Nur noch die Nummer drei Bayer – ein Fall für Schnäppchenjäger

Leverkusen · Der Aktienabsturz geht weiter. Bayer war einst der wertvollste deutsche Konzern und ist jetzt nur noch die Nummer drei der Chemie. Damit wachsen Sorgen vor Übernahme oder Aufspaltung. Abwehrpläne liegen in der Schublade.

 Bayer-Kurs.

Bayer-Kurs.

Foto: FOTO: DPA | GRAFIK: A. PODTSCHASKE

Es war eine Art Weihnachtsgeschenk für die Aktionäre und Mitarbeiter von Bayer: Im Dezember 2014 waren die Leverkusener rund 100 Milliarden Euro wert und zum teuersten deutschen Konzern aufgestiegen. Nicht SAP, nicht Siemens und auch nicht der Chemieriese BASF – nein: Bayer stand auf dem Treppchen ganz oben und Marijn Dekkers konnte sein Glück kaum fassen. Als erster externer Konzernhef war der niederländische Chemiker zunächst auf Vorbehalte gestoßen, doch seine konsequente Stärkung des Pharmageschäfts überzeugte. Kurz darauf erreichte der Aktienkurs gar die Rekordmarke von 141 Euro.

Sechs Jahre und eine Monsanto-Übernahme später ist alles vorbei: Die Bayer-Aktie ist um mehr als zwei Drittel gefallen, am Mittwoch ging es bergab auf 42,50 Euro. Bayer ist nicht einmal mehr der wertvollste deutsche Chemie-Konzern. In diesen Tagen hat sich der Darmstädter Pharmakonzern Merck an die Spitze gesetzt. Der Familienkonzern ist nun 54 Milliarden Euro wert und hat die Schein-Riesen BASF (48 Milliarden) und Bayer (42 Milliarden) auf die Plätze verwiesen.

Das ist bitter für die Aktionäre und ein Riesenproblem. Denn nun wird Bayer, das sich durch die Übernahme des umstrittenen US-Konzerns Monsanto eigentlich vor einer feindlichen Übernahme schützen wollte, zu einem Schnäppchen. „Über kurz oder lang kann das Thema Aufspaltung auf die Tagesordnung rücken“, warnt Markus Manns, Manager bei der Fondsgesellschaft Union Investment, einer der großen Bayer-Aktionäre. Bayer hat, wie andere Dax-Konzerne auch, bereits eine Verteidigungsstrategie gegen feindliche Übernahmen ausgearbeitet. Dazu gehören konkrete Pläne zur Kommunikation mit Investoren und Öffentlichkeit, entsprechende Experten sind laut Branchenkreisen bereits beauftragt. Bayer wollte das nicht kommentieren. Der Konzern jedenfalls hat in vielen Disziplinen Probleme.

Monsanto-Deal Ingo Speich, Manager der Sparkassen-Fondsgesellschaft Deka, hat sein Urteil gefällt: „Die Monsanto-Strategie ist unterm Strich bisher gescheitert, die vergangenen Quartalszahlen haben für einen erneuten Vertrauensverlust am Kapitalmarkt gesorgt.“ Auf dem Kurs würden die ungelösten Rechtsrisiken und Folgen der Pandemie lasten. 2016 hatten sich Bayer und Monsanto nach einer spektakulären Übernahmeschlacht geeinigt. Doch schon bevor Bayer die Schlüssel in der Zentrale in St. Louis in die Hand bekam, rollte die Klagewelle an. Nun gibt es 125.000 Kläger, die Monsantos Unkrautvernichter Glyphosat für ihre Krebserkrankung verantwortlich machen. Nachdem Bayer drei Prozesse verloren hatte, lenkte der Konzern ein. Im Sommer bot er elf Milliarden Dollar und glaubte, die Klagen vom Tisch zu haben. Danach sollten Wissenschaftler, nicht Richter über künftige Klagen entscheiden. Doch US-Richter Vince Chhabria kippte den Vergleich. Zwar will Bayer seither Fortschritte mit den Klägeranwälten gemacht haben. Doch die Aktionäre bleiben nervös. Immerhin: Speich hält die Rechtsrisiken zunächst für einen Schutzschild vor einer Übernahme.

