Aufsichtsratschefin Simone Bagel-Trah im Interview "Bei Henkel geht Firma vor Familie"

Düsseldorf (RP). In ihrem ersten großen Interview als Henkel-Aufsichtsrats-Chefin spricht Simone Bagel-Trah über die Aussichten des Dax-Konzerns, ihre Abneigung gegen die Frauenquote und die Zukunft des Standortes Düsseldorf. Bagel-Trah gilt als die mächtigste Frau der deutschen Wirtschaft.

Simone Bagel - mächtigste Frau der deutschen Wirtschaft
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RP Frau Bagel-Trah, Sie sind nicht nur jüngster und einzig weiblicher Aufsichtsratschef eines Dax-Konzerns, Sie sind auch noch einziger Top-Repräsentant eines Dax-Konzerns, von der bekannt ist, dass sie privat nur Ökostrom nutzt. Was halten Sie von der Atomwende?

Bagel-Trah Ich begrüße, dass die Bundesregierung regenerative Energien nun noch mehr ausbauen will. Aber man muss aufpassen, dass die Versorgung sichergestellt ist und die Strompreise weiter bezahlbar bleiben. Deutschland ist ein Land mit einer starken industriellen Basis und damit sind viele Arbeitsplätze verbunden.

RP Teile der Industrie poltern heftig gegen den Atomausstieg. Wie sehen Sie das?

Bagel-Trah Es gehört zur pluralistischen Gesellschaft, dass verschiedene Gruppen für ihre Interessen eintreten. Dabei gibt es Unterschiede im Ton, doch ich finde, dass die Diskussion überwiegend sachlich geführt wird.

RP Deutschland wird grüner und technikskeptischer, Henkel öffnete am Donnerstag eine "Forscherwelt", in der Kinder Naturwissenschaften kennenlernen. Wie passt das zusammen?

Bagel-Trah Das passt hervorragend zusammen. Schon 1972 betonte Konrad Henkel, dass der Konzern sich dem Ideal der nachhaltigen Wirtschaft verpflichtet fühlt. Wir glauben, dass wir die Umwelt auch bei steigendem Wohlstand schützen können — und zwar gerade dank Naturwissenschaften. Und im weltweiten Wettbewerb ist klar, dass Deutschland — als ressourcenarmes Land - nur eine Chance hat, wenn der Nachwuchs ein hohes Interesse auch an Chemie, Physik oder auch Biologie und Mathematik hat. In der Wissensgesellschaft liegt unsere Zukunft — Kinder sollen Lust auf Wissenschaft bekommen. Hier setzt die Initiative Forschwelt an und schafft eine spannende und vor allem altersgerechte Lernatmosphäre, in der Kinder auf spielerische Weise an interessante und zukunftsweisende Themen geführt werden.

RP Kommen wir zu Ihnen: Vor 1,5 Jahren übernahmen Sie den Vorsitz von Aufsichtsrat und Gesellschafterausschuss von Henkel. Macht der Job noch Spaß?

Bagel-Trah Ja! Ohne jede Einschränkung. Bei zahlreichen Gesprächen mit Mitarbeitern in und außerhalb Deutschlands spüre ich den Henkel-Geist, unseren gemeinsamen Willen, das Unternehmen voranzubringen. Und auch wirtschaftlich sind wir gut voran gekommen: 2010 war das erfolgreichste Jahr der Firmengeschichte, unsere Präsenz in den Wachstumsmärkten steigt weiter, die Aktie hat sich erfreulich entwickelt.

RP Sie stehen als Vorsitzende dem Aufsichtsrats und Gesellschafterausschuss von Henkel vor und sind fast jeden Tag in der Firma, Sie haben weiterhin eine kleine Firma für Biotechnik und sind Mutter. Wie bekommen Sie das alles unter einen Hut?

Bagel-Trah Gegenfrage: Wie bekommen Männer das alles unter einen Hut? Indem sie gut organisieren. Das tue ich auch.

RP Wie sehen Sie als Mikrobiologin das Thema Ehec?

