Aufmacher EU sieht Londons weichen Brexit kritisch

London · Theresa May hat ihr Kabinett auf einen Kompromiss verpflichtet: Beim Handel mit Waren soll es weiterhin eine Freihandelszone geben. Das geht den Hardlinern in ihrer Partei zu weit, der EU nicht weit genug.

 Theresa May und ihr Mann Philip beim Kirchgang am Sonntag. May hat ihr Kabinett zuvor auf einen gemeinsamen Kurs verpflichtet.

Theresa May und ihr Mann Philip beim Kirchgang am Sonntag. May hat ihr Kabinett zuvor auf einen gemeinsamen Kurs verpflichtet.

Foto: imago/i Images/i-Images

Theresa May hat ihr Kabinett auf eine gemeinsame Linie beim Brexit eingeschworen. Der britischen Premierministerin gelang es, ihre über den EU-Austritt zerstrittene Ministerriege bei einer Klausurtagung auf dem Landsitz Chequers auf einen „dritten Weg“ zu verpflichten. Großbritannien will eine Freihandelszone mit der EU aushandeln, in der Güter und Waren nach den bisherigen Regeln und Bestimmungen gehandelt werden. Es soll die Freiheit bekommen, bilaterale Handelsabkommen abzuschließen und eigene Zölle festzusetzen. Das Prinzip der Arbeitnehmerfreizügigkeit soll nicht mehr gelten, jedoch durch ein „Mobilitätsabkommen“ ersetzt werden. Die Vorschläge laufen auf einen Brexit hinaus, der weicher ausfällt, als es Mays bisherige rote Linien nahegelegt haben.

Nach zwei Jahren internen Streits hat sich die britische Regierung jetzt auf eine Marschrichtung geeinigt - das ist die gute Nachricht. Theresa May unterstrich in einem Brief an ihre Parteifreunde, dass die Zeit des Dissens vorbei ist. Ihre Minister hätten in der Vergangenheit ihre individuellen Sichtweisen beim Brexit ausgedrückt, schrieb sie. Die Vereinbarung jetzt stelle die kollektive Verantwortung wieder her. Soll wohl heißen: Ab sofort gilt Kabinettsdisziplin. Wer öffentlich ausschert, muss gehen.

Noch in dieser Woche sollen die Vorschläge detailliert vorgestellt werden. Das Problem der irischen Grenze war bisher der größte Streitpunkt, die EU besteht darauf, dass es zu keiner harten Grenze zwischen Nordirland und der Republik Irland kommt. Eine Freihandelszone für Güter, die Kontrollposten überflüssig macht, könnte das Problem lösen. Auch Unternehmen, die auf eine rasche Abfertigung in Häfen wie Dover angewiesen sind, dürften aufatmen. Für den Güterverkehr will London weiter das EU-Regelwerk akzeptieren, verbleibt also de facto im Binnenmarkt. Doch beim Dienstleistungssektor, der fast 80 Prozent des Sozialprodukts ausmacht, will Großbritannien künftig eigenen Regeln folgen. Zugleich will Großbritannien auch bei Waren eigene Freihandelsabkommen mit Drittstaaten schließen.

Entsprechend gemischt fallen die Reaktionen aus. Brexit-Hardlinern wie dem ehemaligen Ukip-Chef Nigel Farage gehen Mays Pläne zu weit, er sprach von einem „Ausverkauf an globale Unternehmen“. Der Anführer der Brexiteers im Unterhaus, Jacob Rees-Mogg, sprach von einem Verrat am Wähler. Seitens der Wirtschaft kam Zustimmung. „Ein echter Vertrauensschub“, sagte Carolyn Fairbairn, Direktorin des britischen Industrie-Verbands. Auch der Verband der deutschen Maschinebauer (VDMA) reagierte positiv.

Der EU sind die Brexit-Vorschläge dagegen zu selektiv. „Wir werden die Vorschläge überprüfen, um zu sehen, ob sie umsetzbar und realistisch sind“, sagte EU-Chefunterhändler Michael Barnier. Der CDU-Europapolitiker Elmar Brok äußerte sich skeptisch, ob Brüssel Londons Plan akzeptiert: Eine Mitgliedschaft im Binnenmarkt nur für Waren widerspräche dem EU-Grundsatz, Freiheit für Waren, Dienstleistungen, Menschen und Kapital zu gewähren.

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