Ann-Kristin Achleitner im Interview "Wir brauchen Altersgrenzen für Aufsichtsräte"

Düsseldorf · Ann-Kristin Achleitner zählt zu den mächtigsten Frauen in der deutschen Wirtschaft. Die Wirtschaftsprofessorin kontrolliert die Metro, die Ergo-Mutter Münchener Rück und den Industriekonzern Linde. Mit 30 Jahren hatte sie ihr erstes Mandat. Im Interview mit unserer Redaktion erläutert die 49-Jährige, was gute Aufsichtsräte ausmacht und warum jedes Unternehmen sich Altersgrenzen setzen sollte.

 Das Samstagsinterview mit Ann-Kristin Achleitner (49),Professorin für Betriebswirtschaftslehre.

Das Samstagsinterview mit Ann-Kristin Achleitner (49),Professorin für Betriebswirtschaftslehre.

Foto: Endermann, Andreas

Im Zusammenhang mit VW diskutiert Deutschland über Altersgrenzen für Aufsichtsräte. Brauchen wir Altersgrenzen?

Achleitner Zu einzelnen Unternehmen will ich mich nicht äußern, grundsätzlich gilt: Eine gute Mischung tut jedem Aufsichtsrat gut. Wir brauchen Deutsche und Experten aus den Regionen, in denen das Unternehmen aktiv ist, Männer und Frauen, alte und junge Kontrolleure. Ich selbst war 30 Jahre, als ich mein erstes Aufsichtsrats-Mandat erhielt.

Was empfiehlt die Kommission für gute Unternehmensführung (Corporate Governance), in der Sie mitarbeiten, für Altersgrenzen?

Achleitner Eine Einheitsgrenze wie "75 Jahre für alle Unternehmen" wäre unangemessen. Doch die Kommission hält es für sinnvoll, wenn sich Aufsichtsräte mit dem Thema auseinandersetzen und für ihr Unternehmen spezifische Regeln geben. Das gilt für Altersgrenzen wie für die Zusammensetzung des Aufsichtsrats oder die Vergütung der Vorstände.

In Zeiten der Deutschland AG hatten manche Manager acht Aufsichtsratsmandate. Wie viel ist sinnvoll?

Achleitner Die Zeiten von vier Aufsichtsratssitzungen sind seit Jahren Vergangenheit. Die Arbeit in den Aufsichtsräten ist professioneller und viel zeitintensiver geworden. Nicht zuletzt durch die Ausschussarbeit. Insofern gibt es eine natürliche Begrenzung. Die Kommission empfiehlt maximal drei Mandate pro Person, wenn der Aufsichtsrat noch ein Vorstandsmandat ausübt.

Sie selbst sind Aufsichtsrätin bei Metro, Linde, Münchener Rück und ENGIE. Das macht vier Mandate.

Achleitner Ich bin nur noch zu 20 Prozent an der TU München tätig.

Eine wichtige Aufgabe für Aufsichtsräte ist es, die Vergütung für die Vorstände festzulegen. Waren 18 Millionen Euro, die einst Herr Winterkorn bekommen sollte, angemessen?

Achleitner Vergütungsexzesse sollte es grundsätzlich nicht geben. Daher soll jeder Aufsichtsrat für sein Unternehmen eine Obergrenze der Vorstandsvergütung und die einzelnen Bestandteile festlegen. Die Obergrenzen werden je nach Branche und Unternehmen unterschiedlich sein, sie schaffen aber Bewusstsein und Transparenz. Insgesamt ist die Vorstands-Vergütung in vielen Fällen aber sicherlich noch zu kompliziert.

Inwiefern?

Achleitner Sie besteht aus vielen Teilen, die an viele Ziele und Laufzeiten gekoppelt werden. Alles mit dem guten Willen, möglichst für jede Eventualität gerecht zu sein. Dadurch wird das System oftmals so komplex, dass man Vergütungsexperte sein muss, um es vollständig nachvollziehen zu können. Das ist nicht gut für die Akzeptanz. Und es stellt sich auch die Frage, ob derart komplizierte Vergütungen noch ein sinnvoller Anreiz für Vorstände sein können.

Zu bedauern sind Aufsichtsräte, wenn sie acht Stunden und mehr auf Hauptversammlungen ausharren müssen. Sind Hauptversammlungen noch zeitgemäß?

