Fachkräftemangel Europa wirbt um Zuwanderer

Düsseldorf (RP). Die CSU wird zu einem ernsten Problem für Deutschland. Mit ihrer anhaltenden Weigerung, ein modernes Zuwanderungsrecht zu schaffen, bringt sie die deutsche Wirtschaft um ausländische Fachkräfte und die deutschen Sozialkassen um dringend gesuchte leistungsfähige Beitragszahler.

 CSU-Chef Horst Seehofer will beim Streit um die Zuwanderung hart bleiben. Der Wirtschaft droht dies zu schaden.

CSU-Chef Horst Seehofer will beim Streit um die Zuwanderung hart bleiben. Der Wirtschaft droht dies zu schaden.

Foto: dapd, dapd

Braucht Deutschland Zuwanderung?

Ja. Schon jetzt verlassen jedes Jahr 200 000 ältere Menschen mehr den Arbeitsmarkt, als jüngere in das Berufsleben eintreten. Damit wird es für Unternehmen immer schwieriger, Mitarbeiter zu finden. Schon im Sommer beklagten zwei Drittel der Firmen, sie würden nicht die nötigen Fachkräfte finden, wie eine Umfrage des Deutschen Industrie- und Handelskammertages ergab. Eine Nettozuwanderung von 300 000 bis 400 000 Ausländern sei notwendig, um den demografisch bedingten Verlust an Arbeitskräften bis zum Jahr 2025 auszugleichen, meint das Nürnberger Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung.

Wer darf nach Deutschland einwandern?

In den 60er und 70er Jahren hatte Deutschland über eine Million Arbeitnehmer aus Südeuropa und der Türkei angelockt, die hier in der vollbeschäftigten Industrie aushalfen. Nach Ölschock und Wirtschaftskrise verhängte das Land 1973 einen Anwerbestopp. Seitdem laviert die Bundesrepublik zwischen Abschottung, bürokratischen Ausnahme-Regeln, der gescheiterten Green Card und unkonditioniertem Familiennachzug.

Konkret gilt derzeit: Volle Freizügigkeit genießen alle EU-Bürger, deren Länder vor 2004 in die Europäische Union eingetreten sind. Für Länder wie Polen, Tschechien, Litauen, die seit 1. Mai 2004 zur EU gehören, setzte Deutschland eine lange Übergangsfrist durch. Ihre Bürger dürfen erst ab Mai 2011 in Deutschland unbegrenzt arbeiten. Zudem ist der Nachzug von Familienangehörigen erlaubt. Das nutzten über Jahre auch viele der so genannten Gastarbeiter. 2007 wurde das Nachzugsrecht verschärft.

Es gilt grundsätzlich nur für Ehepartner und minderjährige Kinder, zudem wird ein Sprachtest vorgeschrieben. Wer weder langjähriger EU-Bürger ist noch im Rahmen des Familiennachzugs kommt, hat es schwer, in Deutschland zu arbeiten. Er muss einen Hochschulabschluss und einen Arbeitsvertrag vorweisen, der ihm ein Brutto-Jahresgehalt von mindestens 66 000 Euro zusichert. Diese Regelung nutzten im vergangenen Jahr nur gut 500 ausländische Spitzenkräfte.

Wie attraktiv ist Deutschland für Spitzenkräfte?

Selbst für hochqualifizierte EU-Bürger ist Deutschland immer weniger attraktiv, wie eine gestern vorgestellte Studie der Bertelsmann-Stiftung zeigt. Danach kommen pro Jahr nur 38 300 Führungskräfte und Wissenschaftler aus den 15 "alten" EU-Ländern nach Deutschland. Zugleich kehren aber 39 800 deutsche Spitzenkräfte ihrer Heimat den Rücken. Unter dem Strich verliert Deutschland also Spitzenleute.

Ganz anders sieht es etwa in Großbritannien oder Spanien aus: In diese Länder wandern mehr Spitzenkräfte ein, als aus ihnen gehen. "Die Ergebnisse zeigen, dass Deutschland an Anziehungskraft gerade für hochqualifizierte Einwanderer verloren hat", sagte der Vorstandsvorsitzende der Bertelsmann-Stiftung, Gunter Thielen. War Deutschland früher bei anderen Europäern besonders beliebt, ist es nun im Kampf um die besten Köpfe zurückgefallen.

Woran liegt das?

Dass Deutschland für hochqualifizierte Einwanderer immer unbeliebter wird, zeigt auch eine Studie des DIHK, die morgen vorgestellt werden soll. Darin werden als Hauptprobleme das komplizierte deutsche Aufenthalts- und Arbeitsgenehmigungsrecht sowie die schwere deutsche Sprache genannt, die in immer weniger Ländern systematisch gelehrt werde. Bundesinnenminister Thomas de Mazière (CDU) hält die bestehenden Regelungen zwar für ausreichend, beklagt aber eine mangelnde "Willkommenskultur".

Wie sähe eine kluge Einwanderungspolitik aus?

Wirtschaft und viele Wissenschaftler kämpfen seit Langem dafür, dass Deutschland ein Punktesystem nach dem Vorbild von klassischen Einwanderungsländern wie Kanada oder Neuseeland einführt. Danach bekommen Einwanderer Punkte für ihren Berufsabschluss, für ihr Alter (je jünger desto besser) und ihre Sprachkenntnisse. Wer eine bestimmte Punktzahl erreicht, also für den deutschen Arbeitsmarkt besonders interessant ist, soll bevorzugt kommen dürfen.

Ein ähnliches System hatte vor rund zehn Jahren schon mal die Zuwanderungskommission unter Leitung von Rita Süssmuth (CDU) vorgeschlagen. Doch weder die rot-grüne, noch später die schwarz-gelbe Bundesregierung griffen die Vorschläge auf.

Wie geht es weiter?

Schwarz-Gelb setzt nun auf kleine Schritte. Auf Initiative von Forschungsministerin Annette Schavan (CDU) will Deutschland in einem ersten Schritt die Anerkennung ausländischer Berufsabschlüsse erleichtern. Das soll es zum Beispiel einem russischen Ingenieur, der derzeit mangels Anerkennung seines Diploms Taxi fahren muss, leichter machen, eine angemessene Arbeit zu finden.

Zudem will Schavan zusammen mit Arbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) dafür kämpfen, dass die Einkommensgrenze für Nicht-EU-Ausländer gesenkt wird. Statt 66 000 Euro soll künftig ein ausländischer Arbeitnehmer nur noch 50.000 Euro Bruttogehalt nachweisen müssen, um hier arbeiten zu können. Aber nicht einmal das will die CSU mittragen.

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