegelt unser Kurs noch nicht das Potenzial von Evonik wider. Deshalb wollen wir den Markt mit nachhaltigem Wachstum überzeugen.

Vielleicht sollten Sie mal Werner Müller, den Chef der RAG-Stiftung, bitten, dass er den Anteil von 68 Prozent der Evonik-Aktien reduziert?

Kullmann Werner Müller ist als Aufsichtsrats-Chef ein großartiger Ratgeber. Er braucht von mir keine Hinweise.

Können sich die Anleger denn wenigstens für 2017 auf eine steigende Dividende freuen?

Kullmann Evonik ist bei der Dividendenrendite bereits spitze und Kontinuität bei der Dividende ist für uns ein hoher Wert.

Sie wollen einiges anders machen bei Evonik, auch die Kultur verändern. Wie?

Kullmann Wir brauchen ein neues Führungsverständnis. Widerspruch ist bei mir erste Mitarbeiter-Pflicht. Jeder Mitarbeiter kann mir schreiben und Verbesserungsvorschläge machen. Mit Kritik müssen wir offen umgehen. Das erwarte ich von den Führungskräften, mit denen ich täglich zusammenarbeite.

Das heißt?

Kullmann Jeder einzelne muss Verantwortung für seine Entscheidungen übernehmen. Wegducken gibt es nicht. Hierarchische Traditionen schaffen wir ab.

Ein konkretes Beispiel?

Kullmann Früher war immer einer unserer sechs Aufzüge für die Vorstände reserviert. Das haben wir abgeschafft. Heute kann jeder Mitarbeiter mit mir fahren. Vor meinem Büro gibt es auch keine Panzertür mehr. Ich muss mich vor meinen Mitarbeitern nicht schützen.

Evonik ist wichtig für NRW. Wie finden Sie die neue Landesregierung?

Kullmann Der Koalitionsvertrag setzt die richtigen Schwerpunkte. Armin Laschet und seiner Regierung wünsche ich alles Gute.

Was muss er vor allem anpacken?

Kullmann Die Wirtschaft braucht drei Dinge: erstens eine bessere Infrastruktur. Wegen maroder Brücken bekommen wir Probleme, unsere Produkte aus Köln-Wesseling herauszubringen. Zweitens brauchen wir eine bessere Bildung, Bewerber für eine Lehrstelle beherrschen teils nicht einmal den Dreisatz. Und drittens: mehr innere Sicherheit und einen effektiven Schutz vor Industriespionage und Cyberkriminalität. Die ist für viele Unternehmen eine echte Bedrohung.

Michael Bröcker und Antje Höning führten das Gespräch.

(RP)
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