Bagel-Trah Es ist natürlich beängstigend, wenn sich Keime über wichtige Lebensmittel verbreiten. Man musste von Seiten der Behörden mit der Kommunikation vorsichtig sein. Wir haben auch in unserer Familie einige Tage keinen Salat gegessen, Tomaten und Gurken sehr intensiv gewaschen — gut, dass nun die Quelle wohl identifiziert werden konnte.

RP Merken Sie Vorbehalte, weil Sie gemessen an Ihrer Aufgabe bei Henkel sehr jung und dazu weiblich sind?

Bagel-Trah Nein, ich bin ja in die Aufgabe hinein gewachsen. Unternehmerisches Denken und eigenverantwortlichen Handeln waren mir immer wichtig. Schon nach der Promotion reizte mich die Gründung einer Firma mehr als nur zu forschen. Bei Henkel habe ich seit mehr als zehn Jahren immer neue Aufgaben mit zunehmender Verantwortung in den Aufsichtsgremien übernommen, zuletzt die Leitung des Personalausschusses. Außerdem hatte mich Albrecht Woeste, unser langjähriger Aufsichtsratsvorsitzender, hervorragend auf diese Position vorbereitet. So kann ich nun zur langfristigen und erfolgreichen Fortentwicklung unseres Konzerns beitragen.

RP Was muss sich bei Henkel ändern?

Bagel-Trah Henkel ist insgesamt gut aufgestellt, doch auch wir müssen schneller werden, weil die Welt schneller wird. Wir müssen uns immer wieder veränderten Rahmenbedingungen anpassen, wir müssen Prozesse weiter verbessern, damit wir wettbewerbsfähig bleiben und so Chancen auf neues Wachstum haben.

RP Henkel ist renditegetriebener Dax-Konzern, aber auch Familienfirma. Ist das ein Gegensatz?

Bagel-Trah Nein. Als Familie haben wir einen sehr engen Bezug zum Unternehmen, wir sind aber auch ein völlig rationaler Investor. Der Hauptunterschied zu manchen anderen Anlegern ist wohl der Zeithorizont: Wir wollen eine nachhaltige Wertsteigerung des Unternehmens.

RP Wie stimmt sich die Familie ab?

Bagel-Trah Der Firmengründer Fritz Henkel hatte drei Kinder, von denen sich drei Stämme ableiten. Innerhalb dieser Stämme finden Diskussion und Meinungsbildung statt. Regelmäßig gibt es hier in der Henkel-Zentrale in Düsseldorf Gesellschaftertreffen, bei denen jeder Stamm dann mit einer Stimme spricht. Das funktioniert sehr gut.

RP 2016 könnte der Bindungsvertrag der Familie gekündigt werden. Droht der Ausverkauf?

Bagel-Trah Wir haben in der Henkel-Familie eine gute Tradition wichtige Entscheidungen ausführlich zu besprechen und rechtzeitig zu entscheiden. Das wird auch in diesem Fall so sein. Bei uns gilt seit je her: Die Firma, also Henkel, geht vor Familie. Das wird seit Generationen so gelebt und gilt auch für die Zukunft.

RP Führt die innere Zusammengehörigkeit im Familienkonzern Henkel zur Schwächung des Leistungsprinzips?

Bagel-Trah Unser neuer Unternehmensslogan beweist das Gegenteil: Excellence is our passion, heißt es. Wir streben also stets exzellente Leistung an. Für unsere Kunden — für unser Unternehmen.

RP Wurde der von Hewlett-Packard kommende Kasper Rorsted 2008 zum Vorstandschef ernannt, um frischen Wind zu bringen?

Bagel-Trah Kasper Rorsted hat sich hervorragend bei Henkel eingefunden und das Unternehmen entscheidend weiterentwickelt. 2005 kam er zu Henkel in den Vorstand und wurde 2008 zum Vorstandsvorsitzenden ernannt. Aus seiner Zeit in der Computerindustrie und mit seinem internationalen Hintergrund bringt er viele wertvolle Erfahrungen ein. Im Übrigen passt er als Familienmensch und mit seinen Wertvorstellungen auch menschlich sehr gut zu uns.

