Siemens-Finanzvorstand Kaeser im Interview "Die Energiewende wird Deutschland nicht gerecht"

Düsseldorf · Der Finanzvorstand der Siemens AG, Joe Kaeser, spricht im Interview mit unserer Redaktion über die Fehler der Energiewende in Deutschland, das Sparprogramm und die wirtschaftliche Entwicklung des Industrieunternehmens.

Siemens-Manager Joe Kaeser spricht im Interview über die Schwierigkeiten der Energiewende in Deutschland.

Siemens-Manager Joe Kaeser spricht im Interview über die Schwierigkeiten der Energiewende in Deutschland.

Foto: Endermann, Andreas

Siemens hat derzeit viele Baustellen: Der Anschluss der Windparks verzögert sich, bei den neuen ICE gibt es Probleme. Was ist los in Ihrem Konzern?

Kaeser: Die meisten Dinge bei Siemens laufen hervorragend. Gerade die derzeitige Hannovermesse hat wieder gezeigt, dass man an Siemens-Industrietechnik im wahrsten Sinne des Wortes nicht vorbeikommt. In der Energietechnik sind wir sowohl bei der konventionellen Gasturbinentechnik als auch bei der Windenergie führend in Innovation und Ertragskraft. Die Sparte Gesundheitstechnik ist bei Computertomographen und in der Magnetfeldresonanz bei Marktdurchdringung und Ertragskraft auf einem Niveau, das die Wettbewerber schon seit Jahren gerne hätten. Natürlich gelingt auch uns nicht immer alles. So haben wir bei der Anbindung von Windparks auf hoher See einige Anlaufschwierigkeiten und auch bei der Bahntechnik läuft nicht alles so, wie wir uns das vorstellen. Das gilt auch für die Solarik. Zum Teil sind wir hier etwas überhastet in neue Marktanwendungen eingestiegen. Das kostet jetzt Geld — auch erneut im 2. Quartal des Geschäftsjahres.

War es ein Fehler, dass Siemens ein ambitioniertes mittelfristiges Umsatzziel — 100 Milliarden Euro pro Jahr — ausgegeben hat?

Kaeser: Wir haben nach sehr erfolgreichen Jahren von etwa 2008 bis Mitte 2011 eine stärkere Wachstumsorientierung gesucht, um uns damit Freiräume für Kapitaleffizienz zu schaffen. Dabei haben wir immerhin über 34.000 Arbeitsplätze weltweit neu geschaffen. Die erwarteten Wirkungen aus der Wachstumspolitik sind allerdings nicht eingetreten. Wir haben das erkannt und reagiert. Mit der Umsetzung unseres Effizienzprogramms SIEMENS 2014 konzentrieren wir uns darauf, was wir selbst in der Hand haben: Produktivität und Innovation!

Wie wirken sich die aktuellen Probleme in Ihren nächsten Quartalszahlen aus?

Kaeser: Die aktuellen Herausforderungen bei der Bahntechnik und der Windanbindung werden ihre Spuren in den Zahlen für das zweite Quartal hinterlassen, die wir am 2. Mai vorstellen. Das zweite Quartal ist auch deshalb ertragsschwach, weil die Nachfrage im kurzzyklischen Industriegeschäft in den USA und Deutschland abebbt und nicht durch eine erhoffte Erholung in China ausgeglichen werden kann. Der beabsichtigte Verkauf unseres Solargeschäftes ist angesichts des problematischen Marktumfeldes nicht einfach und muss hinsichtlich seiner bilanziellen Behandlung überprüft werden. Es gibt aber auch erfreuliche Entwicklungen: So gehe ich davon aus, dass im Q2 dank mehrerer Großaufträge unser Bestelleingang deutlich über dem Vorjahres- und auch über dem letzten Quartal liegen wird.

Was erwarten Sie für den Gewinn auf Jahressicht?

Kaeser: Dazu äußern wir uns bei der Vorlage unserer Quartalszahlen. Aber aus heutiger Sicht gehe ich trotz der Belastungen im ersten Halbjahr weiterhin davon aus, dass der Gewinn pro Aktie für den gesamten Konzern im Jahr 2013 mindestens die Höhe des Vorjahres erreichen wird. In der operativen Betrachtung wird es jedoch enger.

Aber manche Konkurrenten sind erfolgreicher. Die Umsatzrendite von General Electric beträgt rund zehn, die von Siemens nur sechs Prozent.

Kaeser: Tatsächlich haben wir etwas Nachholbedarf, wenn wir weiter zu den ertragsstärksten Unternehmen der Branche aufschließen wollen. Dabei legen wir aber besonderen Wert auf die Nachhaltigkeit in der Ertragskraft. Siemens wird es auch nach 2014 geben und deshalb lassen wir uns jetzt nicht von Kurzfristoptimierungen leiten. Uns geht es in unserem Effizienzprogramm SIEMENS 2014 neben Produktivität und Innovation auch um die Stärkung unserer Kerngeschäfte.

Dazu hat Siemens ein Sparprogramm aufgelegt. Allein im Industriegeschäft wollen Sie über 3000 Arbeitsplätze streichen ...