Achleitner Selbstverständlich brauchen wir Hauptversammlungen, damit Aktionäre sich aus erster Hand über ihr Unternehmen informieren und zur Sache nachfragen können. Dennoch sollten wir überlegen, was wir vielleicht besser machen können. In Frankreich gibt es beispielsweise die Möglichkeit, dass der Vorstand detaillierte Antworten nachträglich im Internet nachreichen kann. Dadurch wird der Dialog auf der Hauptversammlung effektiver und zügiger. In Frankreich kommen wir oft mit vier Stunden aus.

Mit ENGIE kontrollieren Sie ein französisches Unternehmen. Was machen die Franzosen noch anders?

Achleitner Auffällig ist, dass die Arbeitnehmer-Vertreter in Frankreich ein anderes, mehr konfrontatives Verständnis haben, was sich aber mit der stärkeren Einbindung in den Aufsichtsrat ändert Deutsche Arbeitnehmer-Vertreter sehen sich traditionell dagegen in der Mit-Verantwortung. Gemeinsam versucht man, den besten Weg für das Unternehmen zu finden. Die eingespielte Mitbestimmung sehen viele in Frankreich als echten Standort-Vorteil für Deutschland. Und ich habe auch viele positive Erfahrungen gemacht.

Die Bundesregierung hat jüngst eine Frauenquote für Aufsichtsräte von börsennotierten Unternehmen eingeführt. Können Sie sich nun vor Angeboten kaum noch retten?

Achleitner Fakt ist, dass viele Frauen, die von ihrer fachlichen Eignung für ein Mandat in Frage kommen, derzeit Anfragen von Unternehmen bekommen.

Wird es wie in Norwegen "goldene Röcke" geben, also Frauen, die diverse Posten haben, weil es noch nicht genug Frauen für die neuen Sitze gibt?

Achleitner Ich erwarte nicht, dass wir "goldene Röcke" in Deutschland bekommen. Die Frauen dürften so klug sein, nur so viele Mandate anzunehmen, wie sie auch verantwortungsvoll ausüben können. Das eigentlich Problem ist ohnehin ein anderes: Wir brauchen mehr Frauen in Vorständen.

Wie sieht sinnvolle Förderung aus, damit wir mehr weibliche Vorstände bekommen?

Achleitner Die Unternehmen müssen mehr Frauen im mittleren Management aufbauen, damit sie mehr Kandidatinnen für Tob-Jobs in der Pipeline haben. Dabei helfen eine entsprechende Unternehmenskultur, flexible Arbeitszeit-Modelle für Mütter und Väter und eine gute Kinderbetreuung für eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf für Mann und Frau.

Sie kennen junge und alte Unternehmen. Was erwarten Sie mit Blick auf den Börsenboom der digitalen Wirtschaft? Erleben wir eine Wiederholung der Blase vom Neuen Markt?

Achleitner Erst mal müssen wir den Absturz des alten Neuen Marktes besser verstehen. Bis heute ist nicht abschließend geklärt, warum in Deutschland die Aktien nach 2000 viel stärker abstürzten als in anderen Ländern. An den Bilanzierungsregeln kann es nicht gelegen haben, die waren damals härter als für die anderen Unternehmen. Haben wir Deutschen zu stark auf bestimmte Unternehmen gesetzt? Waren sie später besonders enttäuscht, weil sie risikoscheu sind? Das ist eine spannend Frage für die Wissenschaft.

Hat die deutsche Wirtschaft die Bedeutung der digitalen Revolution verstanden?

Achleitner Deutsche Unternehmen tun heute viel, um mit zu den Gewinnern zu gehören. Vor allem im Endkundengeschäft hat sich jüngst einiges Neues entwickelt. Daher überrascht es nicht, dass derzeit als erstes Handelsunternehmen wie Zalando oder Windeln.de in Deutschland an die Börse gehen. Wichtig ist jedoch dass, wir nicht nur auf den Handel setzen, sondern vor allem auch auf die technologische Innovation wie 3D.

Was erwarten Sie bei der Digitalisierung der deutschen Industrie?

Achleitner Schon beim Boom der Biotech-Unternehmen sind viele an die Börse in den USA gegangen, weil dort die Kapitalmärkte offener für das riskante wie chancenreiche Geschäft der Biotech-Unternehmen sind. Es wäre wünschenswert, wenn Unternehmen der Industrie 4.0 nicht nur in Deutschland wachsen, sondern auch über den heimischen Kapitalmarkt oder die Börse finanzierbar sind und nicht ins Ausland gehen müssen.

(RP)
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