Barbara Steffens im Interview „In Deutschland wird zu viel operiert“

Düsseldorf · Die frühere NRW-Gesundheitsministerin Barbara Steffens spricht im Interview über ihre neue Aufgabe bei der Techniker Krankenkasse, über die Zukunft der privaten Krankenversicherung und die Behandlung von Patienten.

 Die Grünen-Politikerin Barbara Steffens ist seit zwei Wochen bei Techniker Krankenkasse.

Die Grünen-Politikerin Barbara Steffens ist seit zwei Wochen bei Techniker Krankenkasse.

Foto: TK/Techniker Krankenkasse

Sie waren Gesundheitsministerin in Nordrhein-Westfalen und sind zum 1. Juli an die Spitze der Techniker Krankenkasse in NRW gewechselt. Ist das sauber?

Barbara Steffens Ich war bis Juni 2017 Ministerin und hatte auch die Aufsicht über einige Krankenkassen. Daher war klar, dass ich die vorgesehene Karenzzeit von einem Jahr einhalten muss, bevor ich in dem Bereich arbeite. Genau das habe ich getan. Bis Mai 2018 war ich Mitglied des Landtags, aber für Abgeordnete gibt es keine Karenz. Sie dürfen sofort in jeden Beruf wechseln

Sind die Regeln streng genug?

Steffens In NRW haben wir eine unabhängige Minister-Ehrenkommission, die solche Fragen für Kabinettsmitglieder nach klaren Kriterien prüft. Eine so transparente Regel haben längst nicht alle Länder.

Was ist mit Christina Schulze Föcking, die aus einem Schweinemast-Betrieb kommt und Tierschutz-Ministerin wurde?

Steffens Wir wollen den Austausch zwischen Politik, Gesellschaft und Wirtschaft. Da darf es keine generellen Berufsverbote geben. Ob Interessenkonflikte bestehen oder nicht, prüft dann in jedem Einzelfall automatisch und jährlich die Kommission.

Was reizt Sie an der gesetzlichen Krankenkasse?

Steffens Ich hatte auch Angebote von einer privaten Krankenversicherung und einem Pharmaunternehmen. Beides wollte ich nicht. Ich bin Überzeugungstäterin und habe mich schon immer für das Solidarprinzip stark gemacht. Deshalb freue ich mich auf die TK.

Sie wollen die private Krankenversicherung (PKV) abschaffen?

Steffens Das Ende der PKV ist doch nur eine Frage der Zeit: Die Beiträge wachsen in den Himmel, manche Senioren müssen mehr als die Hälfte ihrer Rente dafür aufbringen. Als Ministerin habe ich hierzu erschütternde Briefe bekommen. Allerdings geht es auch nicht, dass man als junger Mensch mit der PKV spart und im Alter, wenn es teuer wird, in die GKV wechselt. Das wäre unsolidarisch.

Die PKV ist mit ihrem Kapitalstock eine wichtige zweite Säule.

Steffens Doch wegen der Minizinsen gelingt es den Anbietern immer weniger, Altersrückstellungen aufzubauen. Nun ist es Aufgabe des Staates, das Zusammengehen von PKV und GKV in ordentliche Bahnen zu lenken, damit nicht am Ende die Solidargemeinschaft draufzahlt.

Hamburg bietet seinen Beamten an, in die GKV zu gehen. Ein Vorbild für NRW?

Steffens Das Hamburger Modell ist gut. Ich würde es begrüßen, wenn auch die Landesregierung NRW ihren Beamten erlaubt, Kassenpatient zu werden. Doch das ist eine politische Entscheidung, es gibt keine Signale, dass NRW so etwas plant.

Als Ministerin wollten Sie keine Klinikbetten in NRW abbauen. Wollen Sie es jetzt als Kassenchefin?

Steffens Wir haben in NRW mit dem Krankenhausplan viele Betten abgebaut. Aber Betten sind eine rechnerische Größe, sie sagen nichts über Qualität und Effizienz der Versorgung aus. Gewiss müssen sich Kliniken spezialisieren und besser mit anderen Kliniken und Ärzten zusammenarbeiten. Und manche Operationen auch einfach nicht machen.

Deutschland ist Weltmeister bei Hüft- und Knie-Ersatz.

Steffens In Deutschland wird zu viel operiert. Patienten sollten häufiger ihr Recht auf eine Zweitmeinung nutzen, bevor sie in die Klinik gehen. Die TK bietet seit Jahren spezielle Angebote zum Thema Zweitmeinung. Die Ergebnisse sind erstaunlich: Bei mehr als 70 Prozent unserer Versicherten, die vom Arzt eine Krankenhauseinweisung für eine Hüft-OP bekommen haben, war eine OP unnötig. Bei Rücken-OPs waren es sogar 90 Prozent.

Die Bundesregierung startet die „Konzertierte Aktion Pflege“. Was halten Sie von den Plänen?

Steffens Die schauen wir uns an. Der Druck ist enorm: Bis 2060 gibt es doppelt so viele Pflegebedürftige wie heute. Bundesweit fehlen schon jetzt Zehntausende Pflegekräfte. Wir brauchen einen Strauß an Maßnahmen: Wir müssen die häusliche Pflege stärken, Heime müssen die Vereinbarkeit von Familie und Beruf verbessern, um als Arbeitgeber attraktiver zu werden. Pflegekräfte müssen besser entlohnt werden – aber das allein reicht nicht aus.

Was müssen Pflegekräfte bekommen?

Steffens Insgesamt muss der Pflegeberuf deutlich attraktiver werden, zum Beispiel familienfreundlicher. Und perspektivisch werden wir es uns nicht mehr leisten können, dass Altenpfleger weniger verdienen als Krankenpfleger.

Sind Sie als Kasse bereit, die höheren Löhne zu zahlen?

Steffens Pflege ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Beim Pflegestellenprogramm der Bundesregierung liegt die finanzielle Verantwortung voll bei der GKV. Wie die Kosten insgesamt verteilt werden, müssen alle Beteiligten jetzt gemeinsam aushandeln. Aber natürlich werden auch die Kassen ihren Beitrag dazu leisten. Das gleiche gilt beim Thema Belastungen: Auch hier müssen wir gemeinsam dafür sorgen, dass ausgebildete Kräfte langfristig im Job bleiben können.

Aktuell schwimmen die Kassen im Geld. Gesundheitsminister Spahn will sie zwingen, ihre Beiträge zu senken. Sind die Beiträge zu hoch?

Steffens Nein, zumal wir den Mitgliedern ein Beitrags-Jojo ersparen sollten. Schon jetzt zwingt der Wettbewerb die Kassen, den Zusatzbeitrag möglichst gering zu halten. Unser Verwaltungsrat wird am Jahresende entscheiden, ob er den Zusatzbeitrag 2019 erneut senkt.

Sie sind selbst TK-Mitglied. Haben Sie sich schon die elektronische Gesundheitsakte Ihrer Kasse zugelegt?

Steffens Nein, aber wir haben mehrere tausend Nutzer, die jetzt sukzessive für den Test zugelassen werden. Sie können ihre Befunde, Röntgenbilder und Rezepte auf einem Server speichern und per App abrufen. Die Daten liegen auf einem Server in Deutschland.

Eine Krankenkasse ist kein Sozialclub. Was hat die TK von der Akte?

Steffens Einspruch, eine Kasse ist ein „Sozialclub“ und kein gewinnorientierter Konzern. Wir bieten die elektronische Gesundheitsakte an, bevor Google und andere dies tun. Und wir profitieren auch als Kasse davon: Ein mündiger Patient ist zufriedener, therapietreuer und gesundheitsbewusster.

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