Allerdings schwächelt inzwischen selbst das operative Geschäft der Agrarsparte. Die Pandemie setzt der Landwirtschaft zu, Bauern kaufen weniger Pflanzenschutz. „Investoren sind verunsichert, da zu den Glyphosat- und Dicamba-Klagen jetzt auch noch operative Probleme bei Crop Science kommen“, so Fondsmanager Manns. Bayer hat bereits Abschreibungen zwischen fünf und zehn Milliarden Euro angekündigt. Mit Spannung blicken Aktionäre nun auf den 3. November, wenn Bayer sich zu Klagen und Quartalszahlen äußert.

Pharmageschäft Auch hier sorgt die Pandemie für Probleme, weil planbare Operationen, etwa bei Augenärzten verschoben werden. Entsprechend fiel der Umsatz der Augenarznei Eylea im ersten Halbjahr. Hoffnungen, Bayers altes Malaria-Mittel Chloroquin eigne sich zur Behandlung von Covid-19-Patienten, zerschlugen sich.

Gravierender ist das mittelfristige Problem: Die Zeit für Eylea und Bayers anderen Kassenschlager Xarelto läuft ab. Das Wirkstoffpatent für den Gerinnungshemmer läuft in Deutschland bis 2023, in den USA bis 2024, das Eylea-Patent in Deutschland läuft bis 2025. Danach können Nachahmer die Mittel produzieren, Preis- und Umsatzeinbruch sind programmiert. Nun versucht Bayer, die Patente zu erweitern. Der Xarelto-Wirkstoff Rivaroxaban soll etwa zur Behandlung von Kindern mit venösen Thrombo­embolien zugelassen werden, Bayer hat einen entsprechenden Antrag gestellt.

Doch ähnlich starke Nachfolger sind in der Innovations-Pipeline nicht in Sicht. Es gibt Hoffnungsträger wie Vericiguat, ein Mittel gegen Herzinsuffizienz, das gerade ein beschleunigtes Zulassungsverfahren in den USA durchläuft und in anderen Ländern zur Zulassung eingereicht wurde. Oder wie Finerenon, das zur Behandlung chronisch Nierenkranker mit Typ-2-Diabetes dient. Milliarden-Umsätze wie Xarelto sind aber nicht zu erwarten. Erschwerend kommt hinzu, dass Bayer im Rahmen des 2018 verkündeten Sparprogramms auch die Reduzierung der eigenen Forschung verkündet hat. Statt dessen will man stärker auf den teuren Einkauf externer Innovationen oder Forschung mit Partnern setzten. „Macht die Forschung nicht kaputt“, hatten Mitarbeiter schon 2018 bei einer Demonstration gefordert.

Vorstand Als Konzern-Chef Werner Baumann 2018 mit anderen Wirtschaftslenkern Donald Trump in Davos zum Essen traf, hatte er sich noch vorgestellt als der Chef der „Aspirin-Company“. Das war selbst Trump ein Begriff. Er nehme jeden Tag eine Aspirin, hatte der US-Präsident erklärt. Doch von dem Erfinder wichtiger Pillen ist nicht viel übrig geblieben. Dennoch hat der Aufsichtsrat unlängst den Vertrag von Werner Baumann bis 2024 verlängert. Beobachter erwarten nicht, dass es dabei bleibt. „Der Zeitpunkt der Vertragsverlängerung von Herrn Baumann ohne eine Einigung bei Glyphosat erzeugt Stirnrunzeln“, sagt Fondsmanager Manns. Auch ein Managementwechsel könne auf die Tagesordnung rücken.

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