Interview mit Andreas Meyer-Lauber, DGB-Chef in NRW "NRW tut zu wenig bei Armutsbekämpfung"

Düsseldorf · Am morgigen Freitag stellt sich der DGB-Bezirksvorsitzende von NRW, Andreas Meyer-Lauber, zur Wiederwahl. Ein Gespräch über Lehrstellen und Mindestlohn.

 Andreas Meyer-Lauber bei einer Kundgebung am 1. Mai in Dortmund neben NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft.

Andreas Meyer-Lauber bei einer Kundgebung am 1. Mai in Dortmund neben NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft.

Foto: Bernd Thissen

Der DGB-Bundesvorsitzende Michael Sommer hat ein Ziel erreicht: Vor dem Ende seiner Amtszeit ist der gesetzliche Mindestlohn beschlossene Sache. Welches Vorhaben müsste bis zum Ende Ihrer Amtszeit 2017 auf den Weg gebracht sein?

Meyer-Lauber In NRW müssen wir es bis dahin schaffen, dass jeder Jugendliche einen Ausbildungsplatz bekommt. Derzeit haben 19 Prozent der Jugendlichen zwischen 20 und 29 keine abgeschlossene Ausbildung.

Heißt das, der Ausbildungskonsens in NRW ist eine Luftnummer?

Meyer-Lauber Nein. Der ist sinnvoll. Bei der Berufsorientierung sind wir vorangekommen. Aber derzeit bilden nur 24 Prozent der Unternehmen in NRW aus. Für ein ordentliches Angebot benötigen wir aber eine Beteiligung von mindestens 30 Prozent. Wenn die Unternehmen das mit gutem Zureden nicht schaffen, müssen die Kammern das regeln.

Mit Sanktionen?

Meyer-Lauber Zum Beispiel mit einer regionalen Ausbildungsumlage. Die könnte diejenigen Betriebe fördern, die ausbilden — etwa indem sie ihnen die Prüfungskosten mit Mitteln aus den Beiträgen erstatten. Ausbildung könnte dann auch wie im Bauhauptgewerbe bezuschusst werden. Wer sich weigert auszubilden, muss wiederum in den Topf einzahlen.

Und wenn die Kammern Ihrem Vorschlag nicht folgen?

Meyer-Lauber Als Ultima Ratio wäre auch ein Eingreifen der Politik denkbar. Ich halte aber den eigenständigen für den besseren Weg.

Welches war Ihr größter Erfolg an der Spitze des DGB in NRW?

Meyer-Lauber Abgesehen von den steigenden Mitgliederzahlen bei den jungen Menschen bis 27 Jahre steht der größte jetzt in der Koalitionsvereinbarung: der flächendeckende Mindestlohn. Da hat der DGB in einer langen Kampagne ein gesellschaftliches Umdenken herbeigeführt — auch in der CDU.

Wird der DGB bestimmen, wer in der Kommission sitzt, die über die künftige Höhe des Mindestlohns bestimmt?

Meyer-Lauber Die Besetzung wird im DGB-Bundesvorstand entschieden.

Es gibt aber auch noch kleine Gewerkschaften außerhalb des DGB.

Meyer-Lauber Die werden da sicher nicht vertreten sein. Den Anspruch, einen flächendeckenden Mindestlohn auszuhandeln, kann nur der DGB haben. Wir vertreten schließlich über sechs Millionen Mitglieder.

Wer soll die Einhaltung des Mindestlohns kontrollieren? Immerhin kommen auf einen Schlag sechs bis sieben Millionen Betroffene hinzu.

Meyer-Lauber Das wird Aufgabe des Zolls sein. Denn natürlich wird es schwarze Schafe geben. Aber es ist auch Aufgabe der Gewerkschaften, Ansprechpartner für die Beschäftigten zu sein und auf Missstände hinzuweisen.

Ökonomen bezweifeln, dass der Mindestlohn ein adäquates Mittel zur Armutsbekämpfung ist.

