Nach Wirecard-Rauswurf Delivery Hero rückt in den Dax

Frankfurt · Der Essenslieferant ersetzt ab Montag den Zahlungsdienstleister Wirecard im wichtigsten deutschen Börsenindex. Ein Unternehmen, das bisher noch keine schwarzen Zahlen geschrieben hat. Aber das Wachstum überzeugt die Börsianer.

 Delivery-Hero-Chef Niklas Östberg (rechts) beim Börsenstart.

Delivery-Hero-Chef Niklas Östberg (rechts) beim Börsenstart.

Foto: Delivery Hero

Dass ein Unternehmen Einzug in den Deutschen Aktien-Index (Dax) hält, das in seiner neunjährigen Konzerngeschichte noch niemals schwarze Zahlen schrieb, hat es in der deutschen Börsenhistorie auch noch nicht gegeben. Und doch war der Einzug von Delivery Hero in das wichtigste deutsche Börsensegment am späten Mittwochabend zwangsläufig. Der Börsenwert im Streubesitz und die Handelsumsätze gaben letztlich den Ausschlag. Ab Montag nimmt der Betreiber von Online-Plattformen für Essenslieferungen den Platz im Dax ein, den der Zahlungsdienstleister Wirecard räumen muss. Mit einem Börsenwert von knapp 20 Milliarden Euro. Der zweite Neuzugang aus der Hauptstadt binnen kurzer Zeit, nachdem der Wohnungskonzern Deutsche Wohnen jüngst die Deutsche Lufthansa verdrängt hatte.

Der jetzige Wechsel ist nicht nur wegen der bislang ausgebliebenen Profitabilität des Dax-Neulings ungewöhnlich, sondern auch wegen der gesamten Begleitumstände. Immerhin hat die Deutsche Börse eigens wegen des Wirecard-Skandals die Regeln verändert hat. Nach dem gängigen Regelwerk wäre der Zahlungsdienstleister erst am 21. September bei der nächsten Überprüfung der Index-Zusammensetzung rausgeflogen, nachdem der Börsenwert sich pulverisiert hat. Aber den Makel, erstmals in der Dax-Geschichte ein insolventes Unternehmen im Index zu haben, wollte sich die Börse nicht länger als unbedingt nötig leisten.

Der Nachfolger ist zwar nicht insolvent, aber dass er das uneingeschränkte Vertrauen aller Experten genießt, kann man auch nicht behaupten. Manchen beschleichen  schon böse Erinnerungen bei dem Gedanken an den kometenhaften Aufstieg von Wirecard vor zwei Jahren. Zu Recht? Delivery Hero, 2011 gegründet und seit drei Jahren an der Börse notiert, macht nicht nur immer noch Verluste, sondern ist auch das einzige Dax-Mitglied ohne eigenes Deutschland-Geschäft. Das hat der Konzern 2019 an den niederländischen Konkurrenten Takeaway verkauft, der hierzulande durch den Lieferdienst Lieferando bekannt ist. Stattdessen machen die Berliner selbst im großen Stil Geschäft in Asien -  allerdings auch dort mit Verlusten.  Wann Delivery Hero, das nicht nur Mahlzeiten, sondern auch Lebensmittel, Medizin und anderes ausliefert, den Sprung in die Gewinnzone schaffen könnte, mag noch niemand voraussagen.

Seit Jahren rote Zahlen, keine sichere Ergebniserwartung – ist die Wachstumsstory von Delivery Hero zu wacklig? Immerhin weiß der Anleger hier, woran er ist, während er bei Wirecard über Jahre hinweg mit frisierten Zahlen getäuscht worden ist. Den Glauben an das Geschäftsmodell von Delivery Hero haben die Investoren jedenfalls noch nicht verloren. Im Gegenteil: Die Corona-Krise hat das Geschäft angeschoben und den Aktienkurs des Unternehmens binnen drei Monaten um mehr als 20 Prozent steigen lassen. Die Menschen kaufen immer mehr im Internet, und je älter unsere Gesellschaft wird, umso stärker könnte auch die Zahl der potenziellen Kunden wachsen. Dass ein Unternehmen wesentliche Teile des Geschäfts im Ausland macht, ist im Dax nichts Ungewöhnliches.

Die Wachstumszahlen überzeugen die Börsianer.  Delivery Hero hat viel investiert, und deshalb ist der Betriebsverlust im vergangenen Jahr deutlich gestiegen, auf 648 Millionen Euro. Der Umsatz kletterte allerdings um 86 Prozent auf 1,24 Milliarden Euro. In der kommenden Woche gibt es frische Zahlen von Delivery Hero, das seinen Ausblick für 2020 schon einmal angehoben hat.

Gegen die positive Perspektive spricht auch nicht, dass der Aktienkurs am Mittwoch um 1,7 Prozent gesunken ist. Vermutlich hätten Anleger Gewinne mitgenommen, hieß es an der Börse. Im Gegenzug hat übrigens Absteiger Wirecard sogar zugelegt, und zwar mehr als vier Prozent. Bei einem Aktienkurs von 1,35 Euro ist das für Sparer, die je nach Einstiegszeitpunkt womöglich nahezu ihr komplettes Wirecard-Investment verlieren, aber auch nur noch ein schwacher Trost.

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