Rechte kleiner Spartengewerkschaften Karlsruhe billigt Tarifeinheitsgesetz weitgehend

Karlsruhe · Arbeitsministerin Nahles kann aufatmen: Die Verfassungsrichter verschonen ihr umstrittenes Tarifeinheitsgesetz in den wesentlichen Punkten. Trotzdem zahlen sich die Klagen mehrerer Gewerkschaften aus. Denn das Karlsruher Urteil ist alles andere als ein Freifahrtschein.

 Der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts mit Susanne Baer (l-r), Ferdinand Kirchhof (Vorsitz), Michael Eichberger und Johannes Masing.

Der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts mit Susanne Baer (l-r), Ferdinand Kirchhof (Vorsitz), Michael Eichberger und Johannes Masing.

Foto: dpa, ude abl wst

Das umstrittene Tarifeinheitsgesetz von Arbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) bleibt trotz etlicher problematischer Punkte in Kraft. Das Bundesverfassungsgericht wies am Dienstag die Klagen mehrerer Gewerkschaften gegen die seit rund zwei Jahren geltende Neuregelung weitgehend ab.

Die Karlsruher Richter ziehen aber mit einer ganzen Reihe von Vorgaben für die Anwendung des Gesetzes Leitplanken ein. An einer Stelle muss bis spätestens Ende 2018 nachgebessert werden. (Az. 1 BvR 1571/15 u.a.)

Das Gesetz sieht vor, dass bei konkurrierenden Tarifverträgen in einem Betrieb allein der Abschluss mit der mitgliederstärksten Gewerkschaft gilt. Der Unterlegene kann sich diesen Vereinbarungen nur durch nachträgliche Unterzeichnung anschließen. Wer die meisten Mitglieder hat, das sollen im Zweifel die Arbeitsgerichte entscheiden.

Die Bundesregierung will damit aufreibende Machtkämpfe verhindern. Das Gesetz soll dafür sorgen, dass sich Rivalen von vornherein an einen Tisch setzen und sich abstimmen. Unter kleinen Gewerkschaften gibt es breiten Widerstand, sie fürchten um ihre Durchsetzungskraft. In Karlsruhe sind elf Verfassungsklagen gegen die Tarifeinheit anhängig, über fünf davon hat der Erste Senat nun stellvertretend entschieden.

Die Richter stellen fest, dass das Gesetz in die Koalitionsfreiheit eingreift und Grundrechte beeinträchtigen kann. So habe es die schwächere Gewerkschaft im Betrieb womöglich schwerer, Mitglieder zu werben und zu mobilisieren. Das Streikrecht sei aber nicht in Gefahr.

Grundsätzlich sei der Gesetzgeber befugt, Strukturen zu schaffen, "die einen fairen Ausgleich zwischen den Interessen aller Arbeitnehmer eines Betriebes hervorbringen", sagte Vizegerichtspräsident Ferdinand Kirchhof bei der Verkündung.

Das Urteil ist trotzdem alles andere als ein Freifahrtschein. Der Senat sieht das Risiko, dass die Interessen kleinerer Berufsgruppen wie Piloten oder Krankenhausärzte unter den Tisch fallen. Hier muss der Gesetzgeber noch Vorkehrungen schaffen.

In anderen Punkten nehmen die Richter die Arbeitsgerichte in die Pflicht und machen verbindliche Vorgaben. Sie sollen beispielsweise dafür Sorge tragen, dass kein Arbeitnehmer Zusagen verliert, auf die er bei der Lebensplanung fest vertraut hat. Dazu gehören die Altersvorsorge, eine Arbeitsplatzgarantie oder die Lebensarbeitszeit. Unklare Regelungen im Gesetz, wie die Nachzeichnung eines Tarifvertrags funktionieren soll, legt der Senat in einer Weise aus, die die unterlegene Gewerkschaft möglichst wenig belasten soll.

Anlass für die Neuregelung war ein Urteil des Bundesarbeitsgerichts von 2010, das verschiedene Tarifverträge nebeneinander möglich machte. Mit dem Gesetz will Nahles zurück zu der über Jahrzehnte gängigen Praxis nach dem Motto "ein Betrieb - ein Tarifvertrag".

Die Entscheidung war im Senat umstritten. Zwei von acht Richtern stimmten dagegen, weil sie das Gesetz für zu scharf halten.

(csr/dpa/REU)
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