Neue Sortieranlagen könnten Gelbe Säcke und Tonnen ersetzen Das Ende des Grünen Punkts?

Berlin (rpo). Auch 14 Jahre nach Erfindung des Grünen Punkts lässt die Sammel- und Sortierbilanz der deutschen Verbraucher zu wünschen übrig. Mit Gelbem Sack und Grünem Punkt könnte es aber bald ohnehin vorbei sein, da hoch moderne Abfallanlagen nicht nur besser, sondern auch schneller sortieren als nachlässige Großstadtbewohner und überforderte Großfamilien.

Papier, Metall und Kunststoffe könnten zusammen mit dem Restmüll dann bequem in eine Tonne gestopft, wertvolle Rohstoffe mittels ausgefeilter Computertechnik herausgepickt werden. Gerade in Ballungsräumen könnte die schlechte Sammelbilanz aufpoliert werden, räumt sogar das Duale System Deutschland (DSD) ein, der Erfinder des 1990 eingeführten Grünen Punkts.

In Außenbezirken der Ruhrgebietsstädte oder engen Berliner Hinterhöfen landen mitunter mehr Gemüsereste, Windeln oder Glasflaschen in den Gelben Tonnen als Verpackungen mit dem Grünen Punkt, weiß Müllexperte Michael Kern. Der Geschäftsführer des Witzenhausen-Instituts für Abfall, Umwelt und Energie versammelt auf dem Kasseler Abfallforum noch bis Donnerstag Experten, Politiker und Manager der Branche. Bei der wichtigsten Abfalltagung Europas geht es auch um die Frage, ob die fein säuberliche Trennung von Joghurtbechern, Altpapier und Kaffeesatz, wie sie die Deutschen seit Jahren üben, noch Zukunft hat.

Die Politik bewegt sich dabei "auf einem Minenfeld", sagt Abfallexperte Kern. Gerade in den ländlichen Regionen sei die gewissenhafte Mülltrennung für viele "fast schon Teil der Religion". "Wenn Sie denen sagen, sie sollen wieder alles in eine Tonne werfen, bricht für viele eine Welt zusammen." Für viele sei die Mülltrennung ihr "persönlicher Beitrag zum Umweltschutz", argumentiert auch das DSD. In einzelnen Großstadtbezirken aber prüft der Grüne-Punkt-Verwalter, wie die teils schlechten Verwertungsquoten aufgebessert werden können. Dabei sei auch der begrenzte Verzicht auf die Getrenntsammlung denkbar, sagt DSD-Sprecher Achim Struchholz.

Deutschlands größter Müllentsorger RWE Umwelt zeigte bereits, wie dies aussehen kann. In Essen kippten die Entsorger vergangenes Jahr normalen Hausmüll auf die Förderbänder einer Sortieranlage, die eigentlich für Leichtverpackungen aus dem Gelben Sack gedacht ist. Das Ergebnis übertraf die Erwartungen der Müllmanager: Auf Anhieb wurden die gesetzlichen Vorgaben an die Wiederverwertungsquoten erfüllt. Kein Problem für hoch moderne Anlagen, die mit dem Einsatz von riesigen Gebläsen, Magneten und Sensoren alles Brauchbare vom Förderband holen - schneller als Müllarbeiter und genauer als der durschnittliche Verbraucher.

Von "unnötigem Sammelaufwand" und überhöhten Kosten könnten die Bundesbürger jetzt entlastet werden, schlussfolgert die umweltpolitische Sprecherin der FDP-Bundestagsfraktion, Birgit Homburger. Die Mülltrennung im Haushalt sei "keine Voraussetzung mehr für eine hochwertige Abfallverwertung." Kritiker der manuellen Getrenntsammlung verweisen auf durchschnittlich 25 Euro im Jahr, die der Einzelne für den Grünen Punkt zahlen muss. Dagegen warnt das Duale System vor steigenden städtischen Müllgebühren, wenn die Restmüll-Tonnen wieder vergrößert und öfter abgeholt werden müssten. Neun von zehn Bundesbürgern sammelten ihren Müll, und die Mehrheit halte dies auch für sinnvoll, betont DSD-Sprecher Struchholz.

Für eine vollständige Automatisierung würden noch dutzende leistungsfähige Anlagen fehlen, auch verlässliche Langzeitversuche hat es bislang nicht gegeben. Experten wie Institutschef Kern sehen die Zukunft der deutschen Abfallentsorgung daher eher in einer langsamen Optimierung als in einem abrupten Systemwechsel. "Von effizienteren Anlagen profitieren dann auch das DSD und die Verbraucher." Selbst für die Manager der RWE Umwelt ist nicht absehbar, wann den Bundesbürgern ihre Sortierarbeit wieder gänzlich abgenommen werden kann. "Der Rückschluss, die getrennte Erfassung sei überflüssig, ist in jedem Fall verfrüht", kommentierten die Entsorger ihren ersten Großversuch.

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