Auto-Gipfel Die Zukunft der Auto-Industrie

Düsseldorf (RP). Keine Branche leidet so dramatisch unter der Wirtschaftskrise wie die Autoindustrie. Bei Herstellern, Zulieferern und Händlern sind Zehntausende Jobs bedroht. Was muss jetzt getan werden? Unsere Zeitung hat Auto-Experten, Politiker und Gewerkschafter zu einem Streitgespräch geladen.

Zukunft der Auto-Industrie: Wer am Streitgespräch teilnahm
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Zukunft der Auto-Industrie: Wer am Streitgespräch teilnahm

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Die Mienen sind angespannt, manche sorgenvoll, andere entschlossen. So richtig gelöst wirkt an diesem Morgen keiner der Teilnehmer am Auto-Gipfel unserer Zeitung. Dazu ist die Lage zu ernst.

"Wir mussten unsere Produktion um über 50 Prozent drosseln", berichtet Michael Colberg, Produktionsleiters des Mercedes-Sprinterwerks in Düsseldorf. Statt der theoretisch möglichen 150 000 Kleintransporter wird das Werk in diesem Jahr nur 100 000 Exemplare des Bestsellers fertigen — höchstens. Und der ersehnte Silberstreif am Horizont "ist nicht in Sicht".

Ähnlich dramatische Meldungen kommen aus praktisch allen deutschen Autowerken. Doch ein Name, eine deutsche Traditionsmarke und ihr Kampf ums schiere Überleben, symbolisiert in diesen Tagen das Schicksal der gesamten deutschen Autoindustrie: Opel.

Ist die Marke mit dem Blitz denn überhaupt noch zu retten? "Wir glauben das", sagt NRW-Wirtschaftsministerin Christa Thoben (CDU), "und wir wollen alles dafür tun". Alles? "Alles, was möglich ist." Dafür erntet Thoben einen dankbaren Blick von Rainer Einenkel, Betriebsratschef von Opel Bochum. Sein Werk mit rund 6000 Beschäftigten gilt als besonders gefährdet bei einer möglichen Restrukturierung von Opel. Aber gleich kommt der Dämpfer. "Natürlich", so bremst Thoben, "bedeutet unsere Bereitschaft zur Hilfe keine Festschreibung bestehender Produktionskapazitäten". Im Klartext: Eine Rettung von Opel könnte nur um den Preis einer schmerzlichen Schrumpfkur zu haben sein.

Wenn es denn eine Rettung gibt. Jürgen Nerlich, Rechtsanwalt und Insolvenzverwalter des Remscheider Automobil-Zulieferers Edscha, wagt als einziger das Unwort, das weder Opel-Werker noch Opel-Händler hören wollen: "Insolvenz. Das wäre ein möglicher Weg, um das Unternehmen wieder auf Erfolgskurs zu bringen. Dann hätten wir wenigstens endlich einen klar definierten rechtlichen Rahmen."

Ungläubiges Kopfschütteln bei Auto-Experte Professor Ferdinand Dudenhöffer. "Das ist doch Unfug! Niemand kauft noch Autos von einem Hersteller in Insolvenz!" Auch Ulrich Fromme, Vizepräsident des Zentralverbandes des Deutschen Kraftfahrzeuggewerbes und damit auch Sprecher für 2350 Opel-Händler, zweifelt. Er setzt auf den Einstieg eines Investors. "Ich glaube nicht, dass Opel ganz alleine weitermachen kann."

Aber: Es sei doch ein sehr gutes Zeichen, dass sich die deutschen Opel-Händler finanziell an der Rettung der Marke beteiligen wollten. "Das machen die nicht nur, weil sie morgen auch noch Opel verkaufen wollen. Sondern weil sie an die Qualität dieser Autos glauben!" Im übrigen, so Fromme, mit einem Seitenhieb auf die Politiker, sei immer nur von den insgesamt 26 000 Jobs in der Opel-Produktion die Rede, "aber so gut wie nie von den 35 000 Arbeitsplätzen bei den Händlern".

Die können sich freilich dieser Tage erst einmal die Hände reiben: Die staatliche Abwrackprämie hat einen kaum für möglich gehaltenen Ansturm auf die Autohäuser ausgelöst. Gerade die Opel-Händler profitieren davon. "Für die nächsten sechs bis neun Monate sind wir aus dem Schneider", freut sich Fromme. Schon allein deswegen sei die Prämie eine sehr gute Sache.

"Gute Sache? Das hilft doch nur dem Handel!", empört sich Dudenhöffer. "Für die deutschen Hersteller sind diese versteckten Rabatte der Tod!"

Klar scheint indes allen, dass der durch die Prämie befeuerte Kaufrausch keine Lösung der strukturellen Probleme der Autoindustrie bedeutet. "Das schafft eine zeitlich begrenzte Entlastung", sagt Händler-Sprecher Fromme. "Autos für 5000 Euro gibt es nicht und wird es nicht geben!" Er räumt ein, dass es neben erheblichen Überkapazitäten (jährlich 700 000 Autos zu viel für den deutschen Markt) auch zu viele Händler gebe. "Ganz klar, da muss sich was ändern."

Aber wie rangehen an den Fall Opel? Gewerkschafter Einenkel ("Ich finde es ja schon komisch, dass wir Betriebsräte die Arbeit der Opel-Manager in der Öffentlichkeit übernehmen müssen") wünscht sich im Idealfall einen "soliden Investor", um Opel losgelöst vom US-Mutterkonzern General Motors (GM) weiterführen zu können. Ein von der Bundesregierung zusammengestelltes Verhandlungsteam aus Politikern und Experten soll jetzt in den USA hart verhandeln. "Da spielt schließlich die Musik", betont Ministerin Thoben. "Wir können hier in Deutschland schön aufschreiben, was wir uns vorstellen für Opel, aber zunächst einmal sind das alles nur Wünsche".

Manchem ist das aber alles zu wenig und das ganze Geplänkel auch viel zu zögerlich. Warum denn die Politiker das erste Quartal 2009 tatenlos hätten verstreichen lassen, wo doch die dramatische Lage von Opel spätestens seit dem Herbst bekannt gewesen sei, bohrt Betriebsrat Einenkel. "Ich habe den bösen Verdacht, da wollen einige Leute das Problem aussitzen." Thoben verteidigt sich: "Bevor wir nicht endlich belastbare Zahlen zu den Zukunftsaussichten von Opel auf dem Tisch haben, können wir nichts tun!"

Händler-Sprecher Fromme entrüstet sich, es müsse doch möglich sein, "dass uns GM oder Opel-Europa-Chef Carl-Peter Forster endlich mal vorrechnet, wie Opel wirtschaftlich dasteht!" Wirklich? "Der GM-Vorstand versteht seine Geschäftsberichte doch schon lange selber nicht mehr", winkt Auto-Experte Dudenhöffer ab. "Auf diese Zahlen können wir lange warten."

Edscha-Insolvenzverwalter Nerlich rettet sich schließlich in Sarkasmus: "Da wollen wohl Nichtschwimmer einen Ertrinkenden retten!"

(RP)
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