Serie "Digitale Revolution" Post ist der Gewinner des Internetbooms

Bonn · Unter Deutschlands Traditionskonzernen profitiert der Gelbe Riese weit überdurchschnittlich von der Digitalisierung. Die Zahl der ausgelieferten Pakete wächst schnell dank E-Commerce. Jetzt wird das Geschäft internationalisiert.

Als Jürgen Gerdes im Jahr 2007 zuständiger Vorstand für die deutsche Brief- und Pakete-Sparte der Post wurde, spotteten einige Freunde: "Du wirst der letzte Chef dieser sterbenden Sparte sein. Das Internet macht doch das Briefgeschäft zum Auslaufmodell." Im Sommer 2014 sind die Spötter verstummt - und Gerdes ist begeistert. Denn als erfolgreichster Bereich des Logistikkonzerns Deutsche Post DHL soll nun ausgerechnet seine Sparte in den nächsten Jahren das entscheidende Wachstum bringen.

In mehreren Ländern Europas, in den USA und in Asien will sich der Dax-Konzern in den nächsten Jahren jeweils zu einem der zwei oder drei führenden Anbieter beim Paketgeschäft mit Privatkunden entwickeln. Und der 1964 geborene Familienvater Gerdes profitiert auch persönlich: Mit erweiterten Kompetenzen wird der Aufsichtsrat diesen Sommer seinen Vertrag um wohl weitere fünf Jahre bis 2020 verlängern. "Es gibt noch viel zu tun, packen wir es an", sagt einer seiner Vertrauten.

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Damit ist ausgerechnet der frühere Monopolist Post in Deutschland einer der Hauptprofiteure des globalen Online-Booms geworden. Die Telekom macht zwar Milliardenumsätze dank DSL- und Smartphoneboom, Zalando aus Berlin hat sich zu Europas größtem Online-Anbieter für Kleider entwickelt. Aber weil jedes im Internet bestellte Produkt zum Kunden geliefert weden muss, profitert der Gelbe Riese mehr vom World Wide Web als fast alle anderen Unternehmen der Republik. Immerhin stieg die Zahl der in Deutschland zugestellten Pakete von 760 Millionen Stück im Jahr auf etwas mehr als eine Milliarde Stück, und das soll erst der Anfang sein: "Pro Bürger ist das etwa ein Paket im Monat, da ist noch viel Luft nach oben", sagt Gerdes.

Dabei hat der Bonner Konzern ein komplexes System aufgebaut, das er nun exportieren will. In rund 30 vollautomatisierten Warenverteilzentren werden Pakete und Päckchen zuerst auf extrem schnell laufende Fließbänder geladen, dann kommen sie innerhalb von Sekunden in den richtigen Container für den jeweiligen Bestimmungsort. Das automatische Erkennen von Adressen und Barcodes ist Kern des Systems. Wer will, kann sich das Päckchen auch in eines der 2700 Packstationen an vielen S-Bahn-Stationen oder anderen öffentlichen Plätzen schicken lassen.

Aber das schnelle Zustellen ist nur Teil der Wertschöpfung. Kunden erfahren per Mail, wann das Paket ankommt. Mit dem Online-Portal Mein-Paket.de ermöglicht die Post Mittelständlern, am E-Commerce teilzunehmen - die Software für das Anbieten und Verkaufen von Waren haben die eigenen Computerexperten entwickelt -, in eigenen Lagern hält sie die Ware im Auftrag dieser Mittelständler bereit. Und zugestellt wird dann natürlich über die eigenen Mitarbeiter. Wann ein Paket ankommt, erfahren die Kunden per Mail.

Je wichtiger indes das Geschäft beim E-Commerce und beim Paketeservice ist, umso mehr sorgt sich der Vorstand um neue Wettbewerber. "Eine meiner Hauptaufgaben ist, unerwartete Szenarien zu durchdenken", sagt Vorstandschef Frank Appel, ein früherer McKinsey-Berater. Und weil der Vorstand dabei vorrangig die Gefahr sieht, dass große E-Commerce-Unternehmen wie Amazon ihre Logistik alleine organisieren, wird das eigene System weiter perfektioniert. Ein Weg dahin ist, die Lieferfrequenzen zu erhöhen - je öfter die gelben Paketwagen eine Straße ansteuern, umso besseren Service können sie bieten. So hat Gerdes mit "Allyouneed.com" einen Lieferservice für Lebensmittel und Alltagsgüter aufgebaut.

Ab Herbst will der Konzern hunderttausenden Kunden Paketbriefkästen in den Vorgarten stellen. Die Haushalte erhalten Pakete dann direkt in den Kasten, ebenso wie sie Briefe im Briefkasten bekommen. Doch es geht nicht nur um Bequemlichkeit. Auch die Post erhält einen Schlüssel zu der Kiste. Warum? Um darin reingelegte Rücksendungen abholen zu können - die Post erfährt per Mail oder Mausklick auf einer Internetseite, dass ein Paket abgeholt werden soll. In Wahrheit hält der Paketbriefkasten allerdings auch die Konkurrenz der Post weg vom Briefkasten des Kunden. An den kommen nämlich andere Firmen nicht ran.

Richtet sich das nur gegen Hermes oder UPS? Nein, die größte Sorge der Deutschen Post ist, dass Amazon als einer der größten Auftraggeber irgendwann seine Pakete selber ausfährt. Dass das keine Wahnvorstellung ist, zeigen die USA: In New York, San Francisco und Los Angeles testet Amazon einen eigenen Verteilservice. Die Reaktion der Post: "Je besser wir selbst sind", sagt ein Vorstand, "umso unersetzbarer sind wir."

(RP)
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