Müllgeschäfte Remondis – der gierige Riese

Lünen · Weitgehend unbemerkt von der Öffentlichkeit hat sich der Müllkonzern Remondis zu einem Giganten der Entsorgungsbranche entwickelt. Jetzt greift er nach dem Grünen Punkt – und bekäme damit den deutschen Abfallmarkt in den Griff.

 Das Lippewerk von Remondis in Lünen ist die größte Recycling-Fabrik Europas.

Das Lippewerk von Remondis in Lünen ist die größte Recycling-Fabrik Europas.

Foto: Remondis

Ein Hauch von Schimanski liegt über den Fabrikhallen des Lippewerks in Lünen. Dunkle Backstein-Bauten, riesige Lagergebäude, Magazine, Werkstoffhalden und breite Industriestraßen beherrschen den Komplex, der einst 1938 in der Nazi-Zeit als Aluminiumwerk hochgezogen wurde, um die Rüstungsindustrie mit diesem wertvollen Material zu versorgen. Bis 1988 wurde dort Aluminium produziert. Heute ist das 230 Hektar umfassende Lippewerk Europas größtes Zentrum für industrielles Recycling. Man könnte auch sagen, das größte Müllwerk des Kontinents – und gleichzeitig das Herz des mächtigen Entsorgungskonzerns Remondis.

Man muss schon den Wagen nehmen, um die Dimensionen der Anlage zu erkunden. 1,4 Millionen Tonnen an Abfall passieren jährlich die Werktore, was den Ladungen von rund 35.000 Lastwagen entspricht. Daraus machen die rund 1400 Beschäftigten des Werks 900.000 Tonnen Recyclingrohstoffe – Kunststoffgranulate, Farben-Inhaltsstoffe, Tiermehl oder Biodiesel. Allein 600.000 Tonnen Gips erstellt Remondis als Abfallprodukt aus den Rauchgasentschwefelungsanlagen deutscher Kohlekraftwerke. „Diese Rohstoffquelle fällt in den nächsten 20 Jahren weg", meint der frühere Werksleiter Ansgar Fendel, heute Geschäftsführer einer Remondis-Tochter, mit Blick auf den Kohlekompromiss, der für 2038 die Abschaltung aller Kohlekraftwerke vorsieht.

Doch das Ende der Kohleverstromung dürfte den Machern von Remondis kaum schlaflose Nächte bereiten. Denn der Konzern aus Lünen hat inzwischen alles in seinem Portfolio, was mit der Entsorgung unerwünschter Reststoffe zu tun hat: Kunststoffverpackungen, Altglas, Altpapier, Elektroschrott, Sonderabfall, Holz, Deponien, Sortieranlagen, Müllverbrennungsöfen, Kompostwerke. 30 Millionen Tonnen Abfall – im Branchensprech Wertstoffe genannt – sammelt, recyclelt und vermarktet das Unternehmen. Das entspricht fast der gesamten Müllmenge, die deutsche Haushalte und Kleinunternehmen pro Jahr produzieren. Das ergibt für das Unternehmen, das sich in der Hand der familiengeführten Rethmann-Gruppe befindet, einen Umsatz von 7,3 Milliarden Euro. Seit mehr als zwei Jahrzehnten wächst Remondis jährlich um rund zwölf Prozent – mehr als die Wirtschaftsgroßmacht China. Ob kleine Stadtwerke oder veritable Entsorgungskonzerne wie RWE Umwelt: die Rethmann-Tochter kaufte alles, was auf dem Markt nicht niet- und nagelfest war. Von 2014 bis 2017 meldete Remondis 52 Übernahmen an – mehr als jedes andere Unternehmen unter den Top 100 aus Deutschland. Der Entsorger kann es sich leisten. Hinter Remondis steht ja die Familienholding, die auf einen Jahreserlös von 14,4 Milliarden Euro (2017) kommt, bei 72.000 Mitarbeitern und 3,1 Milliarden Euro Eigenkapital.

An Finanzkraft und Know-how mangelt es der Gruppe also nicht. In einem wahren Kaufrausch ist Rethmann im Oktober des vergangenen Jahres mit 34 Prozent beim internationalen Bahn- und Nahverkehrsriesen Transdev aus Frankreich eingestiegen. Allein dafür hat die Holding 340 Millionen Euro bezahlt und will nun der Deutschen Bahn das Fürchten lehren. Der Schienen- und Busverkehr soll die vierte Säule des Konzerns neben Entsorgung, Logistik und Energie werden.

