Interview mit Markus Steilemann „Stellenabbau trifft vor allem Leverkusen“

Leverkusen · Der Covestro-Chef spricht im Interview mit unserer Redaktion über den Konzernumbau, Brexit-Sorgen und die Frage, wie man Chemiewerke digitalisiert.

 Markus Steilemann führt seit Juni 2018 den Chemiekonzern Covestro.

Markus Steilemann führt seit Juni 2018 den Chemiekonzern Covestro.

Foto: Anne Orthen (ort)/Orthen, Anne (ort)

Bis Sommer war der Chemiekonzern Covestro noch als Dax-Aufsteiger gefeiert worden. Doch dann folgten Stellenabbau, Gewinnwarnung, Kurseinbruch. Wir fragten Markus Steilemann, der seit Juni den Konzern führt, wie es weiter geht.

Was ist los bei Covestro?

Steilemann Auf mittel- bis langfristige Sicht sind wir weiter gut unterwegs. Wir bieten die Produkte, die man für Megatrends wie Klimaschutz, Elektromobilität und Digitalisierung braucht. Doch kurzfristig leiden wir wie viele Chemiekonzerne unter einem sehr schwierigen Umfeld.

Was genau belastet Sie?

Steilemann Die Konjunktur in der Auto- und Bauindustrie, aus der viele unserer Kunden kommen, trübt sich ein, Unternehmen und Anleger sind verunsichert durch Brexit und Handelsstreit.

Und gleichzeitig schmilzt der Vorsprung zu Ihren Konkurrenten, die wie Sie die Kunststoffe MDI und TDI produzieren?

Steilemann Erstmals stand weltweit keine einzige MDI- und TDI-Anlage still, was es meines Wissens in der Branche noch nie gab. Das verschärft natürlich den Wettbewerb. Und dann kam noch das Niedrigwasser am Rhein hinzu. Wir mussten zwar keine Anlage stilllegen, aber einige drosseln. Wir konnten nicht genug Rohstoffe ordern, Nebenprodukte wie Natronlauge abgeben oder fertige Güter ausliefern.

Der Rhein lähmt den Industriestandort Deutschland. Was lernen Sie daraus?

Steilemann Der Rhein ist eine Lebensader der chemischen Industrie, doch wir schauen uns nun für solche extremen Pegelstände nach Transport-Alternativen um. Leider ist die Infrastruktur in schlechtem Zustand – Brücken, Straßen, Bahnen, der Staat muss dringend mehr tun. Ein alternatives Transportsystem ist auch die CO-Pipeline zwischen Dormagen und Krefeld. Wir warten weiter auf eine Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts, um sie endlich in Betrieb nehmen zu können.

Die Aktie ist von einst 95 Euro auf nun 43 Euro gefallen. Ihre Gewinnwarnung von November hat die Anleger verstimmt, zumal Sie im Sommer erst die Prognose angehoben hatten. Warum dieser Zickzack-Kurs?

Steilemann Das hat Vertrauen gekostet, nun arbeiten wir daran, es zurückzugewinnen. Aus heutiger Sicht war die Prognoseerhöhung im Sommer vielleicht zu mutig, zum damaligen Zeitpunkt war sie allerdings richtig. Dann lief, wie gesagt, einiges gegen uns. Hinzu kommt noch ein anderer Aspekt: Wir haben uns ja mit den Betriebsräten auf ein Effizienzprogramm geeinigt und mussten Rückstellungen für den Sozialplan bilden, ein mittlerer zweistelliger Millionenbetrag für 2018. Das belastet ebenfalls den Gewinn.

Sie wollen 900 Stellen weltweit streichen, davon 400 in Deutschland. Wo genau?

Steilemann Unser Effizienzprogramm „Perspective“ hat nichtsmit der aktuellen Lage zu tun, sondern ist seit langem geplant. Drei Jahre nach der Trennung von Bayer senken wir Sachkosten, wollen Möglichkeiten der Digitalisierung stärker nutzen und passen zudem unsere Organisation an die spezifischen Bedürfnisse von Covestro an. Der in diesem Zuge bis Ende 2020 geplante Stellenabbau zielt vor allem auf die Verwaltung und einzelne Bereiche der Geschäftssegmente. In Deutschland ist in erster Linie der Standort Leverkusen betroffen, wo unsere Zentrale und viele Verwaltungsbereiche sitzen.

Die Bayer AG im Porträt
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Foto: AFP/PATRIK STOLLARZ

Ein weiterer Schlag für Leverkusen, Bayer will Tausende Stellen kappen. Wie erleben Sie die Stimmung?

Steilemann Die Stimmung im Chemiepark ist gedrückt, keine Frage. Doch Bayer und Covestro haben den Ausschluss betriebsbedingter Kündigungen bis 2025 zugesagt. Das gibt Mitarbeitern Sicherheit.

Bayer will auch seine 60-Prozent-Beteiligung am Chemiepark Currenta verkaufen, der auch Covestro-Werke in Leverkusen, Dormagen und Krefeld betreut. Wollen Sie den Bayer-Anteil übernehmen?

