Interview: Wolfgang Eder Europas Stahlindustrie produziert zu teuer

Der Präsident des Weltstahlverbandes kritisiert die EU-Klimapolitik und das Fracking-Verbot. Er sieht Tausende Arbeitsplätze in Gefahr. Sein Unternehmen Voestalpine hält am Standort Düsseldorf fest und will neue Stellen schaffen.

Interview: Wolfgang Eder: Europas Stahlindustrie produziert zu teuer
Foto: Konzern

Sie prophezeien einen massiven Stellenabbau in der Stahlindustrie. Sind Sie generell ein Pessimist?

Eder Ich sehe mich eher als Realist, entscheidend sind die Fakten. Denen zufolge sitzt die europäische Stahlindustrie auf circa 40 Millionen Tonnen Überkapazitäten und produziert auch noch zu teuer. Das kann auf Dauer nicht gutgehen.

Woran krankt die Stahlindustrie?

Eder Die Industrie setzt immer noch zu stark auf große Mengen und Standardqualitäten. Masse ist aber nicht Klasse. Um bei hohen Produktionskosten international wettbewerbsfähig sein zu können, braucht es Konzentration auf Spitzentechnologie und Innovationsführerschaft.

Welche Rezepte schlagen Sie vor?

Eder Wir müssen zum einen den Mut haben, eine Bereinigung der europäischen Stahlindustrie zu ihrer eigenen Gesundung zuzulassen. Das bedeutet vor allem, dass die Politik in vielen europäischen Ländern damit aufhört, nicht wettbewerbsfähige Standorte aus vermeintlichen sozialen Gründen - zum Teil auch mit Subventionen - am Leben zu erhalten. Das ging in den 80er Jahren schon einmal schief. Mit verheerenden Folgen für Industrie und Arbeitsplätze.

Was heißt das für Werke und Jobs?

Eder Aus meiner Sicht werden wir bei den aktuellen und auch künftig zu erwartenden Rahmenbedingungen in keinem Szenario mittelfristig alle Arbeitsplätze erhalten können. Riskieren wir aber durch kurzsichtige Handlungen die globale Wettbewerbsfähigkeit der gesamten europäischen Stahlindustrie, kann das den Verlust von hunderttausenden Arbeitsplätzen und die Abwanderung ganzer Industriezweige bedeuten.

Voestalpine kam als einziger großer Stahlhersteller in Europa nur mit einem blauen Auge aus der Finanzkrise. Nun schreiben Sie die stärksten Ergebniszahlen. Wie kommt das?

Eder Wir haben bereits vor mehr als zwölf Jahren begonnen, uns aus dem klassischen Stahlgeschäft zurückzuziehen und enger an unsere Kunden wie zum Beispiel die Automobilindustrie zu rücken. Wir konzentrieren uns heute auf stahlbasierte Hochtechnologie und haben den Anteil der Stahlerzeugung bereits auf 30 Prozent reduziert - und die liegen im anspruchsvollsten Qualitätsbereich. Diese Strategie hat sich ausgezahlt und wird in den nächsten Jahren konsequent fortgeführt.

Sie kritisieren die Klimaschutzpolitik der EU. Was läuft falsch?

Eder Die EU-Klima- und Umweltschutzpolitik schaut zu stark ausschließlich auf die Emissionsseite bei der Herstellung von Grundstoffen wie Stahl, aber auch anderen. Dabei bleibt außen vor, wie viel Energie z.B. durch Hochtechnologieprodukte aus diesen Stoffen eingespart wird. Nehmen Sie z.B. die Automobil- oder sogar die Flugzeugindustrie. Hier haben sich Emissionen nicht zuletzt durch Innovationssprünge in der Stahlindustrie in den letzten Jahrzehnten massiv reduziert. Auch eine Energiewende wäre ohne die Stahlindustrie und die ihr nachgelagerten Industrien nicht möglich. Denken Sie nur an moderne Hochleistungsturbinen, Windräder oder auch ökologische Kraftwerke. Das alles gäbe es ohne Stahl nicht.

Wie wollen Sie nun als frischgebackener Präsident des Weltstahlverbandes die Politik aufwecken?

Eder Im Klartext. Mir ist es in erster Linie wichtig, dass wir über die nächsten Jahre zu globalen Lösungen finden, die keine massiven Wettbewerbsverzerrungen mit möglicherweise gravierenden Folgen für den europäischen Wirtschaftsstandort - aber auch andere - zur Folge haben. Europa steht nun mal "nur" für rund elf Prozent der weltweiten CO2-Emissionen. Die Frage ist doch, wie können wir Vorreiterrolle im Klimaschutz, nachhaltige Wettbewerbsfähigkeit und die langfristige Versorgung von Industrie und Haushalten zu vertretbaren Preisen unter einen Hut bringen, ohne zu vergessen, dass wir nicht alleine auf der Welt sind. Das ist eine komplexe Herausforderung, der wir nicht mit übermäßiger Vereinfachung oder gar Populismus begegnen können.

Sie loben Amerika als kalkulierbaren Industriestandort und haben jüngst mehr als 500 Millionen Euro dort investiert. Warum nicht in Europa?

Eder Auch hier ist man als Vorstandsvorsitzender eines börsennotierten Technologiekonzerns gezwungen auf die Fakten zu schauen. Und die machen deutlich, dass die amerikanische Regierung in den letzten Jahren massive Anstrengungen zur Re-Industrialisierung der Wirtschaft unternommen hat, während auf EU-Ebene seit Jahren darüber zwar diskutiert, aber nicht wirklich gehandelt wird. Unternehmen wie die Voestalpine müssen letztlich darauf schauen, wie planbar - vor allem langfristig - Investitionen an einem Standort sind und wie es um wesentliche Faktoren wie gut ausgebildete Arbeitskräfte, Infrastruktur und Energiekosten bestellt ist. Gerade durch stark gesunkene Energiepreise infolge der Schiefergasförderung haben sich die USA wieder zu einem Top-Standort entwickelt, der Investitionsströme nach Westen umlenkt.

Sie würden also Fracking auch in Europa befürworten?

Eder Meiner Meinung nach können wir es uns als rohstoffarmer Wirtschaftsraum nicht erlauben, eine solche Technologie von vornherein auszuschließen. Man sollte sie objektiv analysieren und Chancen und Risiken gegeneinander abwägen. Insbesondere ist es wichtig, einen offenen und sachlichen Diskurs mit der Bevölkerung zu führen, der auf Fakten basiert.

Voestalpine ist seit langem in Düsseldorf vertreten. Wie geht es hier weiter? Müssen wir uns Sorgen machen?

Eder Die Düsseldorfer Standorte wie Böhler in Oberkassel oder Eifeler in Hellerhof gehören zu unserer Edelstahl-Sparte, mit der wir ebenfalls weiter wachsen wollen. Da wir hier im spezialisierten Hochtechnologiebereich tätig sind, trifft uns die Krise des Massenstahlbereichs kaum.

Das heißt keine Abwanderungsideen, wie wir sie gerade bei anderen Industrien in Düsseldorf erleben?

Eder Ganz im Gegenteil. Zusätzlich zu den aktuell rund 1000 Arbeitsplätzen planen wir im Rahmen unserer Wachstumsstrategie in den nächsten Jahren weitere Stellen zu schaffen.

THORSTEN BREITKOPF FÜHRTE DAS GESPRÄCH.

(RP)
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