Meyer-Lauber Das Thema Armut ist damit nicht abgeschafft. Wer aber Vollzeit arbeitet, muss künftig nicht mehr zum Sozialamt gehen. Armut ist vor allem an Arbeitslosigkeit gekoppelt. NRW hat eine Quote von mehr als acht Prozent, das sind 750 000 Arbeitslose. Von denen sind 550 000 in Hartz IV. Da muss eine aktivere Wirtschaftspolitik her.

Kommt auf diesem Feld zu wenig von der Landesregierung?

Meyer-Lauber Im Prinzip schon, allerdings ist ihr Handlungsspielraum wegen der Schuldenbremse gering. Wir brauchen trotzdem mehr öffentliche Investitionen. Den Nachholbedarf bei Land und Kommunen schätzen wir auf mindestens 1,2 Milliarden Euro jährlich, weil wir seit zehn Jahren von der Substanz leben.

Aber woher soll das Geld kommen?

Meyer-Lauber Es ist falsch, aber beschlossene Sache, dass die große Koalition in Berlin Steuererhöhungen ausgeschlossen hat. Die Bundesprogramme für die Länder müssen deshalb aufgestockt werden. Die Landesregierung hat ja wenig Gestaltungsspielraum in der Steuerpolitik. Da geht es nur über die kommunale Seite — etwa eine Erhöhung der Grunderwerbssteuer.

In welchem Umfang?

Meyer-Lauber Wir diskutieren das gerade im DGB. Vorstellbar wären ein bis zwei Prozentpunkte.

2010 wurden Sie mit 79 Prozent ins Amt gewählt. Ab welchem Ergebnis wären Sie diesmal zufrieden?

Meyer-Lauber Alles ab 79 Prozent aufwärts wäre gut.

Am Ende der nächsten Amtsperiode sind Sie 65. Ist dann Schluss?

Meyer-Lauber Ja. Bei Gewerkschaften ist es unüblich, über die Altersgrenze hinaus zu arbeiten. Die Legislaturperiode dauert exakt so lange, wie ich in meinem alten Beruf als Lehrer auch gearbeitet hätte.

Seit der vergangenen Woche dürfen Sie als SPD-Mitglied über die Zukunft der großen Koalition abstimmen. Wo haben Sie Ihr Kreuzchen gemacht?

Meyer-Lauber Die Vereinbarung enthält einen flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn, eine Stärkung des Tarifsystems und die ersten Verbesserungen im Rentensystem seit zehn Jahren. Ich würde der SPD raten, diese Koalition mitzugestalten und den Kopf hochzuhalten.

Keine Angst, dass die SPD wie beim letzten Mal von Merkel'scher Politik aufgerieben wird?

Meyer-Lauber Ich hoffe, dass man dieselben Fehler nicht noch einmal macht.

Befürworten Sie, dass sich die SPD für Bündnisse mit der Linkspartei geöffnet hat?

Meyer-Lauber Ja. Die Ausschließeritis hat die politische Landschaft hierzulande vergiftet. Und das ist kein sinnvoller Umgang demokratischer Parteien miteinander. Die Öffnung ist ein normaler Vorgang.

In der Union werden Stimmen laut, der Koalitionsvertrag belaste zu einseitig die junge Generation. Eine Kritik, der Sie sich anschließen können?

Meyer-Lauber Die jungen Menschen sind zu recht kritisch. Für die junge Generation stehen da enorme Belastungen ins Haus — etwa durch die Mütterrente — und gleichzeitig kommen von der Koalition zu wenige Verbesserungen für die jungen Leute, etwa die Abschaffung sachgrundloser Befristungen oder mehr Investitionen in das Bildungssystem. Dennoch bewerte ich den Vertrag insgesamt positiv, weil er einen Richtungswechsel in der Arbeitspolitik bedeutet.

Maximilian Plück führte das Gespräch.

(maxi)
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