Siemens-Bestechungsskandal Angeklagter: Alles zum Wohl des Unternehmens

München (RPO). Nach seinem Geständnis vor dem Münchener Landgericht wird eines klar: Ex-Siemens-Manager Reinhard S. war ein "großes Rad" im milliardenschweren Korruptionsskandal, der das Unternehmen belastet. Doch von Reue oder Schuldgefühlen keine Spur: Reinhard S. tat angeblich alles nur zum Wohle von Siemens. Da spottete sogar der Richter.

 Reinhard S. tat angeblich alles nur zum Wohl des Unternehmens.

Reinhard S. tat angeblich alles nur zum Wohl des Unternehmens.

Foto: ddp

Das Münchner Landgericht hat schon zerknirschtere Angeklagte gesehen. Eine Viertelstunde vor den Richtern betritt Reinhard S. mit einem breiten Lächeln den Sitzungssaal. Der ehemalige Siemens-Manager hat zwar einen Anzug angezogen, statt mit steifer Krawatte kommt er jedoch mit leger geöffnetem oberstem Hemdknopf. Diese fast schon urlaubsmäßige Entspanntheit zieht sich auch durch die Einlassungen des 57-Jährigen.

Freimütig räumt er die wesentlichen Vorwürfe der Staatsanwaltschaft ein, die ihn wegen Untreue in 58 Fällen angeklagt hat. Doch S. verklärt die Straftaten dabei so weit zur guten Tat, dass Richter Peter Noll spottend ganz und gar selbstlose Motive vermutet.

Tiefe Einblicke in Siemens' schwarze Kassen

S. ist der erste Manager, der wegen des Schmiergeldskandals des Münchner Konzerns vor Gericht steht. Weil er mit seinen bisherigen Aussagen tiefen Einblick in das System schwarzer Kassen bei Siemens gewährte, gilt er für die weitere juristische Aufarbeitung als Schlüsselfigur. Zum Prozessauftakt wirft S. dem Zentralvorstand um den ehemaligen Siemens-Chef Heinrich von Pierer vor, von dem System gewusst zu haben.

Konkret belegen kann S. auf Nachfrage des Richters die Mitwisserschaft von Pierers nicht. Für die brisante Behauptung stützt er sich auf ein Gespräch, in dem er das ehemalige Vorstandsmitglied Thomas Ganswindt über die Schmiergeldpraxis selbst informiert haben will und außerdem auf indirekte Hinweise, wonach auch die ehemalige Nummer zwei von Siemens, Heinz-Joachim Neubürger, eingeweiht war.

Seit seiner Lehre war der heute 57-jährige S. bei Siemens und hatte sich als Kaufmann hochgedient. Schließlich sei er darum gebeten worden, "dass ich mich um diese Zahlungen kümmern sollte", sagt S.. "Diese Zahlungen", das waren die Bestechungsgelder, derentwegen S. nun vor Gericht steht. Ausführlich erläutert er, wie er jahrelang die schwarzen Kassen in der Siemens-Kommunikationssparte organisierte. Dabei spart er nicht an Details und Schilderungen, die auch seine Vorgesetzten belasten.

"Wir tun es nicht für uns, sondern für diese Firma"

"Man hat mir vertraut", berichtet der Angeklagte weiter. Und für ihn "gab es zu der Zeit keinen anderen Weg". Bei einem Treffen im Herbst 2002 sei "das Thema richtig groß" für ihn geworden: "Ich habe mich dazu bereiterklärt, die Zahlungen zu organisieren" und "als alleinige Anlaufstelle zu fungieren", räumt der zweifache Familienvater ein. Dies sei in dem Bewusstsein vereinbart worden: "Wir wissen, dass wir hier etwas tun, was ungesetzlich ist", jedoch nach der Devise: "Wir tun es aber nicht für uns, sondern für diese Firma". Der Angeklagte betont: "Ich habe daraus keinen Vorteil gehabt."

Der 33-seitigen Anklageschrift zufolge existierte schon seit den 80er Jahren ein System "diskreter Zahlungen" bei Siemens. Bestechung im Ausland war damals aber nicht strafbar. Erst 1998 wurden entsprechende neue Gesetze eingeführt. So entwickelte S. eine neue Struktur für die Schmiergeldkonten, ein "relativ simples" Konzept, wie er beschreibt. S. tüftelte die Idee aus, über Scheinberaterverträge Gelder von Siemens abzuziehen und auf Konten zu sammeln, um sie von dort weiter zu verteilen.

Die Summen gab er selbst vor. Firmen in Dubai, den British Virgin Islands oder den Vereinigten Arabischen Emiraten stellten fortan Rechnungen an Siemens, für die jedoch nie eine Gegenleistung erfolgte. Überdies flossen Gelder über einen Schweizer Treuhänder. Ein Netzwerk von Briefkastenfirmen in aller Welt sollte die Geldflüsse verschleiern.

"Ein ICE, der mit 200 Stundenkilometern auf einen Bahnhof zurast"

S. schilderte vor Gericht abenteuerliche Geschichten von Unterschriften, die auf Klebezetteln geleistet wurden, um sie gut verschwinden lassen zu können, Geheimtreffen oder "nicht ganz ungefährlichen" Geschäften mit dem russischen Geheimdienst. Der Angeklagte bezeichnet das Schmiergeld-System als einen "ICE, der mit 200 Stundenkilometern auf einen Bahnhof zurast".

Er habe versucht, den Zug durch "viele Gespräche" zu stoppen und die Korruptions-Geschäfte einzudämmen. Unter anderem habe er den ehemaligen Siemens-Top-Manager Thomas Ganswindt um Hilfe gebeten. Jedoch sei nichts passiert. Daraufhin habe er vermutet, dass die Machenschaften im Zentralvorstand bekannt gewesen seien, "und zwar im kompletten".

Laut Anklageschrift soll niemand kontrolliert haben, wie viel Geld über die Jahre an wen geflossen sind. Außer S. und zwei Komplizen im Ausland soll niemand Details gekannt haben. Als S. 2004 im Alter von 54 Jahren aus dem Unternehmen ausstieg, erhielt er nach eigener Aussage einen Beratervertrag. Der Vorsitzende Richter Peter Noll betont, die Beratungshonorare muteten eher wie "Schweigegeld" an.

S. hingegen sagt aus, von Siemens bedroht worden zu sein: Wenn er zur Staatsanwaltschaft gehe und von den Machenschaften berichte, wäre er "ja wohl der alleinige Schuldige", hieß es. "Es war eine klare Aussage", schildert S. Dennoch sammelte er monatelang Beweise: Bei seiner Verhaftung konnte er den Ermittlern Koffer voller Ordner überreichen.

Laut Oberstaatsanwalt Anton Winkler sind insgesamt 300 ehemalige und aktuelle Mitarbeiter in Verdacht, an dem Korruptions-Skandal beteiligt gewesen zu sein. Winkler bezeichnete S. als "großes Rad" im Siemens-Fall. Der Prozess wird am Mittwoch fortgesetzt. Das Urteil soll voraussichtlich Ende Juli fallen.

(afp)
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