IG BCE-Chef Vassiliadis im Interview "Deutschland braucht den Klima-Cent"

Düsseldorf (RP). Der Vorsitzende der Industriegewerkschaft IG BCE und Mitglied der Ethikommission zur Zukunft der Atomtechnik spricht im Interview mit unserer Redaktion über einen möglichen Klima-Cent, den Umbau der Energieversorgung für Deutschland und die Zukunft des Kraftwerks Datteln.

 Der Chef der IG BCE Michael Vassiliadis im Interview.

Der Chef der IG BCE Michael Vassiliadis im Interview.

Foto: ddp

Herr Vassiliadis, ganz Deutschland scheint einig über einen schnellen Atomausstieg, sind Sie froh darüber?

Vassiliadis Es entwickelt sich tatsächlich ein breiter Konsens, wohin unser Land in der Energiepolitik will. Über zwei Ziele besteht bereits weitgehend Klarheit: Es wird einen Ausstieg aus der Kernenergie geben, und wir lassen beim Klimaschutz nicht nach. Wie wir dahin kommen, das wird nun intensiv diskutiert. Ich finde das sehr positiv.

Sie schlagen einen Klima-Cent als einen Teil des Umbaupakets vor.

Vassiliadis Ja, denn das Umsteuern in der Energiepolitik ist ein Projekt, das in seiner Bedeutung der ersten Mondlandung oder der Wiedervereinigung Deutschlands nahe kommt. Dabei geht es um viel mehr als um Fragen der Energietechnik.

Was heißt das?

Vassiliadis Wir müssen die Instrumente überprüfen, die wir auf dem Weg in das Zeitalter der erneuerbaren Energien einsetzen. Technologie aus Deutschland kann weltweit zum Klimaschutz beitragen, etwa mit modernen Kraftwerken. Und wir müssen uns fragen, wie wir in Deutschland selber am besten vorgehen, um unsere Klimaschutzziele zu erreichen und gleichzeitig Arbeitsplätze zu sichern. Eine neue Energieversorgung ist ein Mammut- Projekt, das die ganze Gesellschaft fordert, und deshalb sollte das von der Allgemeinheit finanziert werden. Also über Steuern und damit auch leistungsgerecht.

Erklären Sie uns die Details.

Vassiliadis Deutschland hat sich eine CO2-Reduktion von 40 Prozent bis 2020 vorgenommen. Wenn nun die Kernkraftwerke schneller als bisher erwartet vom Netz gehen, werden wir sie zum Teil durch Kohle- und Gaskraftwerke ersetzen müssen. Um trotzdem genügend CO2 zu sparen, müssen wir unter anderem den Energieverbrauch senken. Wir schlagen zum Beispiel vor, gezielt die Wärmedämmung von Häusern zu verbessern. Das kostet viel Geld. Deshalb brauchen wir ein Förderprogramm in der Größenordnung von fünf Milliarden Euro jährlich. Diese Summe können wir mit dem Klima-Cent einsammeln.

Das wird teuer.

Vassiliadis Weder Mieter noch Hausbesitzer und der Staat dürfen überfordert werden. Deshalb muss es einen Mix an Instrumenten geben — von direkten Zuschüssen bis zu Förderkrediten und Steuererleichterungen. Heute belastet der Klimaschutz vor allem Normalverdiener. Allein die EEG-Umlage zur Förderung erneuerbarer Energien erhöht die Stromrechnung für einen durchschnittlichen Drei-Personen- Haushalt um 145 Euro pro Jahr. Deshalb wollen wir den Klima-Cent als Zuschlag zur Einkommensteuer gestalten, damit die höheren Einkommen künftig stärker zu dieser gesellschaftlichen Aufgabe beitragen als die kleinen und mittleren Einkommen.

Experten sagen, dass steigende Energiepreise und Abgaben auf CO2 automatisch zu Einsparungen führen.

