„Ein Schlag ins Gesicht“ Einzelhändler zahlen ab Oktober mehr Gehalt - Verdi hält davon wenig

Düsseldorf · Der Empfehlung des Branchenverbandes HDE folgen nach Rewe auch die beiden Aldis sowie Lidl und Kaufland aus der Schwarz-Gruppe. Der Tarifstreit mit der Gewerkschaft Verdi geht allerdings weiter.

Im Handel wurde schon mehrfach gestreikt.

Im Handel wurde schon mehrfach gestreikt.

Foto: dpa/Jens Büttner

Dass sich der Handelsverband Deutschland (HDE) in einen laufenden Tarifkonflikt in der Branche einschaltet, ist kein regelmäßiger Bestandteil der Verhandlungen im deutschen Einzelhandel. Schließlich ist das Aushandeln eines neuen Tarifvertrages Sache der Verhandlungspartner in den einzelnen Regionen, in denen die jeweiligen Arbeitgeberverbände selbst mit den Arbeitnehmervertretern sprechen. Aber nachdem bundesweit zusammengerechnet selbst 50 Verhandlungsrunden nirgendwo die Gesprächspartner einander näher gebracht haben, sah sich der HDE offensichtlich bemüßigt, sich zu Wort zu melden. Vor zwei Jahren hat er das auch schon mal getan und einen sogenannten Orientierungsrahmen gegeben. Aber eigentlich sollte es auch ohne gehen.

Geht es aber derzeit nicht. Die Reaktion des Verbandes: „Nach dem aktuellen Beschluss des tarifpolitischen Ausschusses des HDE besteht nun für tarifgebundene Unternehmen frühestens ab 1. Oktober 2023 die Möglichkeit, freiwillige anrechenbare Vorweganhebungen in Höhe von 5,3 Prozent auszuzahlen“, so der Verband. In Abhängigkeit der wirtschaftlichen Lage entscheide jedes tarifgebundene Einzelhandelsunternehmen frei darüber, ob es die Verbandsempfehlung umsetzen könne. Diese sei nur bezüglich Ihrer Obergrenze verpflichtend, so HDE-Tarifgeschäftsführer Steven Haarke.

Der erste, der reagiert hat, ist der Kölner Rewe-Konzern, der ab Oktober genau die 5,3 Prozent mehr zahlen will, die der HDE vorgeschlagen hatte. Aldi Süd teilte auf Anfrage mit, man werde Löhne und Gehälter der Beschäftigten freiwillig zum 1. Oktober „um bis zu 5,3 Prozent“ und die Ausbildungsvergütungen um 50 Euro erhöhen. Auch bei Aldi Nord beträgt das Entgeltplus 5,3 Prozent, in gleichem Maß sollen die Vergütungen der Auszubildenden ab Oktober steigen. Die freiwillige Vorauszahlung werde nach Abschluss der Tarifrunde im Einzelhandel in vollem Umfang mit den verhandelten Tariferhöhungen für die Tarifgebiete verrechnet, erklärte das Unternehmen. So hatte sich auch schon Rewe geäußert. Die zur Schwarz-Gruppe gehörenden Unternehmen Lidl und Kaufland erhöhen die Tarifentgelte ab Oktober dieses Jahres ebenfalls um 5,3 Prozent und folgen damit genauso der Empfehlung des HDE.

Deutschlands größter Lebensmittelhändler Edeka ließ eine Anfrage unserer Redaktion bis zum Abend unbeantwortet. Auf seiner Website erklärt Verdi, Edeka sei tarifgebunden – dies gelte allerdings nicht für den großen und weiter stark wachsenden Teil der selbstständigen Einzelhändler. „Hier werden die Beschäftigten überwiegend nicht nach Tarif entlohnt“, erklärt Verdi. Das dürfte aber vermutlich auch nicht für jeden Händler im Edeka-Verbund gelten.

Verdi hält übrigens von den Empfehlungen des HDE-Verbands wenig. Eine solche Erhöhung im laufenden Jahr sei nicht weniger als „ein Schlag ins Gesicht für die Beschäftigten im Handel“, teilte Verdi-Chef Frank Werneke mit: „Das sind für eine Verkäuferin 92 Cent die Stunde, und das bedeutet Reallohnverlust. Die Beschäftigten beziehen ohnehin schon sehr niedrige Löhne, und die Inflation der letzten Monate frisst die Löhne zusätzlich auf.“

Die Gewerkschaft fordert in den laufenden Verhandlungen im Einzelhandel eine Lohnerhöhung von mindestens 2,50 Euro pro Stunde und eine Laufzeit des Vertrages von einem Jahr. Je nach Bundesland kommen dann noch weitere Forderungen hinzu. Die Erhöhung müsse dauerhaft wirksam sein, so Verdi. Eine deutliche Lohnerhöhung sei auch deshalb nötig, weil vielen Beschäftigten im Einzelhandel bereits jetzt die Altersarmut drohe. Die Arbeitgeber böten bislang umgerechnet auf den Stundenlohn eine Erhöhung der Gehälter um 90 Cent an.

Aus Sicht der Unternehmen entspräche eine Erhöhung um 2,50 Euro einer Steigerung um 15 bis 20 Prozent, je nach Entgeltgruppe. Aus Sicht der Unternehmen nicht erfüllbar. Für sie sind 5,3 Prozent mehr ab Oktober auf jeden Fall besser als Warten auf eine Tarifvereinbarung, die derzeit in weiter Ferne zu sein scheint, weil sich beide Seiten sehr unversöhnlich gegenüberstehen.

Der HDE erklärte, Verdi blockiere die aktuelle Tarifrunde. „Leider verschließt sich die Gewerkschaft Verdi auch nach mehr als fünf Monaten mit über 50 Verhandlungsrunden bundesweit der mittlerweile längst überfälligen Befriedung dieses Tarifkonfliktes zum Wohle der Beschäftigten im Einzelhandel“, so HDE-Tarifgeschäftsführer Haarke. Die im tarifpolitischen Ausschuss des Verbandes vereinbarte Obergrenze „bildet die aktuelle Angebotslage ab, die wir als vernünftige Basis für einen Abschluss erachten“. Darüber hinausgehen wolle man nicht.

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