Wirtschaft schrumpft, Arbeitslosigkeit steigt Die schlimmste Rezession seit 80 Jahren

Berlin (RPO). Jetzt ist es amtlich: Deutschland schlittert in die heftigste Rezession seit 80 Jahren. Die Wirtschaft soll 2009 um 6,0 und 2010 um 0,5 Prozent schrumpfen. Gleichzeitig soll die Arbeitslosigkeit auf fast fünf Millionen ansteigen und riesige Löcher im Bundeshaushalt entstehen. Die Opposition kritisierte das Krisenmanagement der Regierung.

Frühjahrsgutachten 2009: Schlechte Aussichten für Deutschland
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Frühjahrsgutachten 2009: Schlechte Aussichten für Deutschland

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Es ist eine düstere Prognose, die die führenden Wirtschaftsinstitute am Donnerstag veröffentlichten. Das Bruttoinlandsprodukt, also der Gesamtwert aller in Deutschland produzierten Güter und Dienstleistungen, wird nach Ansicht der Experten um 6,0 Prozent schrumpfen. "Die deutsche Wirtschaft befindet sich im Frühjahr 2009 in der tiefsten Rezession seit der Gründung der Bundesrepublik", heißt es in der Gemeinschaftsdiagnose mit dem Titel "Im Sog der Weltrezession".

"Derzeit wirkt der Konsum stützend, doch die Arbeitsplatzangst wird sich zum Jahresende hin bemerkbar machen", hieß es auf der Pressekonferenz zur Vorstellung der Prognose. "Die wirtschaftliche Entwicklung wird zu einem Abbau von Beschäftigung führen. Derzeit federt die Kurzarbeit noch ab." Im Herbst werde die Marke von vier Millionen Arbeitslosen überschritten. Für das Jahr erwarten die Institute im Schnitt 3,7 Millionen Arbeitslose.

Wegen ihrer starken Exportorientierung sei die deutsche Wirtschaft davon besondern betroffen. Die Abwärtsbewegung habe sich mittlerweile auf die gesamte deutsche Wirtschaft ausgebreitet. Im ersten Quartal 2009 ist es nach Einschätzung der Institute zu einem weiteren Einbruch der Produktion gekommen. "Die Geschäftslage der gewerblichen Wirtschaft wurde zunehmend schlechter beurteilt."

Riesen-Löcher im Etat

Einen kleinen Lichtblick stellen in diesem Jahr die Bauinvestitionen dar, die aus Sicht der Institute dank staatlicher Konjunkturprogramme zulegen dürften. Die Gesamttendenz kann davon jedoch nicht umgekehrt werden. "Für 2010 erwarten die Institute keine durchgreifende Erholung. Das Bruttoinlandsprodukt dürfte um 0,5 Prozent sinken. Zum Jahresende ist mit knapp unter 5 Millionen Arbeitslosen zu rechnen".

Die wirtschaftliche Entwicklung hinterlässt ihre Spuren im Etat von Finanzminister Peer Steinbrück. In diesem Jahr erwarten die Experten einen negativen Budgetsaldo von 89,2 Milliarden Euro, was einer Defizitquote von 3,7 Prozent entspricht. Für kommendes Jahr wird mit einem negativen Saldo von 132,5 Milliarden Euro gerechnet, was einer Defizitquote von 5,5 Prozent entspricht.

Die Institute weisen darauf hin, dass ihre Prognosen auf der Annahme basiert, dass es mit staatlicher Hilfe zu einer langsamen Gesundung des internationalen Bankensystems kommt. "Diese Annahme ist mit großer Unsicherheit behaftet". Es sei keineswegs auszuschließen, dass es zu einer neuen Vertrauenskrise komme, mit weiteren Einbrüchen in der Industrieproduktion. "Dann wäre ein Abgleiten in eine weltweite deflationäre Abwärtsspirale nicht unwahrscheinlich".

Zuwarten verschärft Bankenkrise

Eindringlich appellieren sie an die Bundesregierung, auf eine Lösung der Probleme des Bankensystems zu drängen. Durch Zuwarten könne sich die Situation weiter zuspitzen. "Es besteht das Risiko, dass es zu einer regelrechten Kreditklemme kommt". Es scheine unumgänglich, den politischen Druck auf die Banken zu erhöhen und sie notfalls zur Annahme staatlicher Hilfe zu zwingen. "Selbst eine Verstaatlichung stellt ein geringeres Übel dar als ein Andauern der Schwierigkeiten". Ein drittes Konjunkturprogramm in Deutschland lehnen die Institute ab.

Immerhin sehen sie auch "Aufwärtsrisiken" für die deutsche Konjunktur. Falls die internationale Bankenkrise rasch gelöst werde und die Kreditvergabe wieder funktioniere, würde die expansive Geldpolitik rasch wirken. Der Anstieg der Arbeitslosigkeit könnte erheblich gemildert werden.

Kritik aus der Opposition

Die Oppositionsparteien Grüne, Linke und FDP haben die Bundesregierung zum Gegensteuern aufgefordert. Der Fraktionschef der Linkspartei im Bundestag, Oskar Lafontaine, gab der Regierungspolitik am Donnerstag eine Mitschuld für den schlimmsten Einbruch in der bundesdeutschen Wirtschaftsgeschichte und den damit verbundenen Anstieg der Arbeitslosigkeit.

"Die Regierung Merkel ist nicht Herr der Lage", sagte Lafontaine. Er forderte höhere öffentliche Investitionen, die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns sowie eine spürbare Anhebung der Hartz-IV-Sätze und der Renten. Damit könne der Weg geebnet werden, möglichst schnell aus der Krise herauszufinden und einem weiteren Anstieg der Arbeitslosigkeit entgegenzuwirken, erklärte Lafontaine.

Der Spitzenkandidat der Grünen, Jürgen Trittin, bescheinigte der Bundesregierung ein zögerliches und falsches Agieren. "Man weiß nicht, worüber man sich mehr ärgern soll: über die Unverschämtheit, mit der Finanzminister Steinbrück den Banken ohne jeden Effekt 500 Milliarden Euro zur Verfügung gestellt hat, oder über die Merkel'sche Bräsigkeit, mit der die Finanzierungsprobleme von kleinen und großen Industriebetrieben ausgesessen werden."

Der Finanzexperte der FDP, Hermann Otto Solms, verlangte von der Bundesregierung ein "Investitions-Befreiungsprogramm." Dazu müssten Planungs- und Genehmigungsverfahren beschleunigt und Planfeststellungsverfahren verkürzt werden. "Wir müssen viele bürokratische Hemmnisse beiseite räumen." Es gebe viele Maßnahmen, die nichts kosteten, die aber Investitionen der privaten Wirtschaft anregten.

(AP)
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