Gastbeitrag Achim Wambach Wir brauchen EU-Regeln für die Digitalisierung

Düsseldorf · Gastbeitrag Der Chef der Monopolkommission und Präsident des Wirtschaftsforschungsinstituts ZEW in Mannheim fordert mehr Macht für die Kartellbehörden, um die Dominanz von Facebook und Amazon einzuhegen, ohne die Digitalisierung zu behindern.

 Professor Achim Wambach

Professor Achim Wambach

Foto: dpa/Uwe Anspach

Die 10. Novelle des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB), des „Grundgesetzes der sozialen Marktwirtschaft“, ist unterwegs. Nach langen Verzögerungen wurde der Referentenentwurf nun offiziell veröffentlicht, und die Anhörungen der Länder und Verbände haben begonnen. Dies ist bereits die zweite Novelle, die den Anspruch erhebt, die Besonderheiten der digitalisierten Ökonomie abzubilden. Während die 9. Novelle die Begriffe Daten und Plattformen im GWB verankert hat, zeigt sich im vorliegenden Entwurf, wie massiv diese Konzepte unsere Wirtschaftsform verändern.

Ein charakterisierendes Merkmal von Plattformen sind die direkten und indirekten Netzwerkeffekte, die sich auf der Plattform bilden: Amazon ist für Käufer von Interesse, da sie viele Händler auf der Plattform finden, und für Händler ist die Plattform attraktiv, weil sie dadurch viele potenzielle Käufer erreichen. Dass diese Netzwerkeffekte zu einer Konzentration führen, ist schon länger bekannt. Nun zeigt sich, dass in einigen Märkten die Konzentration auch kaum noch wettbewerblich angreifbar ist. Dass Google, Amazon, Facebook oder Apple in absehbarer Zeit von Wettbewerbern überrollt werden wie damals Yahoo, erwartet außerhalb der PR-Abteilung dieser Unternehmen keiner mehr.

Zudem hat sich gezeigt, dass das Wettbewerbsrecht bei der Einhegung der Konzerne an seine Grenzen stößt. Die Verfahren des Bundeskartellamts gegen Facebook oder der EU gegen Google zeigen Stärken und Grenzen der Missbrauchsaufsicht. Die Behörden haben die Möglichkeit, Maßnahmen gegen den Missbrauch, wie etwa die Vermeidung von Diskriminierung bei der Platzierung von Werbung, durchzusetzen. Davon wird auch vielfältig Gebrauch gemacht. Allerdings können diese Verfahren immer nur einzelne Aspekte aufgreifen. Und die Verfahrensdauer – drei bis sieben Jahre bei Behörden, weitere Jahre vor Gerichten – trägt der Dynamik der Digitalisierung nicht Rechnung.

Es ist daher konsequent, im nächsten Schritt die dominanten Plattform­unternehmen weiteren Regeln zu unterwerfen. So empfiehlt die in Deutschland eingesetzte Kommission „Wettbewerbsrecht 4.0“ Regeln für marktbeherrschende Plattformunternehmen wie ein Selbstbegünstigungsverbot,. Der Referentenentwurf zur 10. GWB-Novelle geht darüber hinaus. Das Bundeskartellamt soll in einem ersten Schritt Unternehmen identifizieren, die eine „überragende marktübergreifende Bedeutung“ haben. In einem zweiten Schritt kann es den Unternehmen kritische Verhaltensweisen untersagen, wie etwa Wettbewerber zu behindern. Das Kartellamt übernimmt dadurch Regulierungsaufgaben, was nicht unkritisch ist. In jedem Fall werden Rechtsfragen aufgeworfen. So ist unklar, was eine „überragende marktübergreifende Bedeutung“ ausmacht. In der Konsequenz ist zu erwarten, dass Anwälte und Gerichte auf Jahre mit der Klärung beschäftigt sein werden.

Das zweite Phänomen der digitalen Ökonomie ist die märkte-übergreifende Aktivität vieler Unternehmen. Unternehmen nehmen Daten aus einem Markt und verwenden sie in benachbarten Märkten, um Kunden auf sie zugeschnittene Produkte anzubieten. So ist Google nicht nur eine Suchmaschine, sondern auch in den Bereichen Videostreaming, Online-Werbung, Smartphone-Betriebssysteme, Smart Home und selbstfahrende Autos tätig. Die Entwicklungen bei solchen digitalen Ökosystemen greift der Referentenentwurf auf. Er sieht ausdrücklich vor, dass Daten eine „wesentliche Einrichtung“ darstellen können – so wie Schienennetze. Der Besitzer der Daten muss anderen Unternehmen den Zugang gegen eine entsprechende Zahlung einräumen. So soll ein Marktverschluss durch das Horten von Daten verhindert werden. Wichtig ist auch, generell mehr Rechtssicherheit herzustellen, wenn Unternehmen zum Zwecke der Datenteilung kooperieren wollen. Unternehmen sollen einen Rechtsanspruch auf Auskunft des Kartellamts erhalten, ob die geplante Zusammenarbeit wirklich bedenklich ist.

Einen wesentlichen Aspekt kann aber auch die 10. GWB-Novelle nicht in den Griff bekommen: Digitale Märkte sind meist grenzübergreifend. Und die Bestrebungen der EU zum Ausbau des digitalen Binnenmarktes werden diese Grenzoffenheit noch verstärken. Die relevante Behörde bei Wettbewerbsfragen wird die Kommission. Falls Unternehmen Rechtssicherheit benötigen, sollte diese in Brüssel gewährt werden. Und auch die Regeln für dominante Plattformen sollten nicht an der deutschen Grenze halt machen. Die Bundesregierung wäre gut beraten, ihre EU-Ratspräsidentschaft zu nutzen, um auch das EU-Recht an die digitalisierte Wirtschaft anzupassen. Die Empfehlungen der Kommission Wettbewerbsrecht 4.0 liefern eine gute Grundlage dafür.

Professor Achim Wambach ist Präsident des ZEW Mannheim und Chef der Monopolkommission.

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