Kaeser: Unter dem Strich wird Siemens in 2013 weltweit die Zahl seiner Mitarbeiter auf vergleichbarer Basis wohl halten bzw. sogar leicht ausbauen. Dennoch werden wir in manchen Bereichen und Regionen strukturbedingt Stellen abbauen, in und auf anderen Gebieten aber neue Stellen schaffen. Das gilt in Teilen auch für Nordrhein-Westfalen.

Hier wollen Sie 500 Stellen streichen ...

Kaeser: Auch hier gilt, dass wir in einigen Bereichen einstellen und in anderen Strukturanpassungen vornehmen müssen. In der Umrichter-Fertigung in Krefeld werden voraussichtlich Stellen wegfallen. Doch an anderen Standorten wie dem Duisburger Hafen oder in Goch schaffen wir neue Stellen. Unter dem Strich wird es bei knapp 20.000 Arbeitsplätzen in Nordrhein-Westfalen bleiben. Das sind übrigens über 1000 Stellen mehr als noch in 2010.

Siemens hat den Arbeitnehmern vor einigen Jahren zugesagt, dass es keine betriebsbedingten Kündigungen geben wird. Ist diese unbefristete Zusage zu halten?

Kaeser: Das ist unser Anspruch; und das gehört auch zu nachhaltigem Wirtschaften. Gutes Management zeichnet sich nicht dadurch aus, dass es viele Stellen streicht, sondern dass es neue Geschäfte entwickelt. Und es zeichnet sich auch dadurch aus, dass es Strukturänderungen rechtzeitig erkennt und zügig, konsequent und verantwortungsvoll handelt.

Ungewöhnliche Sätze für einen Finanzvorstand. Hätten Sie nicht auch Lust, einen Konzern zu führen?

Kaeser: Ich bin mit meinem Amt sehr zufrieden. Ich habe ein Super-Managementteam, mit dem es mir jeden Tag Spaß macht zu arbeiten.

Es gibt immer wieder Spekulationen, Siemens werde die Technologie-Sparte von ThyssenKrupp übernehmen. Ist da etwas dran?

Kaeser: ThyssenKrupp oder Teile von ThyssenKrupp stehen nicht auf unserer Akquisitionsliste. Wir arbeiten bei einzelnen Projekten zusammen — wie mit anderen Konzernen auch. Ansonsten gibt es keine spezielle Verbindung zwischen ThyssenKrupp und Siemens.

Sie hatten lange Zeit denselben Aufsichtsrats-Chef, bis Herr Cromme bei ThyssenKrupp seinen Hut nahm. Wie lange kann er bei Siemens oberster Kontrolleur bleiben?

Kaeser: Der Aufsichtsrat kontrolliert und beurteilt die Arbeit des Vorstandes, nicht umgekehrt. Und im übrigen ist unser Aufsichtsrat gerade erst neu gewählt worden.

Wie bewerten Sie die Energiewende in Deutschland?

Kaeser Ich unterstütze den Ausstieg aus der Kernenergie und eine ökologische Neuausrichtung der Energiewirtschaft. Dabei geht es mir weniger um die "Restrisiken" des Betriebs eines AKWs sondern vielmehr darum, dass eine moderne und verantwortungsvolle Gesellschaft es ihren Nachfolgegenerationen nicht zumuten soll, ihr ungeklärte Endlagerungsrisiken hinterlassen. Das sage ich, obwohl auch Siemens viele Jahre lang Kernkraftwerke selbst gebaut hat. Die Art und Weise der Umsetzung dieser Energiewende wird allerdings dem Anspruch einer führenden Wirtschaftsnation nicht gerecht.

Was stört Sie?

Kaeser: Vieles! Zum Beispiel, wie man das Design gemacht hat und wir unbedarft man mit Steuergeldern und der Gefährdung der Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Industrie umgeht. Wenn wir so weitermachen, gehen wir unangemessen mit einer bewährten und stabilen Infrastruktur um. Vergangenes Jahr wurden zum Beispiel für subventionierte Stromlieferungen in Deutschland ca 22,6 Milliarden Euro ausgezahlt. Doch der Marktpreis dieses Stroms lag nur bei rund drei Milliarden Euro — womit 20 Milliarden Euro an Subvention fällig werden und das im Normalfall für 20 Jahre garantiert. Die Gesellschaft wird so mindestens 400 Milliarden Euro verpulvern, die wir besser für Ausbildung und Innovation und damit für die Sicherung des Wohlstands in Deutschland ausgeben sollten.

Sie halten nichts von Ökostrom?

Kaeser Doch, aber wir brauchen eine ökonomisch sinnvolle ökologische Wende. Das schließt sich nicht aus sondern liefert im Gegenteil die Grundlage für "Energie-Effizienz made in Germany" und damit das Potential, führende Technologie weltweit zu vermarkten. Solarstrom kann sinnvoll sein — aber eben in Spanien und Griechenland und nicht hierzulande. Bei der Windenergie können Windkraftwerke bereits Strom für sechs bis acht Cent pro Kilowattstunde produzieren - auf Dauer müssen wir aber auf drei bis fünf Cent kommen. Dasselbe gilt für Windkraftanlagen offshore, also in der Nordsee: Die Anlagen auf dem Meer können im Prinzip wettbewerbsfähig Strom liefern. Aber die Anbindung mit Leitungen ist momentan noch viel zu teuer.