Regelrecht in Panik geriet die Branche, als Remondis im vergangenen Jahr für 150 Millionen Euro das Duale System Deutschland (DSD) kaufte, das unter dem Markenzeichen Grüner Punkt jedem Bundesbürger geläufig sein dürfte. Das war gerade mal vier Tage vor dem Transdev-Deal. Gegen diesen Aufkauf laufen alle Konkurrenten Sturm. Am 16. Januar hat Remondis die Fusion beim Kartellamt angemeldet, das seitdem prüft und schon in den kommenden Tagen eine Entscheidung verkünden könnte.

Erst am vergangenen Freitag warnte der Wettbewerbsökonom Justus Haucap in einem Gutachten für den Bundesverband Sekundärrohstoffe und Entsorgung noch einmal eindringlich vor den schwerwiegenden Folgen für den Wettbewerb, den diese Übernahme mit sich brächte. Schon jetzt kontrolliert Remondis laut Haucap bei den Kunststoffverpackungen knapp 30 Prozent des Marktes, beim Glas sogar fast 40 Prozent. Darf der westfälische Konzern das DSD kaufen, wäre er Herr bei der Lizensierung von 35 Prozent der Kunststoffabfälle, 35 Prozent des Altglases und 37 Prozent bei Papier, Pappe und Kartonagen.

Es ist ein komplizierter Markt, um den es bei der Entsorgung der Hausabfälle geht. Denn wer in Deutschland eine Verpackung verkaufen will, muss sich bei einem der acht verschiedenen dualen Systeme anmelden. Dort werden alle möglichen Abfälle lückenlos erfasst. Sinn des Systems ist die Verwertung dieser Reststoffe. Denn nach dem Verpackungsgesetz vom 1. Januar 2019 müssen alle Abfälle entweder wiederverwertet oder verbrannt werden. Eine Deponierung ist verboten.

Die dualen Systeme, allen voran das DSD, organisieren diese Verwertung. Sie schreiben für mehr als 400 Entsorgungsregionen in Deutschland die Sammlung der verschiedenen Hausmüllfraktionen aus. An diesen Ausschreibungen können sich öffentliche und private Müllabfuhren beteiligen. Sie bringen die Inhalte der gelben und blauen Tonne sowie der Glascontainer zu den Sortier- und Wiederverwertungsanlagen.

Alarm schlägt Haucap, weil Remondis auf dem Markt der Sammlung von Kunststoffen und Altglas nicht nur einen riesigen Vorsprung vor dem Zweitplatzierten, der Berliner Alba-Gruppe, hat, sondern zugleich über die meisten Verwertungsanlagen der Branche verfügt und obendrein an vielen Müllöfen beteiligt ist. Dass der Remondis-Eigentümer Rethmann mit Rhenus auch noch einen Park mit Tausenden von Lastwagen besitzt, macht laut Haucap die Abschottung des Marktes perfekt.

Der Ökonom fürchtet, dass ein gemeinsames Unternehmen Remondis/DSD Wettbewerber bei der Sammlung der Reststoffe behindern und anderen Entsorgern den Zugang zu Sortieranlagen, Müllöfen oder Verwertungsbetrieben sperren könnte. Die Kombination von Finanzkraft, technischem Know-how, aggressiven Preis- und Verdrängungsstrategien könnte Remondis, so Haucap, einen Marktanteil von mehr als 50 Prozent bei Leichtverpackungen und Glas einbringen. Die deutsche Entsorgungswirtschaft wäre völlig in der Hand der Westfalen.