Vassiliadis Vorsicht: Der Emissionshandel ist eine rein europäische Veranstaltung. Wenn wir nur in Europa energieintensive Branchen hoch belasten, dann entstehen Fabriken woanders. Und die beziehen dann ihren Strom aus Kraftwerken, die deutlich mehr CO2 freisetzen. Für das Klima wäre nichts gewonnen, im Gegenteil. Und in Deutschland und in Europa könnten zehntausende Arbeitsplätze verloren gehen. Deshalb müssen wir beim Klimaschutz umfinanzieren.

Manchem Öko-Freund aus dem öffentlichen Dienst sind Industriejobs in Deutschland relativ egal.

Vassiliadis Ohne starke Industrie stünde ganz Deutschland schlecht da. Wir sitzen alle in einem Boot und das wissen die Menschen.

Fordern Sie neue Kohlekraftwerke in Deutschland?

Vassiliadis Wir können nicht die Kernenergie verabschieden und gleichzeitig alle Kohlekraftwerke als "Klimakiller" verteufeln. Klüger wäre es, ältere Kohlekraftwerke für eine Übergangszeit durch neuere Anlagen zu ersetzen. Alte Anlagen arbeiten mit einem Wirkungsgrad von manchmal nur 25 Prozent, neue mit bis zu 46 Prozent. Mit moderneren Anlagen können wir einige Kernkraftwerke ersetzen, ohne dass der CO2-Ausstoß steigt.

Wäre es nicht das falsche Zeichen, wenn das größte Industrieland Europas auf Kohle setzt?

Vassiliadis Das wäre nur ein Teil der Energiewende. Zweitens geben wir Ländern wie China ein Beispiel, dass man auf supereffiziente Kohlekraftwerke setzen sollte. Drittens geht es ja darum, Zeit zu gewinnen, bis wir mit einem Kraftakt die Stromerzeugung fast ganz auf regenerative Quellen umgestellt haben.

Eon und RWE werden sicher keine Kohlekraftwerke für nur 15 oder 20 Jahre bauen und dann verschrotten.

Vassiliadis Wenn die neuen Kohlekraftwerke wirklich so schnell überflüssig werden, wie mancher hofft, dann muss eine Kompensation gesetzlich garantiert sein. Ich finde, wir stehen da vor einer guten Wahl: Entweder die regenerativen Energien schaffen schnell den Durchbruch — dann könnten wir diese Kompensation verschmerzen. Oder die regenerativen brauchen länger — dann könnten wir Kohle und Gas als Brücke nutzen.

Sollte das hochmoderne Eon-Kohlekraftwerk Datteln ans Netz gehen?

Vassiliadis Das wäre zu begrüßen. Denn damit hätten wir fast ein ganzes Kernkraftwerk ersetzt. Und es ist ja schon fast fertig. Aber das Land muss die Fehler im Genehmigungsverfahren beheben. Das muss natürlich nach Recht und Gesetz und transparent erfolgen.

Glauben Sie, dass die Grünen die von Ihnen skizzierte Ökowende mitmachen?

Vassiliadis Sie wachsen mit ihren Wahlerfolgen in eine neue Rolle hinein. Sie müssen die machbaren Schritte zu einer anderen Energiepolitik mitverantworten. Aber da sind nicht nur die Grünen gefordert, sondern beispielsweise auch die Kirchen und Verbände. Jeder muss einen Beitrag zu einem realistischen Umsteuern leisten.

Sie sind Aufsichtsrat von Henkel und BASF. Muss sich die Industrie mehr zum Öko-Umbau bekennen?

Vassiliadis: Sie hat schon viel beigetragen: Es sind Zehntausende Jobs in den regenerativen Energien geschaffen, Energie wird effizienter genutzt, und viele Produkte der Chemieindustrie helfen, die Umweltziele zu erreichen — wie auch Dämmstoffe von BASF oder Klebstoffe für Windkraftwerke von Henkel. Aber die Industrie muss sich öffentlich stärker zu ihrer ökologischen Verantwortung bekennen.

Reinhard Kowalewsky führte das Gespräch.

(felt)
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