Gericht lehnt Antrag der Bahn ab Der Lokführer-Streik geht weiter

Frankfurt/Main · Bei der Deutschen Bahn kann der Streik der Lokführer vorerst weitergehen. Das Arbeitsgericht Frankfurt lehnte am Donnerstagabend einen Antrag auf einstweilige Verfügung gegen den Arbeitskampf der GDL ab. Die Bahn legte Berufung ein.

 Das Logo der Deutschen Bahn (DB) prangt an der Seite einer Lok, während ein Mann auf dem Hauptbahnhof wartet (Archivfoto).

Das Logo der Deutschen Bahn (DB) prangt an der Seite einer Lok, während ein Mann auf dem Hauptbahnhof wartet (Archivfoto).

Foto: dpa/Peter Kneffel

Zuvor war der Versuch des Vorsitzenden Richters Volker Schulze gescheitert, mit einem Vergleich beide Seiten an den Verhandlungstisch zurückzuholen. Die Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) hatte es erneut abgelehnt, in Gespräche einzutreten, bevor nicht ihre sämtlichen Forderungen aus dem vergangenen Mai erfüllt würden.

Die Deutsche Bahn legte umgehend Berufung gegen die Entscheidung ein. Das Hessische Landesarbeitsgericht kündigte eine Verhandlung in zweiter Instanz für Freitagvormittag um 10.30 Uhr an.

Zur Begründung des erstinstanzlichen Beschlusses hatte Gerichtssprecherin Silke Kohlschitter gesagt, dass im Eilverfahren "nicht mit hinreichender Sicherheit" festgestellt werden könne, dass mit dem Streik "unzulässige tarifpolitische Ziele verfolgt werden".

Die Deutsche Bahn hatte beim Arbeitsgericht einen Eilantrag eingereicht, um den bereits seit der Nacht zum Donnerstag laufenden dritten Streik im Personenverkehr vorläufig zu untersagen. Die Bahn wirft der GDL vor, mit dem Vertrag nicht nur bessere Arbeitsbedingungen erzwingen zu wollen, sondern auch politische und rechtliche Ziele zu verfolgen.

Wie Gerichtssprecherin Kohlschitter sagte, habe die Kammer dazu festgestellt, dass das Grundgesetz "nicht nur das Recht auf Arbeitskampfmaßnahmen, die auf den Abschluss eines Tarifvertrages gerichtet sind, sondern auch das Recht auf Streikmaßnahmen zur Durchsetzung der Anwendung dieses Tarifvertrages auf die Mitglieder der Gewerkschaft" schütze. Es sei demnach vom Grundgesetz gedeckt, dass eine Gewerkschaft versuche, "unter Berücksichtigung gesetzlicher Regelungen verbesserte materielle Arbeitsbedingungen für möglichst viele ihrer Mitglieder zur Geltung zu bringen".

In dem Streit zwischen der Bahn und der GDL geht es nicht nur um Lohnerhöhungen, sondern auch um die Anwendung des Tarifeinheitsgesetzes. Seit Jahresbeginn gilt nämlich, wenn in einem Betrieb mehrere Gewerkschaften für die gleichen Berufsgruppen Tarifverträge aushandeln, nur noch der Tarifvertrag jener Gewerkschaft, die in dem Betrieb die meisten Mitglieder hat. Die GDL konkurriert dabei mit der deutlich größeren EVG.

GDL-Chef Claus Weselsky sagte nach der Gerichtsentscheidung, die Kammer habe "klar" festgestellt: "Die Arbeitskampfmaßnahme ist rechtmäßig, sie ist zulässig und sie ist auch verhältnismäßig." Die GDL sei auf eine Berufungsverhandlung vorbereitet.

Eine Sprecherin der Deutschen Bahn erklärte: "Wir waren uns bewusst, dass die Hürden in einem Eilverfahren sehr hoch liegen und dass das Streikrecht in Deutschland mit gutem Grund sehr geschützt ist." Dennoch sehe das Unternehmen es als seine "Verantwortung, im Interesse unserer Kunden nichts unversucht zu lassen, den Streik zu beenden." Die Bahn werde deshalb in die zweite Instanz gehen und das Urteil vor dem Hessischen Landesarbeitsgericht überprüfen lassen. Die Konzernsprecherin erklärte weiter: "Einen Tarifabschluss gibt es nur am Verhandlungstisch". Deshalb fordere die Bahn die GDL auf, den Streik "jetzt unverzüglich zu beenden und wieder an den Verhandlungstisch zurückzukommen".

Dieser Forderung erteilte Weselsky jedoch erneut eine Absage: "Wir setzen den Arbeitskampf fort bis die Deutsche Bahn AG ein materiell vernünftiges Angebot macht“, sagte er und bekräftigte: "Wir sind zu jedem Zeitpunkt, auch während der Arbeitskampfmaßnahme, zu Verhandlungen bereit."

Ein verbessertes Angebot der Konzernleitung vom Mittwoch hatte die GDL zurückgewiesen, Verhandlungen abgelehnt und ihre dritte Streikrunde fortgesetzt. Seit Donnerstagmorgen wird auch der Personenverkehr der Bahn bundesweit bestreikt. Der Ausstand begann am Mittwochnachmittag zunächst im Güterverkehr und soll nach fünf Tagen am Dienstag enden.

