Betrugsvorwürfe gegen Betreiber So schnell ist ein Testzentrum aufgebaut

Düsseldorf · Mehr als 8500 Teststellen gibt es in NRW. Die Zahl ist in den vergangenen Monaten rasant gestiegen. Angesichts der Betrugsvorwürfe gegen einige Standorte stehen viele Fragen im Raum: Wer darf so ein Testzentrum überhaupt eröffnen – und wie wird das abgerechnet? Ein Überblick.

 Die Angestellte eines Testzentrum nimmt einen Speicheltest von einem Besucher ab. (Symbolbild)

Die Angestellte eines Testzentrum nimmt einen Speicheltest von einem Besucher ab. (Symbolbild)

Foto: dpa/Matthias Bein

Für viele gehört er mittlerweile zum Wochenplan: der kostenlose Bürgertest im Corona-Testzentrum um die Ecke. Denn das negative Testergebnis war zuletzt das Ticket zum Shoppen oder öffnete die Türen in Zoos und Museen. Wer nicht vollständig geimpft ist und dies nachweisen kann, muss einen Test machen. Denn trotz umfassender Lockerungen durch den Drei-Stufen-Plan der Landesregierung wird die Testpflicht die Bürger weiter in ihrem Alltag begleiten.

Nur logisch ist es daher, dass wegen der hohen Nachfrage nach Testmöglichkeiten auch ein entsprechendes Angebot aus dem Boden gestampft wurde. Mitte April gab Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) an, dass es deutschlandweit mehr als 15.000 Teststellen gebe. In Nordrhein-Westfalen hat sich die Zahl der Teststellen laut „Süddeutscher Zeitung“ ebenfalls rasant gesteigert: Die Zeitung zitiert das NRW-Gesundheitsministerium, wonach es Mitte März 1862 Teststellen in NRW gab, Mitte April 5776 und Mitte Mai bereits 8735. Doch nicht jeder Anbieter ist offenbar seriös. Eine Recherche der Zeitung gemeinsam mit WDR und NRW ergab, dass Anbieter offenbar deutlich höhere Testzahlen abrechnen als tatsächlich durchgeführt wurden – zulasten der Steuerzahler. Kontrolliert wird das bislang nicht. Wie viele Betrüger in dem Markt unterwegs sind, ist daher unklar. Doch wie schnell können überhaupt Testzentren entstehen? Und wie funktioniert die Abrechnung? Ein Überblick.

Welche gesetzliche Grundlage gibt es?

Mit der Anfang März vom Bundesgesundheitsministerium veröffentlichten Coronavirus-Testverordnung wurde die kostenlose Bürgertestung eingeführt. „Mindestens einmal pro Woche“, so heißt es in der Verordnung, haben asymptomatische Personen einen Anspruch auf eine Testung mittels Antigen-Schnelltest. Die Grenze nach oben ist dabei offen gelassen. Um die fortan steigende Nachfrage zu stillen, wurden sogenannte Leistungserbringer ernannt. Neben den vom öffentlichen Gesundheitsdienst betriebenen Testzentren, gehören unter anderem auch Arztpraxen, Apotheken und Hilfs- sowie Rettungsorganisationen dazu – und: „weitere Anbieter, die eine ordnungsgemäße Durchführung […] garantieren“, wie es in der Testverordnung heißt.

Wer darf ein Testzentrum eröffnen?

Im Grunde hat jedes Unternehmen die Option, eine Teststelle zu eröffnen. Unter den Betreibern findet man somit neben Organisationen wie dem Deutschen Roten Kreuz (DRK), den Johannitern oder den Maltesern auch Firmen die nichts oder kaum etwas mit dem Gesundheitswesen zu tun haben: Unternehmen aus der Handels- oder Veranstaltungsbranche zum Beispiel – oder Firmen, die in der Pandemie erst neu gegründet wurden.

Voraussetzung für die Eröffnung sind lediglich sogenannte „Mindestanforderungen“, die in einer Anlage der Corona-Test-Strukturverordnung niedergeschrieben sind. Darin heißt es, dass der Betreiber der Teststelle „zuverlässig im Sinn des Gewerberechts“ sein muss und „über Erfahrungen/Qualifikationen“ verfüge, die erwarten lassen, dass er die Einhaltung der Standards gewährleisten könne. Sollte keine Ausbildung im Gesundheitsberuf vorliegen, müsse „eine entsprechende Expertise durch andere Beschäftigte oder mindestens durch eine Kooperationsvereinbarung einbezogen werden.“

In der Realität sieht es so aus, dass Firmen sich mit ihrem Konzept beim Kreis oder der kreisfreien Stadt (die untere Gesundheitsbehörde) bewerben. Dann wird geprüft, ob ein Bedarf für ein Testzentrum gibt, ob das Konzept stimmig ist und alle Anforderungen erfüllt sind. Ist dies der Fall, kann die Firma zum Errichten einer Teststelle beauftragt werden. Dieses Verfahren bestätigten mehrere Städte auf Anfrage.

Welche Anforderungen werden an eine Teststelle gestellt?