Was sollte sich grundsätzlich bei der Energiewende ändern?

Kaeser Erstens wäre es besser, Forschung und Entwicklung und damit die Innovation zu fördern als einfach nur den Absatz von Öko-Strom. Derzeit haben wir den Effekt, dass Unternehmen aus China mit wenig innovativer Technik massenhaft Solaranlagen für Deutschland liefern, statt hiesige Innovationen zu fördern. Zweitens sollte man Förderaspekte auch bei bestehenden Anlagen darauf konzentrieren, dass Haushalte regenerativ erzeugten Strom selber nutzen, statt ihn ins Netz einzuspeisen. Das würde die Netzinfrastruktur erheblich entlasten und damit einen wesentlichen Beitrag zur Konsolidierung der gewaltigen Kostenlawine liefern.

Und drittens?

Kaeser: Das Wichtigste ist, dass wir ein Gesamtkonzept für die Energiepolitik brauchen: Dabei muss das Einsparen von Energie eine viel größere Rolle bekommen. Die zunehmend steigenden Strompreise gefährden dagegen unsere Wettbewerbsfähigkeit. Schon jetzt sind die Energiepreise in Deutschland zum Teil viermal so hoch wie in den USA. Und dank neuer Vorkommen und Fördertechniken für Gas könnten sie in Amerika sogar noch weiter sinken.

Werden große Unternehmen Deutschland verlassen?

Kaeser Nein, das glaube ich nicht. Dafür sind die Verbundkonzepte, zum Beispiel in der Chemischen Industrie, zu stark etabliert. Aber es dürfte eher keine neuen Standorte von Industrien, die viel Strom brauchen, mehr geben. Damit fallen Ersatzinvestitionen weg und das schwächt auf Dauer die deutsche Volkswirtschaft. Und im übrigen Europa sieht es nicht besser aus: Da ist die vorhandene industrielle Basis viel weniger gut als bei uns.

Die Eurokrise holt uns ein?

Kaeser Portugal und einige andere kleine Länder machen zwar Fortschritte, aber insgesamt hat sich in Europa strukturell seit einem Jahr wenig verbessert. In Italien ist die politische Lage weiterhin völlig offen. Frankreich steuert einen eher unklaren Kurs: Und wenn dort weiter Vertrauen verloren ginge, dann würde auch der sogenannte "Draghi-Put", der letztlich zur Beruhigung der Finanzmärkte in Europa geführt hat, auf eine harte Probe gestellt.

Was muss passieren?

Kaeser Deutschland alleine kann den Euro und Europa zwar nicht retten, aber ohne ein starkes Europa wären wir ein Zwerg gegen die Schwergewichte USA und China. Deshalb muss Deutschland aus meiner Sicht eine Führungsrolle übernehmen. Und in Europa müssen wir die Krise gemeinsam überwinden.

Brauchen wir in Deutschland eine große Koalition?

Kaeser Da halte ich mich raus. Wir brauchen grundsätzlich eine Politik, die mehr auf die nachhaltige Lösung besonders von strukturellen Herausforderungen setzt als auf schnelle Wahlerfolge. In diesem Sinne war Gerhard Schröder mit der Agenda 2010 ein Vorbild.

Wohin soll sich Europa entwickeln?

Kaeser Das heutige Europa leidet besonders unter zwei Dingen: mangelnde Binnennachfrage, also Konsum, und dem Fehlen von Rohstoffen. Diese beiden Elemente sind neben Indutrie-Know how die wichtigsten Elemente von intakten Volksiwrtschaften. Damit kann man dann auch Verschuldungen wieder in den Griff kriegen. Wir müssen deshalb aus meiner Sicht Europa mehr nach Osten öffnen: Die dortigen Volkswirtschaften bieten hochgradige Binnennachfrage, fördern Infrastrukturwachstum und vor allem Russland ist ein rohstoffreiches Land. Wir in Deutschland haben dagegen wenig Konsum-Bedarf und kaum Rohstoffe. Unsere entscheidende Stärke sind unsere Talente und unsere Innovationen. Deshalb bietet die mittelfristige Öffnung Europas, etwa in Richtung Polen, der Türkei und Russland eine einmalige Chance mit den politischen und wirtschaftlichen Supermächten Amerika und China auf Augenhöhe mitzuhalten und die Zukunft Europas nachhaltig zu gestalten und den Wohlstand in Europa gegen die aufstrebenden Entwicklungsländer zu verteidigen. Diese historische Chance sollte man sich nicht leichtfertig entgehen lassen.

Das Gespräch führten Antje Höning, Reinhard Kowalewsky, Horst Thoren und Georg Winters.

(felt)
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