Streit um Entfristung von Arbeitsverträgen Warum sich der Bund bei der Post einmischen will

Berlin/Bonn · Auf scharfe Kritik des Finanzministers stößt die Regel der Post, Zusteller nur bei wenigen Fehltagen fest zu übernehmen. Dabei ist das Vorgehen legal - und der Staat handelt ähnlich. Ein Jurist sagt: Krankheit kann Kündigungsgrund sein.

 Ein Mitarbeiter der Post sortiert Briefe vor. (Archiv)

Ein Mitarbeiter der Post sortiert Briefe vor. (Archiv)

Foto: afp

Ungewöhnlich scharf hat Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) die Praxis der Deutschen Post kritisiert, dass die Leiter von Niederlassungen des Konzerns Verträge für Zusteller nur eigenständig entfristen dürfen, wenn diese in den zwei Jahren davor nicht mehr als 20 Fehltage hatten. Das sei "nicht hinnehmbar", sagte er in der Talkshow "Anne Will". Es sei nicht akzeptabel, "dass innerhalb der Post als Konzern mit indirekter Beteiligung des Bundes Arbeitnehmer, wenn sie zu oft krank seien oder zu langsam arbeiteten, Probleme mit unbefristeten Arbeitsverträgen bekämen, sagte er und ergänzte: "Diejenigen, die für uns im Aufsichtsrat sitzen, haben sich vorgenommen, (...) darauf zu reagieren." Der Bund werde bei der Post den Einfluss nutzen, den er habe.

Nichts von dieser Kritik an der Linie der Post hält die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA): "Die Praxis der Post entspricht vollständig Recht und Gesetz." Der BDA bezeichnet es als befremdlich, wenn ausgerechnet der Staat auf eine weniger harte Einstellungspraxis dränge. Denn er selber übernehme nur "nachweislich gesundheitlich geeignete Bewerber" in das Beamtenverhältnis. Wir beantworten Fragen zur Rolle von Krankmeldungen.

Ist die Post ein Einzelfall? Der Gewerkschaft Verdi ist kein Konzern bekannt, der eine ähnliche formale Vorgabe für ausgefallene Tage hat wie der gelbe Riese, doch es scheint sicher, dass viele Unternehmen Zeitverträge als eine Art Probezeit nutzen. Der Arbeitsrechtler Jacob Joussen, Professor an der Ruhr-Universität Bochum, sagt: "Eine solche Praxis erscheint aus Unternehmenssicht nachvollziehbar, weil jede Firma gute Leute einstellen will." Bei der Post ist der Druck zur Auslese besonders groß: In nur einer Branche gibt es mehr Krankmeldungen. In zwei Jahren sind es im Schnitt 62 Tage, pro Jahr 25,9.

Darf ein Unternehmen häufig kranke Beschäftigte gezielt nicht übernehmen? "Ja, es gibt im Arbeitsrecht keinen Kontrahierungszwang", sagt Arbeitsrechtler Joussen. Er weist darauf hin, dass es allerdings als Diskriminierung bewertet werden könnte, wenn ein Beschäftigter einen Vertrag wegen einer Behinderung oder chronischen Krankheit nicht erhält. "Aber auch dann gibt es keinen Anspruch auf einen Arbeitsvertrag, sondern nur auf eine denkbare Entschädigung."

Sortiert die Post schwächere Arbeitnehmer pauschal aus? Der Konzern bestreitet das: Die Regelung schließe nicht aus, auch Arbeitnehmer mit mehr Fehltagen als 20 in zwei Jahren zu übernehmen, doch das werde dann geprüft. "Es kommt auf die Umstände an", sagt ein Sprecher. Die Post habe in Absprache mit der Gewerkschaft Verdi in 2017 rund 9000 Arbeitsverhältnisse entfristet, doch mit den dafür gültigen Regeln ist Verdi nicht einverstanden: "Wir halten nichts von pauschalen Kriterien zur Beurteilung von Betroffenen", sagt Andrea Kocsis, stellvertretende Bundesvorsitzende von Verdi und stellvertretende Leiterin des Post-Aufsichtsrates. Um den Druck von den Beschäftigten zu nehmen, solle die Bundesregierung sachgrundlose Befristungen bei Jobs verbieten - dann könnten zwar Zeitverträge für Vertretungsaufgaben oder Projekte vereinbart werden, aber man könnte nicht pauschal Tausende Beschäftigte nur als Zeitarbeiter anheuern.

Entfristung bei der Deutschen Post: Warum sich der Bund einmischt
Foto: Schnettler

Dürfen Beschäftigte mit festem Arbeitsvertrag unbegrenzt krank sein? "Nein, auch eine gravierende Krankheit kann zu einer Kündigung führen", sagt Jurist Joussen. Zwar sei es kein Trennungsgrund, wenn ein Arbeitnehmer einmalig mehrere Wochen krank ist oder auch mehrfach ausfällt, aber ab einer gewissen Häufung kann es eng werden. "Bei Langzeiterkrankungen oder bei sehr häufigen kurzfristigen Erkrankungen sind Kündigungen möglich. Die Begründung hängt dann mit der Prognose zusammen: Irgendwann kann es als unzumutbar angesehen werden, dass ein Arbeitsplatz nicht neu besetzt werden kann, obwohl der Beschäftigte laufend ausfällt."

(RP)
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