Steilemann Wichtig ist, dass alle Akquisitionen für unsere Investoren Wert schaffen. Wenn wir Zukäufe tätigen, dann stärken wir damit das Kerngeschäft. Für den Betrieb von Chemieparks gibt es die unterschiedlichsten Beispiele.

Ist es Ihnen denn egal, wer Bayers Anteil übernimmt? Im Gespräch ist etwa die australische Bank Macquarie.

Steilemann Wir sind sehr gut abgesichert, weil wir langfristige Lieferverträge mit Currenta haben.

Was halten Sie überhaupt von Bayers Kahlschlag – zahlen die Mitarbeiter nun die Zeche für den Monsanto-Deal?

Steilemann Ich bin kein Experte in Agrochemie und werde nicht die Politik unseres Nachbarn bewerten. Aber Bayer-Chef Werner Baumann hat ja deutlich gesagt, dass der Großteil des Stellenabbaus auch ohne Monsanto nötig gewesen wären.

Zurück zu Ihrer Aktie. Wie wollen Sie Aktionäre zurückgewinnen?

Steilemann Indem wir gute Arbeit machen, organisch wachsen und gezielt zukaufen. Zudem planen wir ein neues Aktienrückkaufprogramm, darüber wird die nächste Hauptversammlung entscheiden. Das jüngste Rückkaufprogramm über 1,5 Milliarden Euro ist gerade erfolgreich abgeschlossen.

Sie wollen bei Zukäufen mutiger sein, haben Sie im Mai gesagt. Wie weit sind Sie?

Steilemann Wir können uns mehrere kleine, einige mittlere und einen großen Zukauf vorstellen. Groß heißt: im Milliardenbereich. Mit kleineren und mittleren Firmen sind wir in Kontakt. Die Zeiten für Zukäufe werden nach den jüngsten Kurskorrekturen besser. Erst kürzlich haben wir die Mehrheit an einem Gemeinschaftsunternehmen in Japan übernommen, das thermoplastisches Polyurethan herstellt.

Wo wollen Sie noch zukaufen?

Steilemann Bei den klassischen Polyurethanen sind wir ein Marktführer, hier können wir aus kartellrechtlichen Gründen kaum zukaufen. Bei Polycarbonaten gibt es Spieler, die zu uns passen könnten. Zugleich schauen wir uns in Randbereichen wie Hochleistungslacken und Klebern um. Aber wir rechnen mit spitzem Stift.

Covestro ist erst 2018 in den Dax aufgestiegen. Droht jetzt schon wieder der Abstieg?

Steilemann Die Dax-Zugehörigkeit wird in regelmäßigen Abständen überprüft und ist derzeit nicht Thema. Im Übrigen definieren wir uns nicht über die Mitgliedschaft in einem Aktienindex. Covestro ist auch so ein erfolgreiches Unternehmen.

Der niedrige Aktienkurs macht Sie angreifbar. Haben aggressive US-Investoren wie Elliott schon angeklopft oder sind gar eingestiegen?

Steilemann Ich sehe Covestro nicht als Übernahmekandidaten. Grundsätzlich gilt: Wenn ein neuer Investor gute Ideen hat, hören wir uns diese gerne an. Der beste Schutz vor Übernahmen ist gute Arbeit, die keine versteckten Werte im Konzern lässt.

Dazu gehört auch der Ausbau des Digitalgeschäfts. Wie war Ihr Ausflug zur chinesischen Handelsplattform Alibaba?

Steilemann Wir machen da keine großen Umsätze, lernen aber viel über den chinesischen Markt. Neben der Digitalisierung des Vertriebs gehen wir nun die der Forschung an. Künstliche Intelligenz hilft unseren Forschern: So schlägt der Rechner nach Auswertung vieler vorhandener Forschungsergebnisse vor, welche Experiment-Reihen der Forscher als nächstes startet.

Die Digitalisierung schafft also nicht nur Standard-Jobs ab?

Steilemann Die Arbeit des Forschers verschwindet nicht, sie wird anders. Anstatt tagelang aufs Geratewohl selbst Versuche durchzuführen, kann der Forscher gezielter vorgehen. Seine Aufgabe ist es, aus den Ergebnissen die richtigen Schlüsse zu ziehen.

Ihre größte Sorge für 2019?

Steilemann Panik, konkret: dass Kunden oder Anleger wegen der vielen Unsicherheiten auf der Welt in Panik geraten. Wir bereiten uns jedenfalls nüchtern auf alles vor.

Auch auf einen harten Brexit?

Steilemann Auch auf einen harten Brexit. Wir klären schon mal Einfuhrformalitäten und Zollfragen. Covestro macht zwar nur zwei Prozent seines Umsatzes in Großbritannien und hat dort auch keine Produktion. Doch viele unserer Kunden wie die Autoindustrie könnten stark vom Brexit betroffen sein. Und 19 Prozent unseres Umsatzes entfällt auf die Auto- und Transportbranche. Wenn unsere Kunden am Brexit leiden, leiden wir mit.

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