Lagerverkäufe Bei Schnäppchen setzt die Vernunft aus

Düsseldorf · Lagerverkäufe werden zum Event. Besonders vor Weihnachten nehmen Kunden teils sogar stundenlange Wartezeiten in Kauf, um auf Schnäppchenjagd zu gehen. Doch nicht immer lohnt sich das wirklich.

 Bei vermeintlichen Schnäppchen ist die Versuchung groß, mehr zu kaufen als geplant.

Bei vermeintlichen Schnäppchen ist die Versuchung groß, mehr zu kaufen als geplant.

Foto: AP, AP

50 Cent, zwei Euro, fünf Euro, drei Bilderbüchlein für einen Euro... Schnäppchen für Schnäppchen landet im großen Einkaufswagen. Kinderspielzeug auf Vorrat? Kann nicht schaden, schließlich kündigt sich der nächste Nachwuchs im Freundeskreis schon an. Kleine und größere Mitbringsel für Feiern und Geburtstage braucht es auch ständig. Also landen die gepunkteten Blumentöpfe, Gläser und ein paar Bücher im Wagen. Genauso wie die Notizhefte mit dem edlen Cover und ein Haufen Weihnachtskarten. Irgendwann wird das alles schon gebraucht. Bei den günstigen Preisen lohnt es sich allemal.

Genau das ist der Effekt, den Werks- und Lagerverkäufe erreichen wollen. Wenn ich schon mal da bin und auch noch drei Stunden auf den Einlass gewartet habe, dann packe ich das auch noch ein. Sei es die schöne Plätzchendose mit Printen, die ich Oma und Opa zum Kaffee-Trinken nächste Woche mitbringen kann, oder die riesige Packung Schokolade, die über die Feiertage schon weggeht. Der Besuch beim Werksverkauf muss sich ja schließlich gelohnt haben.

Was sie wirklich brauchen, verlieren die meisten schnell aus den Augen, wenn bei Werks- oder Lagerverkäufen die günstigen Angebote und Rabatt-Schildchen "Kauf mich!" schreien. "Die Mechanik ist immer die selbe. Der Kunde erhofft sich einen Preisvorteil, weil er davon ausgeht, dass eine Handelsstufe ausgeschaltet wird und die Markenware beim Werk billiger ist als im normalen Handel”, sagt Ingo Markgraf, Professor für Markenkommunikation und Werbung an der Hochschule Macromedia in Köln.

Zusätzlich reduzierte Produkte mit Fehlern oder falscher Verpackung würden den Schnäppcheneffekt noch verstärken. "Dann habe ich das Gefühl, ich spare doppelt und dreifach”, sagt Markgraf. Weil dadurch das Belohnungszentrum des Gehirns angesprochen wird, geht der Kunde mit einem guten Gefühl aus dem Verkauf — selbst wenn er kaum etwas gespart hat oder mehr ausgegeben hat als er eigentlich wollte, sagen Experten.

Das hätten auch viele Unternehmen, die Werksverkäufe anbieten, begriffen und würden daher reduzierte B-Waren mit A-Waren zum Normalpreis mischen. Entstanden seien die Werksverkäufe ursprünglich, um Ausschussware doch noch zu verkaufen. Damit hätten sich die Unternehmen jedoch selbst kannibalisiert, weil weniger A-Ware gekauft wurde. Dann habe man gemerkt, dass die Kunden unter dem Label "Werksverkauf” sogar für den normalen Preis einkaufen, sagt Markgraf. Der ganz große Spareffekt bleibe daher in der Summe bei vielen Werksverkäufen inzwischen aus.

Die Masche funktioniere dennoch vor allem vor Weihnachten gut — sei es bei fast täglich geöffneten Werksverkäufen von Haribo, Lindt, Adidas und Co. oder bei zeitlich begrenzten Lagerverkäufen. Die Menschen seien dann eben besonders in Einkauf- und Schnäppchenlaune.

Auch deshalb hat der kleine Ort Horstmar im Kreis Steinfurt in diesen Tagen wieder Besuch von Tausenden, vornehmlich weiblichen, Schnäppchenjägern bekommen. Schon vor dem Parkplatz am Lagerverkauf von "Coppenrath - Die Spiegelburg" müssen sich die Kunden zum ersten Mal auf warten einstellen.

