Wirtschaft im Aufschwung "Deutschland ist wieder da"

Düsseldorf (RPO). Noch vor zwei Jahren wütete die Immobilien-, Finanz- und Wirtschaftskrise in Deutschland und dem Rest der Welt. Doch in den letzten Tagen und Wochen häufen sich die guten Nachrichten: Die Industrie bejubelt steigende Auftragseingänge, die Arbeitslosigkeit sinkt. Kommt jetzt der Aufschwung? Wenn ja, dann steht er auf wackeligen Beinen.

Die Kursentwicklung des Euro seit der Einführung 1999
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Foto: AFP

Die Botschaft passte zu dem derzeitigen Sommer-Wetter: "Deutschland ist wieder da", hat Wirtschaftsminister Rainer Brüderle (FDP) verkündet. Die Regierung hat die Krise am Donnerstagvormittag im Bundestag für beendet erklärt, Deutschland befindet sich ihrer Ansicht nach in einem wirtschaftlichen Aufschwung. Nun soll man Politikern bei der Verkündung von positiven Nachrichten nicht blindlings trauen - besonders nach der Fast-Blamage bei der Wahl des Bundespräsidenten.

Aber: Brüderles Optimismus hat einen wahren Kern. Die führenden Wirtschaftsforschungsinstitute hatten ihre Wachstumsprognosen bereits in den letzten Wochen angehoben. Am Mittwoch zog das DIW (Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung) nach: Die Experten rechnen mit einem 1,9prozentigen Anstieg des Bruttoinlandsprodukts. Das BIP bezeichnet den Gesamtwert aller produzierten oder erbrachten Waren und Dienstleistungen in einer Volkswirtschaft.

WM und Sommerwetter befügeln Absatz

Auch auf dem Arbeitsmarkt ist der Aufschwung angekommen. Immerhin ist die Arbeitslosenquote im Juni auf 7,5 Prozent gesunken. Momentan suchen 3,153 Millionen Menschen in Deutschland nach einem Job - so wenig wie seit 18 Jahren nicht mehr. Brüderle sprach von einem kleinen "Jobwunder" und gab sich zuversichtlich, dass auch die Marke von drei Millionen bald geknackt wird.

Dabei spielen ganz unterschieldiche Faktoren eine Rolle. "Die WM sorgt eindeutig für eine gute Stimmung", sagte Ulrike Hörchens, Sprecherin des Einzelhandelsverbades HDI. "Wir hoffen, dass sich das zusammen mit dem guten Sommerwetter auch in den Kassen des Einzelhandels bemerkbar macht."

Alleine in der letzten Mai-Woche sei der Umsatz mit Flachbildschirmen um 58 Prozent nach oben geschnellt, ermittelten die GfK-Marktforscher. "Ebenso boomen in diesen Tagen Merchandising-Artikel durch Trikotverkäufe und sonstige Accessoires", sagte GfK-Chef Klaus Wübbenhorst. Auch Bier, Knabbergebäck, Pizzas und Produkte rund um das Grillen würden verstärkt nachgefragt.

Industrie profitiert

Doch die erhöhte Nachfrage nach bestimmten Nahrungsmitteln ist nicht für den Aufschwung verantwortlich. Die Industrie profitiert direkt von der anziehenden Konjunktur. Die Auftragseingänge in NRW haben im Mai preisbereinigt um 32 Prozent höher als im selben Vorjahresmonat gelegen, teilte das Statistische Landesamt am Donnerstag mit. Viele Unternehmen beenden die Kurzarbeit und stellen wieder Leute ein.

Erst in der letzten Woche sorgte die Meldung für Aufsehen, dass die deutschen Autobauer die Produktion hochgefahren haben. Zur Erinnerung: 2009 musste der Schlüsselbranche noch mit Steuermilliarden in Form der Abwrackprämie unter die Arme gegriffen werden. Auch die deutschen Reedereien spüren den Aufwärtstrend.

Der Aufschwung macht sich auch in der Kasse von Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) bemerkbar. Er muss sich wahrscheinlich die ein oder andere Milliarde weniger pumpen. Auch die Sozialversicherungen werden entlastet, wenn mehr Menschen arbeiten und Beiträge zahlen. Sie nehmen im Gegenzug keine Transferleistungen wie Hartz IV in Anspruch.

Aufschwung unsicher

Hat die deutsche Wirtschaft das Tal der Tränen also durchschritten? Immerhin wurde die exportorientierte bundesrepublikanische Ökonomie so hart getroffen wie keine zweite. Der Einbruch von 5,5 Prozent war der stärkste Rückschlag der Nachkriegszeit.

Fest steht: Es geht aufwärts. Aber: Nicht alles, was glänzt, ist Gold. Die positiven Zahlen sind mit Vorsicht zu genießen. Deutschlands Abhängigkeit vom Export war im letzten Jahr eine Schwäche, die sich nun in eine Stärke wandelt. Die Weltwirtschaft erholt sich insgesamt, viele Schwellenländer waren von der Krise wenig betroffen. Sie bestellen nun wieder eifrig deutsche Qualitätsprodukte. Dank der Lohnzurückhaltung der Arbeitnehmer und des schwachen Euros profitiert Deutschland doppelt, denn unsere Ausfuhren in Länder außerhalb der Eurozone werden dadurch günstiger.

Doch das DIW warnt: "Nur auf die Exporte zu setzen reicht eben nicht aus", sagt der Konjunkturexperte Ferdinand Fichtner. "Vor allem weil unsere wichtigsten Handelspartner ebenfalls mit hohen Staatsschulden zu kämpfen haben und dringend sparen müssen. Das gilt für unsere europäischen Partner ebenso wie für die USA und Japan."

Schwache Binnennachfrage

Diesen Effekt sieht man derzeit in Deutschland. Die Binnennachfrage ist schwach, viele Bürger sind wegen der angekündigten Sparmaßnahmen der Regierung sowie den ungelösten Probelem der Finanzmarktregulierung und der Euro-Krise verunsichert. Außerdem: "Die Löhne und Gehälter werden in naher Zukunft nicht deutlich steigen", sagt Jörg Lüschow, Volkswirt bei der WestLB. Das dämpft den privaten Verbrauch. Erst im nächsten Jahr werde die Binnennachfrage dank gestiegener Kaufkraft der Haushalte und steigender Investitionen einen spürbaren Teil zum Wachstum beitragen, prognostiziert das DIW, das auch auf zahlreiche Unsicherheitsfaktoren hinweist.

An den Kapitalmärkten ist derzeit von Optimismus wenig zu spüren. Viele Händler haben die europäische Schuldenkrise im Blick, demnächst will die Ratingagentur Moody's die Kreditwürdigkeit Spaniens überprüfen. Außerdem sind die Börsianer nervös, weil aus China negative Konjunktursignale gekommen sind. Sie fürchten einen "Double Dip": Den Rückfall in die Rezession - mit nur einer kurzen Verschnaufpause in der Mitte.

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