Freizügigkeit ab dem 1. Mai "Arbeitsmarkt wird Zustrom verkraften"

Berlin (RPO). Ab 1. Mai bekommen deutsche Arbeitnehmer mehr Konkurrenz aus Osteuropa. Wie viele Menschen kommen, ist schwierig einzuschätzen. Ministerin von der Leyen rechnet mit 100.000 pro Jahr. BA-Chef Frank-Jürgen Weise schätzt die Zahl im Gespräch mit unserer Redaktion auf 140.000. Einig sind sich aber alle: Deutschland wird profitieren.

 Arbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) sieht keine Risiken für den deutschen Arbeitsmarkt — im Gegenteil.

Arbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) sieht keine Risiken für den deutschen Arbeitsmarkt — im Gegenteil.

Foto: dapd, dapd

Bundesregierung und Wirtschaftsverbände haben die bevorstehende Öffnung des deutschen Arbeitsmarkts für weitere osteuropäische Staaten positiv bewertet. Ängste vor einem Massenansturm an billigen Arbeitskräften seien unbegründet, versicherten Arbeitsministerin Ursula von der Leyen und Wirtschaftsforscher übereinstimmend.

 Der Chef der Bundesagentur für Arbeit, Frank-Jürgen Weise, bezifferte den Zuzug aus Osteuropa im Gespräch mit unserer Redaktion auf 140.000 Menschen im Jahr.

Der Chef der Bundesagentur für Arbeit, Frank-Jürgen Weise, bezifferte den Zuzug aus Osteuropa im Gespräch mit unserer Redaktion auf 140.000 Menschen im Jahr.

Foto: ddp

Von der Leyen sagte der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung", sie sei überzeugt, dass die Arbeitskräfte aus den neuen osteuropäischen EU-Staaten der wirtschaftlichen Entwicklung in Deutschland helfen würden. Deutschland habe sich aus Furcht vor einem Absinken des Wohlstandsniveaus sieben Jahre Zeit mit der vollen Öffnung der Grenzen für Arbeitssuchende gelassen, sagte die CDU-Politikerin.

"Nun tritt Normalität ein: Im großen europäischen Haus kann jeder frei wählen, wo er leben und arbeiten will", sagte sie mit Blick auf die Freizügigkeit ab dem 1. Mai.

Schwarzarbeiter sind bereits hier

Die Schätzungen darüber, wie viele Menschen etwa aus den baltischen Republiken, Polen, Tschechien oder Ungarn dann in Deutschland eine wirtschaftliche Existenz suchen werden, gehen deutlich auseinander. Von der Leyen sagte, sie erwarte 100.000 Zuwanderer. Die meisten, die kämen, seien jung und gut qualifiziert. Wer schwarz arbeiten wolle, sei bereits hier.

Die Bundesagentur für Arbeit hingegen mit einem Zustrom von 140.000 Zuwanderern pro Jahr. "In Grenzregionen zu Polen, Tschechien und Slowenien werden deutsche Arbeitnehmer sich auf schärferen Wettbewerb einstellen müssen", sagte BA-Chef Frank-Jürgen Weise im Interview mit unserer Redaktion. Vor allem in der Zeitarbeit werde der Druck auf die Löhne steigen. Zeitarbeitsfirmen aus dem Baltikum stünden demnach in den Startlöchern.

Gleichwohl sieht auch Weise die Zuwanderungswelle positiv: Es kämen weniger Zuwanderer, als Deutschland angesichts des Fachkräftemangels benötige. "Deutschland ist weniger attraktiv, als viele glauben. Junge, gut ausbildete Osteuropäer gehen oft lieber nach England, wo sie auch geringere Sprachprobleme haben", sagte Weise.

IW: "Einige Hundertausend"

Das Institut der Deutschen Wirtschaft (IW) in Köln bezifferte die Zuwanderung durch die Freizügigkeit auf "einige hunderttausend" Arbeitskräfte pro Jahr. "Der deutsche Arbeitsmarkt wird in der Lage sein, diesen Zustrom problemlos zu verkraften", sagte IW-Arbeitsmarkt-Experte Holger Schäfer dem Blatt "Euro am Sonntag".

Zum letzten Mal habe es in Deutschland 2003 Zuwanderung gegeben, danach sei es Abwanderungsland geworden. Die Unternehmen könnten angesichts der guten Konjunktur das zusätzliche Potenzial nutzen, die Produktion auszubauen. "Es ist allenfalls möglich, dass Lohnanstiege in bestimmten Branchen geringer ausfallen könnten als ohne diesen Zuwanderungseffekt."

Gewerkschaften wie die IG Bau befürchten, dass es mit der EU-Freizügigkeit beispielsweise zu einer Ausweitung der Leiharbeit durch osteuropäische Verleihbetriebe und in der Folge zu Mini-Löhnen kommen werde. Auch die Linkspartei erklärte, ab Mai drohe "eine neue Runde des Lohndumpings".

Nur ein flächendeckender Mindestlohn und das Prinzip "Gleicher Lohn für gleiche Arbeit am gleichen Ort" könne davor schützen, dass Unternehmen dann auch Arbeitskräfte aus Mittel- und Osteuropa zu Niedriglöhnen einsetzen könnten, wie sie in den jeweiligen Herkunftsländern gelten.

(RTR/RP/CSI)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort