Das Kultunternehmen nach dem Tod von Jobs Apple verliert seinen Nimbus

Düsseldorf · Der Technologie-Gigant aus Kalifornien war stets mehr als eine Marke. Vor allem vor Einführung des iPhone galt das Verhältnis zwischen Fans und Firma als nahezu religiös: Apple war ein Lebensgefühl. Nach dem Tod des Vorstandschefs Steve Jobs wirkt die Gemeinde verunsichert.

2012: Die zehn teuersten Unternehmen der Welt
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Im Internet gibt es einen Werbespot der US-Firma Apple aus dem Jahr 1997. Man sieht Aufnahmen von Gandhi, Bob Dylan, Einstein und Martin Luther King. Über den Bildern liegt die Stimme des damaligen Unternehmens-Chefs Steve Jobs. Er sagt: "Manche sagen, diese Leute seien verrückt. Wir sagen: Sie sind Genies. Weil sie Regeln brachen." Und weiter: "Menschen, die glauben, sie können die Welt verändern, sind diejenigen, die es tun." Schließlich leuchtet der berühmte Schriftzug auf: "Think Different" — "Denk anders".

Der Film dokumentiert, wie sich Apple-Kunden einst gefühlt haben: elitär, avantgardistisch, dem sinnstiftenden Vordenker ergeben. Man verstand sich als Gemeinschaft. Seither sind 15 Jahre vergangen. Und es hat den Anschein, als verliere das Apfel-Logo seine Wirkmacht. Der neueste Kommentar eines Youtube-Nutzers unter dem Reklamefilm klingt verzagt: "Es ist lustig, wie Apple sich verändert hat. Apple war mal rebellisch. Heute sind es andere, die Apples Regeln brechen."

Philosophie des "Think Different"

Es geht um das "Gefühl Apple", den Nimbus, und es könnte sein, dass er nicht mehr so groß ist wie damals — vor allem nicht innerhalb der Klientel, die die Philosophie des "Think Different" schon früh bedingungslos lebte. Zur Kern-Kundschaft des Hard-und-Software-Herstellers gehören Graphikdesigner, Werber, Journalisten, Künstler und Musiker, die zumeist als Selbständige mit Apple-Produkten arbeiten. Sie bilden das Rückgrat der Marke, sie halfen mit, Produkte wie iMac und Macbook populär zu machen.

"Für diese Menschen war es ein symbolischer Gewinn, mit Apple-Computern zu arbeiten", sagt Marius Lüdicke, Direktor des Brand Research Laboratory an der Uni Innsbruck. Lüdicke beschäftigt sich intensiv mit Firmen wie Apple. Er sagt: "Das Unternehmen baute auf subkulturelles Kapital. Die Menschen fanden Apple interessant, weil es wie ein David gegen den Riesen Microsoft aufstand." Der Markenforscher spricht vom "Countercultural Appeal", den Steve Jobs bei Auftritten stets betont habe. Er bürgte dafür, dass seine Produkte anders waren: besser, edler, richtig.

Man sollte Apple nicht mit Konkurrenten wie Samsung oder Siemens vergleichen. Ein Maßstab sind vielmehr Marken, die aus der Jugendkultur kommen, etwa Fred Perry im Bekleidungsbereich. Der Mensch Fred Perry war ein Kind der englischen Arbeiterklasse, das in den 30er Jahren drei Mal hintereinander das Tennis-Turnier in Wimbledon gewann. Später ließ Perry Polohemden anfertigen, die er mit einem weißen Lorbeerkranz auf der Brust versah. Das Shirt war in den 60er Jahren bei Mitgliedern vieler Jugendbewegungen beliebt, bei Mods ebenso wie bei Skinheads. "Einige Anhänger entwickeln ein geradezu unterwürfiges Verhältnis zu ihren Lieblingsmarken", sagt Marius Lüdicke.

