Studie zur Produktivität Der Maschinenbau hat ein Problem

Düsseldorf · Die deutsche Paradebranche verliert ihre Ausnahmestellung, obwohl die Hersteller im Maschinenbau schneller digitalisieren als andere Unternehmen.

 Zahnräder (Symbolfoto).

Zahnräder (Symbolfoto).

Foto: dpa

Deutschland gilt als Industrie-Ausrüster der Welt. Wohl kaum eine Branche ist auf den globalen Märkten so erfolgreich wie die deutschen Hersteller von Maschinen und Anlagen. Konzerne wie Siemens, Bosch oder Kion (früher Linde), aber auch mittelständische Unternehmen wie Voith, Trumpf oder der Düsseldorfer Stahlwerksbauer SMS sind weltweit ein Symbol für Präzision, Effizienz und Hochtechnologie. Acht von zehn Euro verdient der Maschinenbau im Ausland. Zugleich gibt die Branche mehr als 1,3 Millionen Menschen Arbeit und überragt mit einer Umsatzrendite von acht Prozent viele andere Wirtschaftszweige.

Alles gut, möchte man meinen. Doch ausgerechnet der Vorzeigebranche droht Ungemach. Denn in der jüngsten, noch unveröffentlichten Branchenstudie des Mannheimer Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) und des Karlsruher Fraunhofer-Instituts für System- und Innovationsforschung (ISI), die unserer Redaktion vorliegt, kommen die Forscher zu einem, wie sie selbst sagen, „erstaunlichen Ergebnis“. Die Produktivität im Maschinenbau, das also, was pro Arbeitsstunde produziert wird, hat noch immer nicht das Niveau vor der Wirtschaftskrise von 2009 erreicht. Seit 2011 ist sie sogar zurückgegangen. Dabei seien Produktivitätsgewinne, so Ralph Wiechers, Chefvolkswirt des Verbands des Deutschen Maschinen- und Anlagebaus (VDMA), „eine wesentliche Stellschraube für nachhaltigen Erfolg, für Wettbewerbsfähigkeit, für zukünftige Arbeitsplätze, Wachstum und Erträge“. Tatsächlich lag die Produktivität im Jahr 2015, dem letzten Jahr der Datenerhebung der beiden Institute, um zehn Prozent unter dem deutschen Industriedurchschnitt. Noch im Jahr 2000 überragte der Maschinenbau die Restindustrie um 23 Prozent.

Auch gegenüber der Konkurrenz im Ausland fielen die deutschen Hersteller zurück. So dominierten Siemens, Bosch, Voith und Co. die internationalen Wettbewerber bis 2005 nach Belieben. Danach überholten aber Länder wie die Niederlande, Schweden und Österreich die deutschen Unternehmen. Auch in den USA, Frankreich und Japan hat sich die Produktivität deutlich günstiger entwickelt als in der Bundesrepublik. Ein Befund, der den Verantwortlichen ziemlich zusetzt. „Es besteht Handlungsbedarf – in den Maschinenbauunternehmen wie im VDMA“, hat Chefökonom Wiechers erkannt. Denn trotz aller guten Wirtschaftsdaten ist es zuallererst die Produktivität, die Auskunft über die wirkliche Lage eines Wirtschaftszweiges gibt. Die Forscher des ZEW und des ISI-Instituts sprechen folgerichtig von einem „Paradoxon zwischen Produktivitätsschwäche auf der einen Seite und beeindruckender wirtschaftlichen Performance bei vielen anderen Kennzahlen auf der anderen Seite“.

Dabei hat der Maschinenbau technologisch eigentlich alles richtig gemacht. Die Experten der Studie bescheinigen der Branche, dass sie ein „Vorreiter der digitalen Transformation hin zu Industrie 4.0“ sei. Darunter wird die vierte industrielle Revolution verstanden, die den Produktionsprozess mit der modernen Informations- und Kommunikationstechnik sowie der künstlichen Intelligenz verzahnt. Insbesondere bei der breit angelegten Digitalisierung und der Umstellung auf die vollautomatisierte Fabrik sehen die Forscher die deutschen Maschinenbauunternehmen vorn. Offenbar schlägt das überhaupt nicht an. „Die rasche Verbreitung einer umfassenden, intensiven Digitalisierung der Produktion des Maschinenbaus trägt aktuell nicht zu Produktivitätsgewinnen bei“, schreiben die Autoren der Studie. Auch die neuesten Konzepte der digitalen Fabrik führen laut ZEW und ISI-Institut nur zu geringen Effizienzsteigerungen.

Für die Branche ist es ein schwacher Trost, dass das Produktivitätsparadox offenbar ein Merkmal der Digitalisierung insgesamt ist. Schon der US-Wachstumsökonom und Nobelpreisträger Robert Solow hatte 1987 auf das scheinbar verrückte Problem hingewiesen, dass trotz hoher Investitionen der Unternehmen in Computer das neue Zeitalter überall, „nur nicht in der Produktivitätsstatistik zu sehen ist“. So gingen in allen industrialisierten Ländern und selbst in Aufstiegsnationen wie China trotz Digitalisierung die Produktivitätsgewinne über die Zeit zurück. Auch wenn Solows Aussage infrage gestellt wurde, so hat erst in jüngerer Zeit eine Gruppe um den Wachstumsforscher am Massachussetts Institute of Technology (MIT), Daron Acemoglu, nachgewiesen, dass Unternehmen, die massiv auf Informationstechnologie setzen, ihre Produktivität nur bescheiden steigern können. Blüht dieses Schicksal auch dem deutschen Maschinenbau?

Für die Forscher der Studie prägen die Produkte des deutschen Maschinenbaus weiterhin „die internationale Wahrnehmung Deutschlands als innovatives, technikorientiertes Land mit einer hohen Ingenieurskunst“. Als Trostpflaster für die Branche halten sie bereit, dass sich die Digitalisierung im Maschinenbau „noch in der Investitionsphase befindet“. Die Anfangsinvestitionen, so auch VDMA-Chefvolkswirt Wiechers, zahlten sich eben „erst später aus“. Dazu seien „gezielte strategische Investitionen in Technologie, die Entwicklung neuer Geschäftsmodelle sowie branchenübergreifende Kooperationen“ notwendig. Auch die Politik sei in der Pflicht, „eine gute Infrastruktur und flächendeckenden Zugang zu schnellem Internet zu gewährleisten“.

Das mag zutreffen. Aber eine alleinige Garantie für Erfolg ist die schnelle Digitalisierung offenbar nicht. Ökonomische Prozesse verlaufen vermutlich komplizierter, als sich das viele Industriestrategen vorstellen. Derweil bleibt die Produktivitätsschwäche des Maschinenbaus ein ernstes Problem. Ein Paradox, das Unternehmer, Forscher und Politiker noch lange beschäftigen dürfte.

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