Fachkräftemangel Die Wirtschaft fordert mehr Zuwanderer

Berlin · Das Handwerk verlangt Deutschkurse und Bleiberecht für ausbildungsfähige Flüchtlinge. Ökonomen und Verbände rufen die Politik zu klaren Zuwanderungskonzepten für die Fachkräftesicherung auf.

Aus diesen Ländern kommen die meisten Einwanderer
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Foto: Caro / Oberhaeuser

Führende Wirtschaftsvertreter und Ökonomen fordern Bund und Länder auf, angesichts des zunehmenden Tempos der Alterung der Gesellschaft die Zuwanderung von Fachkräften besser zu organisieren. "Wir müssen mehr talentierte Leute aus dem Ausland anlocken — das ist eines der ganz großen Erfolgsgeheimnisse der USA", sagte Henkel-Chef Kasper Rorsted unserer Redaktion.

"Wir brauchen eine gezielte Zuwanderung, wenn wir unseren Wohlstand in den nächsten Jahrzehnten halbwegs sichern wollen", erklärte auch Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) und Berater von Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD). "Wer schon in Deutschland ist, sollte sich mit seinen Fähigkeiten schneller in die Arbeitswelt integrieren können", sagte Michael Hüther, Chef des arbeitgebernahen Instituts der deutschen Wirtschaft in Köln.

Fehlende Bewerber etwa im Handwerk

Stichwort Arbeitnehmerfreizügigkeit
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Foto: dpa, Matthias Hiekel

Während Zehntausende den Aufrufen des Bündnisses "Pegida" folgen und gegen die Aufnahme neuer Zuwanderer demonstrieren, ist in der Wirtschaft der Mangel an Arbeits- und Fachkräften längst spürbar. Das Handwerk etwa konnte 20.000 Lehrstellen schon 2014 nicht besetzen, weil ihm Bewerber fehlten. In starken Industrieregionen können sich junge Fachkräfte oft vor Anwerbeversuchen konkurrierender Arbeitgeber kaum retten.

Die Arbeitskräftelücke wird in den kommenden zwei Jahrzehnten zum akuten Problem für die gesamte Gesellschaft. Wenn ab 2020 die Babyboomer in den Ruhestand gehen, wird die Zahl der Rentner schlagartig um weitere 7,5 Millionen steigen, während die Zahl der Erwerbsfähigen noch stärker sinkt.

"Um das durch Migration aufzufangen, wären 32 Millionen Menschen nötig", sagte Ifo-Präsident Hans-Werner Sinn der Online-Ausgabe von "Focus". Da die Arbeitskräftelücke nur teilweise durch Zuwanderer geschlossen werden könne, müssten sich künftige Rentner auf Wohlstandsverluste einstellen.

Fratzscher: An vielen Stellen gleichzeitig ansetzen

Das Handwerk ruft die Politik auf, auch in der Flüchtlingspolitik mit konkreten Schritten zu reagieren. Unter den Flüchtlingen seien "sehr viele mit guter Schulbildung, zum Beispiel aus dem Irak und Syrien, und viele, die großes praktisches Geschick haben", sagte Handwerkspräsident Hans Peter Wollseifer unserer Redaktion.

"Wenn wir einen jungen Flüchtling ausbilden, muss aber auch klar sein, dass er über die gesamte Lehrzeit in Deutschland bleiben darf. Hier ist die Politik gefordert, denn unsere Betriebe brauchen Planungssicherheit", sagte er. Die jungen Flüchtlinge müssten zudem "rasch Deutschkurse besuchen, um in Betrieb und Berufsschule mithalten zu können".

Die Politik müsse an vielen Stellen gleichzeitig ansetzen, sagte DIW-Ökonom Fratzscher. Schnellere Asylverfahren und die Integration von Flüchtlingen seien ebenso dringlich wie transparente Zuwanderungsregeln für Nicht-EU-Bürger und die Anwerbung von EU-Fachkräften. "Asylsuchende müssen oft Jahre warten, bis sie wissen, ob sie bleiben können oder nicht. Diese Zeit ist verloren, auch für uns in Deutschland", sagte Fratzscher.

Linken-Chef Bernd Riexinger forderte angesichts der "Pegida"-Proteste ein klares Bekenntnis zur Einwanderung. "Ich bin dafür, dass sich die im Bundestag vertretenen Parteien auf eine gemeinsame Erklärung verständigen, die das Bekenntnis enthält, dass Deutschland ein Einwanderungsland ist, dessen Wohlstand nicht unwesentlich davon abhängt, dass das so bleibt", sagte Riexinger.

(mar)
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