RP Ist es ein Nachteil, dass er kein Deutscher ist?

Bagel-Trah Nein, im Gegenteil. Das ist eher einen Vorteil für ein internationales Unternehmen wie Henkel: Rund 80 Prozent der Mitarbeiter sind außerhalb Deutschlands tätig. Da passt ein internationaler Vorstandsvorsitzender sehr gut. Rorsted selbst hat es zu seinem persönlichen Anliegen gemacht, für eine höhere Vielfalt in der Führung des Konzerns zu sorgen. Wir wollen allen Mitarbeitern die gleichen Chancen geben. Unabhängig von Geschlecht oder Nationalität.

RP Mit einer Frauenquote?

Bagel-Trah Nein, wir wollen Frauen fördern, aber wir glauben nicht, dass wir dafür noch eine Quote brauchen. Heute sind bereits 29 Prozent unserer Führungskräfte weiblich, darunter wichtige Positionen wie zum Beispiel die Leiterin unserer weltweit größten Waschmittel-Produktion in Düsseldorf-Holthausen. Wir sehen uns hier auf einem guten Weg. Natürlich wollen wir uns immer weiter verbessern. Dazu schaffen wir entsprechende Rahmenbedingungen, die es Frauen ermöglichen, bei Henkel Karriere zu machen. Darum haben wir alleine zwei Werkskindergärten hier in Düsseldorf, darum haben wir ein Frauen-Netzwerk, darum fördern wir flexible Arbeitszeiten.

RP War es ein Fehler, den Konzern mit dem 3,7 Milliarden Euro teurem Zukauf von National Starch auszubauen und so auch zeitweise die Schulden sehr stark hochgefahren zu haben?

Bagel-Trah Nein, wir haben unsere Weltmarktführung bei Klebstoffen deutlich ausgebaut und wir sind viel stärker in wichtigen Wachstumsregionen vertreten. Sie sehen ja auch an unseren letzten Ergebnissen, wie sehr wir nun von unserem gestärkten Klebstoffgeschäft profitieren. Und da die Rating-Agenturen uns soeben in den Ratings angehoben haben, sind wir auch beim Thema Finanzkraft sehr gut aufgestellt.

RP Auch um Geld zu kriegen, hat Henkel seine Chemie-Tochter Cognis vor Jahren an den Investor Permira abgegeben, der dort als "Heuschrecke" aufgetreten ist. Wie ist dieser Verkauf mit dem Verantwortungsbewusstsein Henkels zu vereinbaren?

Bagel-Trah Das war keine Entscheidung "um Geld zu kriegen". Der Verkauf von Cognis vor rund zehn Jahren war die richtige strategische Entscheidung für Henkel. Wir hätten mit unseren Mitteln nicht gleichzeitig die erforderlichen Investitionen für das klassische Chemiegeschäft finanzieren können und parallel die anderen, wichtigen Geschäftsfelder weiter stärken können, so wie wir das in den vergangenen Jahren getan haben.

RP Bleibt Düsseldorf wichtigster Standort des Konzerns?

Bagel-Trah Ich kann mir schwer vorstellen, dass Düsseldorf als Zentrale nicht auf viele Jahre hinaus die größte Rolle im Konzern spielt.

RP Wird in 30 Jahren noch Persil in Holthausen produziert?

Bagel-Trah Wenn wir immer weiter wettbewerbfähig bleiben. Und es spricht sehr viel dafür: Wir investieren regelmäßig in den Standort Düsseldorf. So haben wir erst in den vergangenen Jahren für rund 20 Millionen Euro die Produktionsanlagen der Flüssigwaschmittel weiter ausgebaut. Bis zum Frühjahr 2012 werden wir weitere rund 25 Mio. Euro investieren und in Düsseldorf die Produktion für Maschinengeschirrspülmittel aufbauen. Und da Düsseldorf im Zentrum Europas regional sehr günstig liegt, spricht auch vieles für Produktion hier.

Das Gespräch führten Sven Gösmann, Antje Höning und Reinhard Kowalewsky

(csr/pes-)
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