Die Verantwortlichen von Remondis halten dagegen. „Professor Haucap hat leider vom Entsorgungsmarkt wenig Ahnung, wenn er uns eine marktbeherrschende Stellung attestiert. Bei der Verwertung von PET-Flaschen, dem hochwertigsten Entsorgungsgut, liegt unser Marktanteil bei sehr deutlich unter zehn Prozent“, meint Remondis-Geschäftsführer Herwart Wilms. Zudem hätte der Marktzweite Alba mit Interseroh auch ein duales System, das ein Viertel der Kunststoffleichtverpackungen ausschreibe, wovon womöglich die Berliner profitieren könnten. Wilms’ Fazit: „Das DSD hat derzeit einen Marktanteil bei allen drei Abfallarten (Papier, Glas, Leichtstoffverpackungen) von 31 Prozent. Da kann von einer marktbeherrschenden Stellung keine Rede sein.“ Schließlich erwäge der Discounter Lidl den Aufbau eines eigenen dualen Systems und werde damit „den anderen mindestens zehn Prozent Marktanteil entziehen“. Und die massiven Beschwerden der Konkurrenten? Wilms: „Mir kommt es manchmal vor, als handelt es sich um die Neidargumente von Marktteilnehmern. Unsere Vorteile sind die Nähe zum Kunden, die bessere Vertriebsmannschaft und unsere überlegenen Prozesse, nicht die schiere Marktmacht.“

Allerdings deuten interne Dokumente darauf hin, dass Remondis seine Marktmacht eher kleinredet. Selbst die Wirtschaftskanzlei Gleiss Lutz, die Remondis beim Kartellverfahren vertritt, räumt ein, dass bei der Altglassammlung der Remondis-Marktanteile zwischen 70 und 80 Prozent in der Region Hamburg/Schleswig-Holstein liegt, während der Konzern aus Lünen im größten Bundesland Nordrhein-Westfalen immerhin 40 bis 50 Prozent des Marktes beherrscht.

Das Kartellamt kommt bei der Überprüfung des Remondis-Glasaufbereitungsanlagen in einem Schreiben vom 6. Februar zum Schluss, dass sich bei den angegebenen Marktanteilen „Unplausibilitäten ergeben“. Im Klartext: Die Wettbewerbsbehörde akzeptiert die Berechnungsmethode des Entsorgungskonzerns nicht. Auch bei der Beteiligung von Remondis an öffentlich-privaten Partnerschaften, also Gemeinschaftsunternehmen mit städtischen Betrieben, und der Kapazität von Müllverbrennungsanlagen sind die Angaben des Unternehmens laut internen Kartellamtsschreiben nicht ausreichend.

Noch härter formuliert es ein Insider der Branche, der als sogenannter Whistleblower dem Kartellamt ebenfalls einen Brief geschrieben hat. Darin ist die Rede davon, dass Remondis/DSD durch sein Rundum-Paket für die gesamte Entsorgung „seinen Marktanteil bei der Verpackungslizensierung ausbauen wird“. Zudem kämen die Westfalen in den Besitz wichtiger Daten über Angebotspreise und Kalkulationen, mit denen sie „Mitbewerber bei Ausschreibungen von Aufträgen über die Leichtverpackungs- und Altglassammlung gezielt unterbieten können“. Zudem habe das fusionierte Unternehmen einen Großteil der Kunststoffverwertungsbetriebe in ihrem Eigentum oder unter Vertrag und werde seine Marktmacht einsetzen, um „Verwertungswege abzuschneiden“. Das würde den Wettbewerbsexperten Haucap bestätigen. Überhaupt, so der Insider, habe der Konzern Remondis „das skrupellose Ausnutzen seiner Marktmacht immer glänzend beherrscht und in manchen Regionen schon eine Monopolstellung errungen“.

Remondis-Geschäftsführer Wilms weist solche Vorwürfe als unwahr zurück. Der Kauf des DSD sei rein kundengetrieben, meint der Entsorgungsmanager: „Wir können durch den Kauf des DSD mehr Einfluss auf das Design der Verpackungen nehmen. Es gilt dann: Was der Mensch verbindet, muss er auch trennen können. Wer so produziert, der soll im Markt auch besser gestellt werden.“

Es wird sich zeigen, ob der Müllriese mit diesen Argumenten im Bonner Kartellverfahren durchdringt. Die Behörde selbst will sich zum Fall nicht äußern und erklärt nur, dass nicht allein Marktanteile entscheidend sind, sondern auch das Verhalten des Marktführers. Das könnte gegen Remondis sprechen. Trotzdem gibt sich Geschäftsführer Wilms zuversichtlich: „Wir haben volles Vertrauen, dass die Kartellbehörde ein faires Verfahren durchführt. Es ist transparent, alle Beteiligten haben volle Akteneinsicht. Sollte das Kartellamt den Kauf des Dualen Systems Deutschland verbieten, haben wir mehrere Optionen, auf diese Entscheidung zu reagieren.“ Man wird von Remondis noch hören.

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