Die sogenannten „Mindestanforderungen an Teststellen“, die zur Anwendung von Schnelltests und zum Ausstellen entsprechender Bescheinigungen zu erfüllen sind, sind in einer fünfseitigen Anlage der Corona-Test-Strukturverordnung niedergeschrieben. In dem Dokument werden Anforderungen an die Räumlichkeiten und die Infrastruktur der Einrichtung gestellt (Größe, Barrierefreiheit, Lüftung, Wartebereich, Wegführung, Hinweisschilder, Arbeitsfläche, Entsorgungsmöglichkeiten etc.), an die Angestellten (Qualifikation oder Schulung), an die Testdurchführung (Schutzausrüstung, Ablauf, Auswertung, Meldung etc.) und an die Angebotszeit (mindestens 20 Wochenstunden, auch nachmittags und am Wochenende). Auch werden Regelungen für Selbsttest unter Aufsicht benannt.

Wer darf Schnelltests durchführen?

Wer sich in unterschiedlichen Testzentren und von unterschiedlichen Personen hat testen lassen, weiß, dass kein Zentrum dem anderen gleicht. Vom überforderten Einzelkämpfer, der mit dem Ansturm der Interessierten und dem Papierkram überfordert ist, bis zur strukturierten Einrichtung, bei der jede Person ihre Arbeit schnell und ordentlich erledigt und dann an den nächsten Kollegen verweist, ist alles dabei.

In den Mindestanforderungen heißt es, das Testpersonal müsse „nachweislich fachkundig“ oder „durch fachkundige Personen […] geschult“ sein. Der Umfang der Schulung wird ebenfalls aufgezeigt: Sicherheitsbewusstsein für Hygiene, Kenntnisse der Anatomie und Einfühlungsvermögen stehen dort ebenso auf dem Plan wie praktische Übungen zur sachgerechten Benutzung der Schutzausrüstung und die Anwendung der Tests. Die schulende Person hat sich davon zu vergewissern, dass die Testdurchführung sowie die Verwendung der Schutzausrüstung korrekt abläuft. „Dies kann auch über Videotelefonie erfolgen“, heißt es in der Anlage weiter. Und so gibt es im Internet tatsächlich Angebote für Webinare, die eine Sachkundeschulung samt Zertifikat bewerben.

Ganz platt bedeutet das: Fast jeder kann sich innerhalb von kürzester Zeit zum Testpersonal weiterbilden lassen. Eine Schulung kostet in der Regel 70 Euro. Anbieter von Schulungen in Präsenz – zum Beispiel das DRK und die Johanniter – beziffern die Dauer auf 30 Minuten bis zwei Stunden.

Wie lange dauert es, bis ein Testzentrum eröffnet ist?

Das ist abhängig vom Standort. Muss eine Einrichtung umgebaut werden oder werden lediglich Zelte auf einem großen Parkplatz aufgebaut? Im April erklärte der Rhein-Kreis Neuss auf Anfrage, dass in der Regel vom ersten Kontakt bis zu Beauftragung zwei bis drei Tage vergingen – vorausgesetzt, alle Unterlagen seien vorhanden und das Konzept sei schlüssig. Auch ein Teststellenbetreiber, der innerhalb kürzester Zeit viele Teststellen in NRW aufbaute, gab im Gespräch mit unserer Redaktion an, dass es bis zu Genehmigung nur wenige Tage dauern könne – aber auch mehrere Wochen. Das Einrichten der Teststelle, sobald die Genehmigung erteilt wurde, ist ebenfalls in wenigen Tagen möglich.

Wie werden die durchgeführten Tests gemeldet und abgerechnet?

Nordrhein-Westfalen gehört zu den wenigen Bundesländern, die die Zahl der Testungen dokumentieren. Die Einrichtungen sind verpflichtet, die Anzahl der durchgeführten Test am Ende des Tages online zu melden. Pro Test bezahlt die zuständige Kassenärztliche Vereinigung (KV) zwölf Euro für die Probenentnahme, die Auswertung und das Bescheinigen des Ergebnisses sowie bis zu sechs Euro für die Sachkosten (Test, Handschuhe, Kittel etc.). Die KV erhält das Geld wiederum vom Bund.

Auf die Nachfrage unserer Redaktion, ob nachgewiesen werden könne, dass nur so viele Tests abgerechnet würden wie durchgeführt, antwortete die KV Westfalen-Lippe Mitte April: „Nein, nicht direkt“ und verwies auf das Meldeverfahren in der Corona-Test-Strukturverordnung. Dort heißt es, dass die Unterlagen aufzubewahren seien und im Bedarfsfall und auch stichprobenartig überprüft werden können. Die KV Nordrhein antwortete damals auf dieselbe Frage: „Der KVNO liegen bislang keine Hinweise auf möglichen Abrechnungsbetrug im Kontext vor“ und verwies ebenfalls auf die Aufbewahrungspflicht bis Ende 2024 – „auch für den möglichen Fall einer späteren Prüfung.“

Die mangelnde Kontrolle hat offenbar auch Betrüger angelockt. Recherchen von „Süddeutschen Zeitung“, WDR und NDR [kostenpflichtiger Inhalt] ergaben, dass nicht nur mehr Tests gemeldet wurden als eigentlich durchgeführt. Zudem würden höhere Sachkosten abgerechnet, berichten die drei Medien. Als Reaktion verwies das Bundesgesundheitsministerium am Freitag auf die Möglichkeit nachträglicher Kontrollen. „Die Daten, die für die Kontrolle der korrekten Leistungserbringung nötig sind, müssen bis zum 31. Dezember 2024 aufbewahrt werden“, sagte ein Sprecher des Bundesgesundheitsministeriums. Somit sei auch eine anschließende Rechnungsprüfung möglich. Die Verantwortung dafür liege bei den Kassenärztlichen Vereinigungen.

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