Kahlschlag bei Unternehmen Die Fehler der NRW-Konzerne

Seit einem Jahr kündigen große Unternehmen den Abbau Zehntausender Stellen an. Durch Globalisierung und Digitalisierung stehen sie unter Druck – und treffen falsche Entscheidungen.

Los ging es an einem trüben Frühjahrstag in der Messe Essen. Am 13. März 2018 verkündete dort Eon-Chef Johannes Teyssen den aus seiner Sicht „kreativsten Deal der deutschen Industriegeschichte“ – die Aufteilung der RWE-Tochter Innogy unter Eon und RWE. Schmerzlicher Nebeneffekt: 5000 Arbeitsplätze müssen weg. Seitdem geht es für Nordrhein-Westfalen Schlag auf Schlag. Beinahe im Monatsabstand verkünden Konzerne den Abbau Tausender Stellen. Konzerne, die wie Thyssenkrupp oder Karstadt und Kaufhof seit Jahren mit Krisen Furore machen. Aber auch Dax-Konzerne, die sich wie Bayer, Siemens oder eben Eon in besseren Zeiten mal mit der Krone „wertvollster deutscher Konzern“ schmücken konnten. Tiefpunkt war der 29. November, als der Chemiekonzern Bayer den Abbau von weltweit 12.000 Stellen ankündigte. Was ist los in Nordrhein-Westfalen?

Gewiss: Die Ballung der Negativ-Nachrichten liegt auch an der Ballung der Konzerne. In NRW haben neun der 30 Dax-Konzerne ihren Sitz, von Bayer über Covestro bis Vonovia. Und während Mittelständler leise leiden und mal hier zehn, mal dort 100 Arbeitsplätze abbauen, machen Konzerne mit ihren Abbauprogrammen rein zahlenmäßig gleich ganz andere Schlagzeilen.

Doch Nordrhein-Westfalen hat auch ein strukturelles Problem. Hier sitzt besonders viel traditionelle Industrie, die der Strukturwandel gleich mehrfach trifft: Globalisierung, Digitalisierung und politikgemachte Disruptionen wie die Energiewende.

Thyssenkrupp etwa leidet besonders unter der Globalisierung. Seit Inder und Chinesen den Weltmarkt mit hochwertigem Stahl beliefern, ist der Druck auf die Hochlohnstandorte in NRW gestiegen. Thyssenkrupp suchte sein Heil darin, selbst mit Milliarden in die Welt zu ziehen und Stahlwerke in den USA und Brasilien zu bauen. Doch der Ruhrkonzern verzockte sich: Schöngerechnete Investitionspläne und technische Pannen ließen das Amerika-Abenteuer zum Desaster werden. Hinzu kamen Arroganz, Hinterzimmerkultur und immer wieder Kartellstrafen. An den Folgen krankt der Konzern bis heute. Jetzt muss Thyssenkrupp sogar seine Zukunft (das Aufzugsgeschäft) verkaufen, um die Lasten der Vergangenheit (die Pensionsverpflichtungen gegenüber den Stahlarbeitern) zu stemmen.

Da geht es Bayer besser. Die Leverkusener stehen finanziell ganz anders da. Doch auch Bayer sah sich durch die Globalisierung herausgefordert. Gegenüber Giganten wie Pfizer, Johnson & Johnson oder Novartis war man nur Mittelmaß. Nachdem die Krise um den Cholesterinsenker Lipobay Bayer 2001 zum Übernahmekandidaten gemacht hatte, entschied sich der mit Aspirin zur Apotheke der Welt gewordene Konzern 2015, seine gut gefüllte Kriegskasse zu nutzen, um die Nummer eins der Pflanzenchemie zu werden. Bis heute hat der Plan mit dem zweiten Standbein industrielle Logik. 59 Milliarden Euro legte Bayer auf den Tisch, die größte Summe, die je ein deutscher Konzern investierte. Doch Bayer kaufte den falschen Konkurrenten. „Warum musste es ausgerechnet Monsanto sein, das umstrittenste Unternehmen der Branche?“, brachte auf der Hauptversammlung ein Fondsmanager das Dilemma auf den Punkt. Nun sind die Milliarden weg, aber Klagewelle, Spitzellisten und Reputationsschäden bleiben. Bayer hat sein Schicksal ganz in die Hände der US-Richter gelegt. Und erst langsam bemerkt der Traditionskonzern, dass er mit seiner arroganten Haltung gegenüber Kritikern alles schlimmer machte.

Vor Bayer war Eon der größte deutsche Kapitalvernichter. Der Konzern hat sich binnen zehn Jahren nach Börsenwert und Umsatz mehr als halbiert. Auch hier wurden Ausflüge nach Südeuropa und Brasilien zum Milliardengrab. Und dann kam die deutsche Politik, die mit der Energiewende radikal die Spielregeln änderte. Nach dem Unglück von Fukushima beschloss das Land den Atomausstieg, nach Klimaprotesten den aus der Kohle. Viel zu spät erkannten die Konzerne, dass sie sich bewegen müssen. Heute sind sie nur noch ein Schatten alter Größe. Übrig bleibt von Eon ein Konzern, der vor allem vom staatlich regulierten Netzgeschäft lebt. Das geht mit deutlich weniger Personal als bisher, zumal Eon sein Geschäft auch mit dem der RWE-Tochter Innogy zusammenlegt.

Ähnlich ergeht es RWE. Der Konzern hat den Abbau Tausender Stellen bereits hinter sich. Und dass der Kohleausstieg nun vom Steuerzahler und Stromkunden abgefedert wird, ändert nichts daran, dass auch im rheinischen Revier der Kahlschlag weitergehen wird. Allein die Kraftwerksstillegungen der ersten Runde könnten 2700 der 10.000 Braunkohle-Arbeitsplätze bei RWE treffen, hat der Konzern bereits angekündigt.

Wie überall schlägt auch in NRW die digitale Revolution zu: Sie vernichtet das Geschäftsmodell der Warenhäuser. Karstadt und Kaufhof betreiben nicht nur viele Häuser, sondern haben in Köln und Essen auch ihre Zentralen. Nun suchen sie ihr Heil (wie die Energieriesen) in Fusionen, womit sie wenistens Zeit gewinnen. In Gestalt von autonomem Fahren und Elektromobilität schlägt die digitale Revolution zudem in der Autobranche zu. Der Abbau bei Ford dürfte erst der Anfang sein, viele Zulieferer im Land dürften folgen.

Roland Döhrn, NRW-Experte des Instituts RWI in Essen, macht sich keine Illusionen: „Es gelingt Industrieunternehmen nur in den seltensten Fällen, sich so weit neu zu erfinden, dass sie völlig neue Märkte erobern.“ Soll heißen: Man kann Produkte neu erfinden, aber nicht sich selbst. „Strukturwandel vollzieht sich, indem Altes stirbt und Neues entsteht“, sagt Döhrn. Und nur wenn das Neue schneller kommt, als das Alte geht, und die Politik das mit guten Rahmenbedingungen begleitet, geht das Ganze für NRW gut aus.

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