Kostenpflichtiger Inhalt Der GDL-Vorsitzende Claus Weselsky wies das nachgebesserte Bahn-Tarifangebot zurück, weil es nicht für alle GDL-Mitglieder gelten solle. Nach seiner Darstellung verlangt der Staatskonzern, den Geltungsbereich eines neuen Tarifvertrags wie bislang auf das Fahrpersonal zu begrenzen. „Damit wird klar erkennbar, dass die DB einem Teil der GDL-Mitglieder ihre verfassungsgemäßen Rechte entziehen will“, sagte der Gewerkschafter dem „Spiegel“. Damit drohe eine Spaltung der Gewerkschaft mit Mitgliedern erster und zweiter Klasse.

„Die Zielsetzung des Bahnvorstandes ist die Existenzvernichtung der GDL“, hatte Weselsky bereits am Donnerstagmorgen in Leipzig erklärt. Mit ihren rund 38.000 Mitgliedern sieht sich die GDL im scharfen Wettstreit mit der größeren Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft EVG. Nach dem 2015 verabschiedeten Tarifeinheitsgesetz soll bei zwei Gewerkschaften in einem Betrieb nur der Tarifvertrag der größeren Arbeitnehmervertretung angewendet werden. „Ein Betrieb - ein Tarifvertrag“ wird dieser Grundsatz genannt. In einem Großteil der rund 300 Bahnbetriebe ist das aus Sicht der Bahn die EVG.

Die eigentlich im Fahrbetrieb verankerte GDL sieht sich gezwungen, ihren Einfluss auch auf andere Konzerntöchter auszuweiten - und will die Bedingungen für Werkstattbeschäftigte nun ebenso regeln wie für Angestellte in der Verwaltung oder der Bahn-Infrastruktur. Das erinnert an die Auseinandersetzungen in den Jahren 2014/2015. Damals wollte die Gewerkschaft ihre Tarifhoheit auf Zugbegleiter und Rangierlokführer ausdehnen - und hatte damit nach acht Streikwellen auch Erfolg.

Die Bahn vermutet hinter dem Fünf-Tage-Streik der GDL politische und juristische Zielsetzungen, die in einem Tarifvertrag nicht regelbar seien. Auch im November 2014 klagte die Bahn gegen laufende Streiks der GDL in der damaligen Tarifrunde. Damals argumentierte die Bahn, dass der Arbeitskampf unverhältnismäßig hohen Schaden anrichte - vergeblich. Die GDL siegte in zwei Instanzen vor den Arbeitsgerichten in Frankfurt. Gewerkschaftschef Weselsky brach nach dem Triumph überraschend den laufenden Streik ab. Damals erklärte er: „Ich stehe an dieser Stelle nicht als Sieger, sondern als derjenige, der die Grundrechte der Lokomotivführer und der Zugbegleiter verteidigt hat.“

Vor der jetzigen Gerichtsentscheidung hatte sich der GDL-Chef im „Spiegel“-Interview siegessicher gezeigt: „Was kann man uns vorwerfen? Unsere Forderungen liegen seit Mai auf dem Tisch, bisher scheint es so, als hätten wir alles richtig gemacht. 2015 haben wir 109 Stunden am Stück gestreikt.“ Das hätten die Gerichte für zulässig gehalten.

Die Bahn hatte der Gewerkschaft am Mittwoch ein neues Angebot unterbreitet und darin eine wichtige Forderung aufgegriffen: Noch in diesem Jahr sollen die Beschäftigten eine Corona-Prämie von bis zu 600 Euro erhalten. Weselsky lehnt das Angebot auch inhaltlich ab und moniert etwa, dass es in diesem Jahr keine Lohnerhöhung geben soll.

Aus Sicht des Tarifexperten Hagen Lesch vom arbeitgebernahen Institut der deutschen Wirtschaft kämpft die GDL erneut um ihren Status als Tarifpartner der Bahn. Demnach hätte Weselsky den Status quo bereits im vergangenen Jahr in einer Schlichtung absichern können, die schließlich scheiterte. Dann hätte man erneut eine Regelung wie 2015 finden können, mit der die Koexistenz von EVG und GDL abgesichert worden war - unter Verzicht auf die Regelungen des Tarifeinheitsgesetzes.

Einstweilige Verfügungen gegen Streiks werden von deutschen Gerichten sehr selten verhängt. Ein Beispiel ist die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Frankfurt, das im September 2015 in zweiter Instanz einen Streik der Vereinigung Cockpit bei der Lufthansa stoppte. Die Piloten hätten gegen die Verlagerung von Stellen an die Tochter Eurowings gestreikt, was tariflich gar nicht regelbar sei, hatte der Vorsitzende Richter Michael Horcher damals befunden.

Den Fahrgästen der Bahn bleibt nichts anderes übrig als abzuwarten. Der Ersatzfahrplan sei am Donnerstag stabil angelaufen, teilte die Bahn mit. Das Unternehmen wollte erneut rund ein Viertel der Fernzüge fahren lassen. Im Regional- und S-Bahnverkehr wird ein Grundangebot von 40 Prozent angestrebt. „Die Streikschwerpunkte liegen im Osten und in einigen Metropolregionen. Insbesondere hier kommt es zu stärkeren Einschränkungen.“

(peng/ahar/dpa/Reuters/AFP)
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