Jahrzehntelang konnte man diese Hemden fast ausschließlich in der Vorstadt kaufen, in Läden, die auch Armee-Stiefel und Bundeswehr-Hosen anboten. Als Ende der 80er Jahre die Musiker berühmter Bands Fred-Perry-Hemden trugen, wurde die Marke so populär, dass es sie inzwischen auch in der City bei Peek & Cloppenburg gibt. Bis heute indes gehören die Milieus, in denen der Erfolg begann, zur treuesten Kundschaft. Und Fred Perry pflegt sie mit Sonder-Editionen und direkter Ansprache. Das Unternehmen bezeugt seine Glaubwürdigkeit, weil es weiß, dass sie Teil des Markenwertes ist.

Die Firma ist nun Mainstream

Bei Apple liegt der Fall ähnlich. Als das iPhone auf den Markt kam, wurde Apple zum Giganten, die Firma ist nun Mainstream. Seither verändert sich die Kunden-Marken-Beziehung, beobachtet Lüdicke. "Marken werden von Verbrauchern als Person wahrgenommen. Nivea zum Beispiel ist demnach eine freundliche Person, der man ein Leben lang treu bleibt. Man spricht in der Konsumtheorie von einer Childhood-Friendship-Marke." Bei Apple erodiere diese Beziehung — zumindest innerhalb der so genannten In-Group, der Fans also.

Ein Hinweis seien die Keynotes, die Ansprachen der Vorstandschefs bei Einführung neuer Produkte. "Steve Jobs betonte die Erfahrungen des Nutzers. Er argumentierte vom Kunden aus." Jobs leitete zwar den Unternehmenswandel ein, aber er zwinkerte weiterhin den getreuen Individualisten zu, das schuf Vertrauen. Deshalb zahlten sie für ein Macbook mehr als für ähnliche Modelle anderer Hersteller, und jede Neuerung wurde blindgläubig aufgenommen. Jobs starb im Oktober 2011. "Sein Nachfolger Tim Cook beginnt nun offenbar damit, die Technik in den Vordergrund zu rücken", so Lüdicke, seine Auftritte seien geschäftsorientierter.

Der Guru ist fort, die Jünger wirken verunsichert. In Blogs wird der Vorwurf erhoben, Apple kümmere sich seit Jahren wenig um die Weiterentwicklung der Macbooks, jener Produkte, die für die Kerngemeinde wichtiger sind als iPhone oder iPad. Nur 2011 sei der Konzern kurz "back to the mac" gegangen, allerdings indem man Ideen und Konzepte von iOS, dem Betriebssystem des iPhone, auf den Mac übertrug. Der Vorwurf: Man wolle neue User heranführen — jene, die Apple seit Einführung des iPhone kennen — und nicht so sehr die alten versorgen. "Zudem", so Lüdicke, "fällt den Konsumenten allmählich auf, wie stark Apple mit seinen Produkten in den Alltag eingreift und das Internet in jede Ecke des Lebens bringt. Das fühlt sich nicht gut an."

Die wertvollste Marke der Welt

Apple verliert seinen Nimbus, die Marke ermöglicht keinen Distinktionsgewinn mehr. Auf diese Formel könnte man die Entwicklung bringen. Natürlich ist das Klagen auf höchstem Niveau. Apple gilt als wertvollste Marke der Welt.

"Apple ist sicher", betont Marius Lüdicke: 200 Kunden aus dem Mainstream bringen mehr als 20 aus der ultraorthodoxen Kennerschaft. Aber eine Bindung an die treueste Klientel kann sich in harten Zeiten als Vorteil erweisen. Apple wurde ja überhaupt erst zum Giganten durch die Hingabe der Kreativen und Vordenker.

Was nun vor sich geht, ist eine kulturelle Veränderung, mit Zahlen kaum zu belegen, lediglich zu beobachten: ein anderes Lebensgefühl. Apple ist normal. Die Fans "befinden sich in Wartestellung", glaubt Lüdicke. Es wäre der Moment, da die Konkurrenz zuschlagen könnte. Wenn es eine gäbe.

(RP/das/rm)
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