Nun auch Zuckerproduzenten im Fokus Die Kartelle der Lebensmittel-Hersteller

Bonn · Nach Kaffeeanbietern, Bierbrauern, Schokoladenfirmen und Kartoffelhändlern gibt es erneut bei einem Lebensmittel Hinweise auf ein Kartell. Die unter Druck stehenden Lebensmittelpreise verführen offenbar zu heimlichen Absprachen.

Ende April hat die EU-Kommission europaweit die Büros von Zuckerproduzenten wegen des Verdachts illegaler Preisabsprachen durchsucht. Das bestätigte die Behörde gestern offiziell. Darunter war auch Europas größter Zuckerproduzent Südzucker. Dabei berichten Branchenkenner, dass Verbraucher nicht nur durch deutlich gestiegene Zuckerpreise direkt getroffen sein könnten, sondern auch über zu hohe Preise von Süßwaren oder von gesüßten Yoghurts.

Insgesamt haben die Wettbewerbshüter sechs europäische Zuckerproduzenten im Visier. Auch Nordzucker war betroffen. Das Unternehmen aus Braunschweig bestätigte, Besuch von den EU-Kartellwächtern bekommen zu haben. Die Fahnder hätten bei der Razzia Akten und Computer mitgenommen, sagte ein Nordzucker-Sprecher. "Wir haben mit den Behörden kooperiert." Zum Vorwurf selber wollte er sich nicht äußern.

Mit dem vermuteten Zuckerkartell kommen nun erneut die Lieferanten eines wichtigen Lebensmittels unter Druck. Vergangene Woche flog ein illegales Bündnis von Kartoffelhändlern auf — die beteiligten Manager hatten sich anscheinend von den höheren Gewinnen Luxuswagen gekauft. Schon vorher waren Kaffeeanbieter, Bierbrauer, Schokoladenanbieter und Süßwarenproduzenten ins Visier der Fahnder gekommen. "Es ist verblüffend, wie viele Kartelle im Lebensmittelbereich in letzter Zeit aufgeflogen sind", sagt Justus Haucap, Volkswirtschaftsprofessor aus Düsseldorf und Leiter der Monopolkommission, "da wollen sich offensichtlich immer wieder einige Anbieter einen verbotenen Vorteil verschaffen."

Es gibt zwei Gründe für die offensichtlich vielen Preisabsprachen bei Lebensmitteln:

Erstens ähneln sich Kaffeesorten, Kartoffeln, Schokoladentafeln oder auch Biere deutlich mehr als viele andere Produkte wie Autos oder Markenkleidung. "Je homogener ein Warenangebot ist, umso schwerer haben es Anbieter, höhere Preise durchzusetzen", sagt Klaus Heiner-Röhl, Ökonom beim Institut der Deutschen Wirtschaft (IW), "das kann zu illegalen Absprachen führen."

Zweitens richten sich die Kartelle erst einmal gegen die mächtigen Einkäufer der Handelskonzerne wie Aldi, Lidl, Edeka oder Rewe und nur indirekt gegen die vielen Millionen Verbraucher. Und weil die Handelsgiganten laufend niedrigere Preise fordern, halten die Produzenten immer wieder mit Absprachen gegen. "Lebensmittel in Deutschland sind relativ günstig", sagt Haucap, "das führt zu besonders hartem Gerangel um Margen."

Die Kartelle fliegen dagegen immer öfter auf, weil sowohl das Bundeskartellamt als auch die Europäische Union mit mehr Personal und mit der sogenannten "Kronzeugenregelung" Informationen über Kartelle immer schneller und genauer erhalten.

So führt das Bundeskartellamt bereits seit mehr als zwei Jahren eine "Sektoruntersuchung" zum gesamten Lebensmitteleinzelhandel in Deutschland durch. Dabei wurden bei 200 Herstellern von Lebensmitteln die genauen Listenpreise und Rabatte zu 250 Einzelartikeln abgefragt.

Gleichzeitig beobachtet die EU die Märkte. Und sie geht meistens mit Zuckerbrot und Peitsche vor: Unternehmen, die sich an einem Kartell beteiligen, droht eine Strafe von bis zu zehn Prozent des Jahresumsatzes. Doch wer auspackt, bekommt weitgehende Straffreiheit.

Konkreter Anlass für die jetzigen Durchsuchungen in der Zuckerindustrie war nun die Beobachtung des Marktes: Der Preis für Zucker stieg 2012 und 2013 von 500 Euro auf 700 Euro je Tonne. Ein Beweis für Absprachen ist das noch nicht — Anlass für genaues Hinschauen durch die EU schon.

(RP/felt)
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