Parkplatzeinweiser leiten die Fahrzeuge aus Cuxhafen, Bremen oder Frankfurt auf die wenigen noch freien Plätze. Zur Not muss im Gewerbegebiet ein paar hundert Meter entfernt geparkt werden. Derweil öffnet sich die Tür zur großen Lagerhalle ein weiteres Mal und lässt einen Schwung von Kunden ins warme Innere.

Drei, vier, sogar bis zu sechs Stunden haben diese bis dahin schon gewartet. Ausgerüstet mit Campingstühlen, Decken und Thermoskannen, um die Wartezeit so angenehm wie möglich zu gestalten — einige haben auch Sekt dabei. Ein Imbisswagen versorgt die nicht so gut Vorbereiteten mit Pommes, Glühwein und Tee. Das alles ist einer Facebook-Gruppe zu entnehmen, auf der sich die Fans des Spiegelburg-Lagerverkaufs über die Tageszeiten mit der kürzesten Warteschlange, die Produkte und ihre Einkäufe und Ersparnisse austauschen.

"Der Event-Charakter kommt gerade bei bekannten Marken hinzu. Es wird inzwischen richtig geplant, mit mehreren Leuten zum Fabrikverkauf zu fahren, und das Ganze wird zum Happening", sagt Markgraf. Über Soziale Medien würde sich herumsprechen, wenn sich der Besuch und die Rabatte lohnen.

Werbung machen muss das Unternehmen Spiegelburg, das vor allem für seine Kindermarken wie Lillifee oder Käpt'n Sharky bekannt ist, für seinen Lagerverkauf nicht. Das erledigen die Kunden inzwischen über die Sozialen Medien selbst.

Eine Entwicklung, die Spiegelburg durchaus kritisch sieht. Immerhin sei es inzwischen sehr voll. Es bestehe die Gefahr, dass Kunden am Ende enttäuscht sind, weil sie lange warten müssen, sagt ein Sprecher. Außerdem sei es Glückssache, welche Produkte angeboten werden. "Man kann bei uns nicht konkret planen, zum Beispiel einen Tornister für das Kind zu kaufen. Nur weil es den im Vorjahr gab, muss es den diesmal nicht auch geben”, sagt der Sprecher. Darauf müssten sich die Kunden einstellen, wenn sie teils hunderte Kilometer Anreise in Kauf nehmen. Spiegelburg nutze den Lagerverkauf, der nur vor Weihnachten und Ostern für wenige Wochen und an wenigen Tagen stattfindet, um alte Designs und Restposten zu verkaufen.

Als Werbeplattform für die Marke Spiegelburg sieht das Unternehmen seinen Lagerverkauf nicht. Es sei eher anders herum: "Weil wir die Marke haben, kommen die Leute zum Lagerverkauf. Und weil sich herumgesprochen hat, dass es da gute Sachen gibt, die zwar nicht mehr 'up to date' aber trotzdem gut sind”, sagt der Spiegelburg-Sprecher.

Ähnlich sieht es auch Markgraf: "Man wird keine Marke über einen Lagerverkauf aufbauen können.” Zudem würden es nur die wenigstens Marken schaffen, regionenübergreifend das Publikum anzuziehen. "Jemand aus Berlin wird nicht zum Werksverkauf von Haribo nach Bonn fahren, um 30 Cent pro Tüte zu sparen”, sagt Markgraf.

Nehmen die Menschen für größere Rabatte dann doch weite Wege auf sich, scheint es für viele auch ein großer Einkauf werden zu müssen. In den Einkaufswägen auf den engen Gängen in der Spiegelburg-Lagerhalle türmen sich die Spielsachen und Dekoartikel. Frauen drängeln sich aneinander vorbei, um an der neu befüllten Kiste die Erste zu sein. Zig Hände durchwühlen gleichzeitig die Babyspielzeuge, um die besten Teile herauszufischen. Mitarbeiterinnen weisen die Kunden mit barschem Ton zurecht, wenn sie den Weg zur Kasse blockieren. Entspannt einkaufen ist etwas anderes und trotzdem strahlen die Kunden, wenn sie etwas gefunden haben, das sie sich im normalen Geschäft, für 30 Euro mehr, nie geleistet hätten.

Noch schnell die Ausstechförmchen fürs Lebkuchenhaus und ein paar Pony-Bleistifte und Radiergummi in den Wagen geschmissen und dann raus aus der stickigen Halle. Drei Euro, 1,50 Euro, zehn Euro, wieder drei Euro ... 180 Euro. Aber immerhin: fast 300 Euro gespart.

(rent)
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